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07.07.01 Ausstellung im Tilsiter Historischen Stadtmuseum zum 55. Jahrestag der Einverleibung der Stadt durch die Sowjetunion

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 07. Juli 2001


Die Russen nennen es Wiedergeburt
Ausstellung im Tilsiter Historischen Stadtmuseum zum 55. Jahrestag der Einverleibung der Stadt durch die Sowjetunion
Hans Dzieran

Fünfundfünfzig Jahre ist es her, daß das nördliche Ostpreußen der Sowjetunion einverleibt wurde. Mit dem Ukas vom 7. April 1946 wurde die "Kenigsbergskaja Oblast" – das Königsberger Gebiet – gebildet und zum Bestandteil der "Russischen Sozialistischen Föderation Sowjetrepublik" erklärt.

Auch wenn viele einstige Bewohner Ostpreußens sich des Eindrucks nicht erwehren können, daß von da an die Uhren stehen blieben, so ist die russische Sicht auf die Dinge eine denkbar andere. Grund genug, des 55. Jahrestags der Landnahme auf Festveranstaltungen und Jubelfeiern zu gedenken und die ersten Neusiedler aus den Weiten des Sowjetlandes zu ehren. Sie hätten – so konnte man es auch in Tilsit, dem heutigen Sowjetsk, aus offiziellem Munde hören – die Stadt aus Ruinen wiederauferstehen lassen und ihr neues Leben eingehaucht. Heute leben in dieser Stadt noch 2201 Veteranen der ersten Stunde. Man dankte ihnen zu Ehren des Jubiläums mit einer einmaligen Gratifikation von 200 Rubeln (das sind umgerechnet 16,50 D-Mark). Dem gleichen Anlaß war eine Ausstellung im Historischen Stadtmuseum gewidmet. Sie stand unter dem Thema "Sowjetsk – der Beginn einer Biographie". Fotos, Dokumente und Exponate vermittelten dem Besucher, wie nach der militärischen Eroberung der Stadt sich die zivile Inbesitznahme vollzog.

Zwei Großfotos zeigen Alexej Subaschtschenko, das eine als Feldwebel in Militäruniform, beteiligt an der Einnahme von Tilsit im Januar 1945, das andere in Zivil mit zahlreichen Medaillen für vorbildliche Arbeitsleistungen. Er war einer derjenigen, der nach Kriegsende in Tilsit blieb, Frau und Kinder nachholte. Man sieht seinen Umsiedlerausweis Nr. 05518, der ihm und seiner Familie den Umsiedlerstatus bestätigt, damit er "im Kaliningrader Gebiet aller Vorteile und Rechte teilhaftig wird, die laut Ministerratsbeschluß der UdSSR vom 7. Juli 1946 vorgesehen sind". Was das für Vorrechte sind, kann man den Eintragungen auf der Rückseite des Dokuments entnehmen: Einmalzahlung einer Beihilfe von 2500 Rubeln, vier Zentner Getreide als Begrüßungsgabe der Stadt Tilsit, Zuteilung einer Matrosenjacke und von Schuhen.

Das vorrangige Interesse der neuen Machthaber galt der Tilsiter Zellstoffabrik. Papier war knapp im Sowjetstaat. Der neue Direktor, Oberst Lukjanow, brauchte Arbeitskräfte.

Die Ausstellung zeigte die Lebenswege zahlreicher Ankömmlinge aus allen Ecken der Sowjet-union, deren Lebensweg mit der Zellstoffabrik verbunden war. Nina Tschardymowa kam im Juli 1945 im Auftrag der Jaroslawer Parteileitung und war bis 1977 als Meister in der Papierzeche tätig. Aus der fernen Tundrastadt Kotlas kam im selben Monat Wladimir Sawelow. Ihn schickte das dortige Komsomolkomitee. Sein ganzes Arbeitsleben war mit der Zelluloseproduktion verbunden. Gezeigt wurde auch die Geschichte von Nikolai und Alexandra Skuba. Sie lernten sich im Armeehospital kennen, heirateten und gingen nach Kriegsende in die Zellstoffabrik. Unter den ersten Geburtsnachweisen des Tilsiter Standesamts sind die Urkunden von Wassili Skuba, geboren 1946 und von Nikolai Skuba, geboren 1948. Sohn Nikolai ist heute der Generaldirektor des Zellulosekombinats.

Aus vielen Exponaten sprach die Genugtuung über die Erfolge der ersten Nachkriegsjahre: Die erste Papierproduktion in der Zellstoffabrik, das erste Licht in Tilsit, die erste Aufführung im Stadttheater. Zu besichtigen war auch die Urkunde des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 7. September 1946 über die Umbenennung der Stadt Tilsit in Sowjetsk.

Tilsit verlor damit seinen Namen, seine geschichtsträchtige Vergangenheit sollte ausgelöscht werden. Man wollte einen historischen Neuanfang, den Beginn einer neuen Biographie, wie über der Ausstellung zu lesen war. So konnte man denn auch im Gästebuch den Eintrag eines russischen Besuchers lesen: "Mit der Ausstellung hat das Museum das Schaffen unserer Menschen sichtbar gemacht, die zum Quell der Wiedergeburt dieser Stadt wurden".

Zum geschichtlichen Verdrängen der Vergangenheit gehörte auch das Verschweigen der Deutschen. Hinweise auf deutsche Bewohner der Stadt in den ersten Nachkriegsjahren bis zu deren Vertreibung im Jahre 1948 suchte man in der Ausstellung vergeb-lich. Immerhin wies die Statistik zur Jahreswende 1945/46 noch 1659 deutsche Einwohner in der Stadt aus.

Aber sie waren zu Fremden in ihrer angestammten Heimat geworden. Man sah sie als Altlasten, die es zu entsorgen galt. Dies ist auch der Ausstellung gelungen.