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11.08.01 Ordnung muß sein

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 11. August 2001


Ordnung muß sein
von Heinz Kurt Kays

Daß alles und jedes seine Ordnung haben muß, das war auch im Masurischen unbestritten. Ohne feste Regeln und Gesetze ist das menschliche Zusammenleben nicht zu gestalten, alles würde in Chaos und Anarchie münden. Aufrechterhalten wurde diese öffentliche Ordnung seinerzeit landauf, landab von der Gendarmerie, deren Angehörige in grünen Uniformen ihren Dienst versahen und dafür zu sorgen hatten, daß nicht allzuoft gegen amtliche Erlasse verstoßen und wider staatliche Gesetze gehandelt wurde.

Auch in Jedwabno, einem durchaus ansehnlichen Kirchdorf, das später einmal Gedwangen genannt werden sollte, residierte damals ein Gendarmerieposten. Er bestand aus Hauptwachtmeister Steputat sowie dem Polizeianwärter Kalwitzki. Beide galten bei der Bevöllkerung als Respektspersonen, deren Anordnungen man sich besser nicht widersetzte.

Besonders Erich Steputat machte etwas her, wenn er über die Dorfstraße schritt, in tadellos gebürsteter Uniform, mit dem Tschako auf dem Kopf, dem Polizeihelm also, die Pistolentasche umgeschnallt, das amtliche Notizbuch zwischen den zweiten und dritten Jackenknopf geklemmt. Und Walter Kalwitzki, seine Hilfskraft, bemühte sich nach Kräften, seinem Vorgesetzten in allen Belangen nachzueifern. Lediglich sein Schnurrbart war noch zu spärlich, um kühn gezwirbelt zu werden, aber das würde sich naturgemäß im Laufe der Jahre geben.

Aber bereits jetzt bewies der Gendarmerieanwärter Kalwitzki einen wahren Feuereifer im Dienst. Ständig war er unterwegs in Jedwabno und Umgebung, oft zu Fuß, meist auf dem Fahrrad. Und seinem scharfen Auge entging so leicht nichts, was Verdacht erregen konnte. Freilich, allzu schwere Verbrechen waren kaum aufzudecken. Die Bauern, Kätner, Handwerker und Waldareiter, die den überwiegenden Teil der Einwohnerschaft des Kirchdorfes ausmachten, waren im ganzen brav und gesetzestreu.

Allenfalls ein Holzdiebstahl geschah dann und wann, oder ein kleiner Wildfrevel. Auch gab es – besonders am arbeitsfreien Sonntag – die eine oder andere Prügelei vorm Dorfkrug, wenn der Kartoffelschnaps zu scharf geraten war oder der Bärenfang zu süffig. Ab und zu war auch ein Tippelbruder einzubuchten, der die Bürger von Jedwabno durch besonders dreistes Betteln belästigt hatte.

Auf solche "Ritter der Landstraße" waren weder Hauptwachtmeister Steputat noch sein Adlatus Kalwitzki gut zu sprechen. Die machten nämlich nichts als Umstände, wenn man sie erwischte und für ein paar Tage in die einzige Arrestzelle sperrte, die es auf der Gendarmeriestation gab. Aber was sollte man machen? Betteln war nun einmal verboten, und einem preußischen Polizeibeamten hatten die bestehenden Vorschriften heilig zu sein.

Und so tat Walter Kalwitzki auch prompt seine Pflicht, als er wieder einmal Stromer-Janko bei einem solchen Vergehen erwischte. Der kam gerade aus dem Geschäft von Schlachtermeister Kallus, in der linken Hand ein Stück Mettwurst, in der anderen den gerade erbettelten Groschen. Ehe Janko das Geldstück in eine seiner vielen Taschen verschwinden lassen konnte, schritt der Hilfsgendarm ein. "Aha", sagte er bedeutsam und wies auf das Corpus delicti, "hab’ ich dich ertappt auf frischer Tag."

Natürlich war besagter Janko in dieser Hinsicht ganz und gar kein unbeschriebenes Blatt. Er nahm die Festnahme auch nicht sonderlich tragisch, vielmehr ging er willig mit zum Revier. Was konnte ihm schon Schlimmes passieren? Drei Tage Kaluse – da gab es üblere Dinge. Zudem herrschte Schmuddelwetter, und da waren freie Unterkunft und Verpflegung nicht unwillkommen. Und beides war gut in Jedwabno, wie Janko aus Erfahrung wußte.

Doch zu seiner großen Überraschung kam alles ganz anders. Hauptwachtmeister Steputat hatte nämlich endgültig die Faxen dick mit dem "Bettelpack", das nur Scherereien machte, wenn es eingesperrt wurde auf Nummer sicher. Deshalb zog er ein verdießliches Gesicht, als Walter Kalwitzki mit Stromer-Janko im Schlepptau auf dem Revier erschien. Dann aber kam ihm der rettende Gedanke, nach dem er seit langem gesucht hatte.

"Schau an, schau an, der Janko wieder einmal. Kann’s einfach nicht lassen!" Mit diesen Worten empfing er den alten Kunden. "Nu ja, Pan Wachtmeister", kam es zurück. "Was soll ich machen? Der Mensch will leben. Ist aber nicht schlimm, daß mich der Herr Gendarm erwischt hat." Und völlig unaufgefordert wollte er sich auf den ihm wohlbekannten Weg in die Arrestzelle begeben.

Aber da fuhr ihm Erich Steputat ganz gewaltig in die Parade. "Halt! Stop! Nicht so schnell!" ließ er sich im Kommandoton vernehmen. Der Landstreicher blieb verwundert stehen. "Was ist?" fragte er, "werde ich denn nicht eingesperrt?" Der Reviervorstand lächelte grimmig: "Tät’ dir so passen, wie? Paar Tage warme Stube und warmes Essen. Nix da, ab heute machen wir es anders. Geldstrafe gibt’s statt Arrest. Fünf Mark mußt zahlen wegen Bettelns."

Stromer-Janko erstarrte. Auch Polizeianwärter Kalwitzki war im ersten Augenblick verwundert. Aber natürlich hatte er die Bestimmung im Kopf, welche da lautete: Knast oder Geld, beides ist möglich und kann verhängt werden! Und so gab er dem Inhaftierten Auskunft: "Also, fünf Mark in die Staatskasse und wir lassen dich laufen."

Fünf ganze Mark? Janko kratzte sich unschlüssig den Kopf. Das waren ja schöne neue Sitten! Doch dann glaubte er, einen Ausweg gefunden zu haben. Er wühlte in allen Taschen von Hose und von Jacke und brachte überall einzelne Geldstücke hervor, zumeist Groschen und Dittchen. Langsam zählte er die Münzen auf den Tisch und kam endlich auf drei Mark und zweiundvierzig Pfennige, "Das ist alles", sagte er, "was ich habe. Komme ich nu ins Gefängnis?" In seiner Stimme lag ein hoffnungsvoller Ton.

Doch einen preußisch-masurischen Gendarmeriebeamten kann man nicht so leicht ins Bockshorn jagen. Hauptwachtmeister Steputat richtete sich kerzengerade auf und entschied: "Nee, nee. Das Geld bleibt da. Und du Janko, gehst wieder los und bettelst weiter. So lange, bis die fünf Mark beisammen sind!"

Und – o Wunder – Stromer-Janko verließ gehorsam das Revier. Und nicht nur das, er kam wieder, so nach zwei, drei Stunden. Mit dem restlichen Geld natürlich.