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11.08.01 Kanzlerkandidatur: Ein bayerischer »Preuße«

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 11. August 2001


Kanzlerkandidatur:
Ein bayerischer »Preuße«
Oskar Lafontaine über die Chancen von Angela Merkel und Edmund Stoiber

Aus heutiger Sicht ist die Sache klar. Nur Edmund Stoiber kann mit Aussicht auf Erfolg gegen Gerhard Schröder antreten. Er erfüllt die Ansprüche, die Deutschlands Wähler an einen Kanzler stellen. Er ist ein erfolgreicher Ministerpräsident. Bayern hat eine gute wirtschaftliche Entwicklung genommen. Es liegt in der Spitzengruppe der deutschen Bundesländer. Bayern ist ein Land mit High-Tech, Folklore und Tradition. Sepplhose und Laptop kleiden Stoiber wie selbstverständlich. Der bayerische Ministerpräsident hat als Spitzenkandidat der CSU gezeigt, daß er ein guter Wahlkämpfer ist und Wahlen gewinnen kann. Auch die Meinungsbefragungen sagen: Die Wählerinnen und Wähler geben Stoiber gegenüber anderen Bewerbern aus der CDU/CSU den Vorzug.

Der Einwand, ein Bayer wird im übrigen Deutschland nicht gewählt, trifft Stoiber weniger als Strauß. Er ist blond und tritt auf wie ein Preuße. Wüßte man nicht, wo er herkäme, dann würde man tippen, er wäre ein Norddeutscher. Und vergessen wir nicht: Edmund Stoiber ist ein Frauentyp. Gloria von Thurn und Taxis, unsere Schnaxel-Expertin, hat ihm das höchstselbst bescheinigt.

Angela Merkel hat als Vorsitzende der CDU das Recht des ersten Zugriffs. Sie wächst langsam in ihr Amt hinein. Überzeugen aber konnte sie bisher noch nicht. Wenn sie sich zur Politik der CDU äußert, greift sie auf nette allgemeine Formulierungen zurück. Das Problem ist nur, daß ihre Aufsätze genauso gut von Schröder, Westerwelle oder Kuhn/Roth stammen könnten. Ihre Pluspunkte: Sie ist die erste Frau, die an der Spitze einer Volkspartei steht. Vor allem im Osten genießt die Physikerin Sympathie und Vertrauen. Aber Angela auf dem Gipfel in Genua oder vor einer Ehrenformation der Bundeswehr, diese Vorstellung fällt manchem doch schwer.

Für die Unionsparteien kann es nicht um Merkel oder Stoiber gehen. Stoiber, Merkel und andere Unionspolitiker, die in der Bevölkerung Vertrauen genießen, müssen als Mannschaft antreten. Bisher hat es die Unionsführung aber nicht geschafft, den Eindruck von Rivalität und Zerstrittenheit zu vermeiden. Die Medien, die spannende Zweikämpfe lieben, schreiben personelle Konflikte geradezu herbei. Jeder gegen jeden, das steigert die Auflagen. Da an der nächsten Ecke Mikrofone und Kameras stehen, ist Selbstdisziplin erforderlich, um dem Affen der Eitelkeit keinen Zucker zu geben.

Gelingt es der CDU-Führung nicht, den Eindruck der Zerstrittenheit loszuwerden, dann wird sie es schwer haben gegen die Genossen, die in die Geschlossenheit verliebt sind. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt, die SPD habe keine Visionen und führe keine Theoriedebatten mehr. Die Fraktion sei folgsam, und die Landesverbände seien glatt gebügelt.

Das Institut Allensbach fand heraus, daß die letzte Bundestagswahl durch das Thema soziale Gerechtigkeit entschieden wurde. Ein reiner Personenwahlkampf wird auch bei der nächsten Wahl nicht reichen. Die eigentliche Schwäche der Union ist es, daß sie die neue strategische Frage nicht beantwortet hat. Wie reagiert eine Partei, wenn der politische Gegner ihre Politik übernommen hat? Mit Unternehmensteuersenkung, Kürzung sozialer Leistungen, Beschneidung der Renten und ständiger Forderung nach Lohnzurückhaltung macht Schröder die Politik, für die die Union bisher stand. Auf diese völlig neue Situation hat die CDU bisher keine Antwort gefunden. Mit demselben Politikangebot wie Rot/Grün, nur etwas weniger sozial, etwas weniger Mitbestimmung, etwas weniger Regulierung des Arbeitsmarktes, kann die Union die Wahl nicht gewinnen.

Dabei liegen die neuen Themen auf der Straße. Wer hat eine glaubwürdige Antwort auf die Globalisierung? Der inhaltsleere Dritte Weg Tony Blairs ist keine. Wer bietet ein überzeugendes Konzept für die Biotechnologie an? Wer hat den Mut, dem Umweltschutz den Stellenwert zu geben, den er braucht? Und wer hat staatsmännisches Format, weil er nicht nur auf die Schlagzeile des nächsten Tages oder auf die nächste Wahl schaut, sondern eine Politik anbietet, die auch vor kommenden Generationen Bestand hat?

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu sagte kürzlich: Die Menschen ertragen das Theater der Politik nicht mehr, so wie die Protestanten das Theater der Religion nicht mehr ertrugen. Man sehnt sich nach wahrer Politik, so wie damals nach wahrer Religion.

Die Kandidatenfrage allein wird nicht über die Chancen der Union entscheiden. Wichtiger wird es sein, ob es ihr gelingt, in einer Zeit der Beliebigkeit und Symbolpolitik etwas anzubieten, was die Wähler heute am meisten vermissen: Glaubwürdigkeit!

 

Oskar Lafontaine, 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender, war 13 Jahre saarländischer Ministerpräsident und knapp fünf Monate Bundesminister der Finanzen. Im März 1999 legte er alle Ämter nieder, hat sich jetzt aber in der deutschen Politik zurückgemeldet. So denkt der einstige Kanzlerkandidat der SPD (1990) darüber nach, mit welchem Kandidaten die Union 2002 ins Rennen gehen sollte – ein beachtenswerter Beitrag in der Welt, den Lafontaine freundlicherweise auch dem Ostpreußenblatt zur Verfügung stellte.