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25.08.01 Kernkraftwerk Temelin: Prag gegen den Rest der Welt

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 25. August 2001


Kernkraftwerk Temelin:
Prag gegen den Rest der Welt
Tschechiens Sturheit - keine Empfehlung für den EU-Beitritt

Gemeinsame Feindbilder verbinden: Wenn es gilt, Temelin zu verhindern, marschiert Deutschlands vereinigte Linke sogar Seit’ an Seit’ mit Haiders Freiheitlichen. Seit die österreichische Regierungspartei FPÖ sich für ein nuklear motiviertes Veto Wiens gegen Prags EU-Beitritt stark macht, ist sie auch für sanktionswütige Grüne und Genossen als Bündnispartner tragbar.

So hat die Diskussion um das südböhmische Kernkraftwerk längst das Stadium der Sachlichkeit verlassen. Temelin ist vor allem politisches und ideologisches Symbol, wobei sich unterschiedlichste Strömungen vermischen und höchst merkwürdige Allianzen hervorbringen.

Für Prag ist Temelin das Symbol tschechischer Ingenieurskunst und Wissenschaft. Wer hier Kritik übt, verletzt den Nationalstolz eines Landes, dessen Hauptstadt sich immerhin rühmt, im Jahre 1348 die älteste Universität Mitteleuropas gegründet zu haben. In der Tat hat die Prager Alma mater im Laufe der Jahrhunderte immer wieder großartige wissenschaftliche und technologische Leistungen zustande gebracht - was der Ankauf einer veralteten, noch aus Sowjetzeiten stammenden Reaktortechnologie allerdings mit dieser Tradition zu tun haben soll, hat der sonst so wortgewaltige tschechische Ministerpräsident Milos Zeman dem Rest der Welt noch nicht erklären können. Es ist wohl eher so, daß Prag dieses Kernkraftwerk zum Symbol staatlicher Souveränität hochstilisiert hat: Unsere Energiepolitik ist ausschließlich unsere eigene Angelegenheit; niemand hat das Recht, uns da hineinzureden!

Genau dieses Recht aber reklamieren die deutschen und österreichischen Nachbarn für sich. Sie fühlen sich durch die 1000-MW-Druckwasserreaktoren des russischen Uralttyps WWER-1000 (Tschernobyl läßt grüßen!) bedroht, trotz - oder wegen? - Nachrüstung mit amerikanischer Leittechnik. Mehrere Pannen während der seit Oktober 2000 laufenden Testphase zeigten nämlich, daß Ost und West in dieser Technologie nicht zusammenwachsen wollen; die Systeme sind einfach nicht voll kompatibel.

Temelin-Kritiker in Deutschland und Österreich bemängeln weiter:

• Das Reaktordruckgefäß ist zu eng und dadurch zu nah an den Brennstäben; dies kann zu Rissen in der Reaktorwand führen.

• Die nur einschalige Reaktorhülle ist zu dünn und droht bei Überhitzung schon nach kurzer Zeit (rund 40 Minuten) zu platzen.

• Das Kühlsystem ist zu schwach ausgelegt.

• Die der Stromerzeugung dienenden 1000-MW-Turbinen sind wesentlich störanfälliger als die üblichen 500-MW-Turbinen.

Diese und weitere Punkte führen nach einer Studie der EU dazu, daß die Wahrscheinlichkeit eines GAU (größter anzunehmender Unfall) in Temelin 20- bis 30mal höher einzuschätzen ist als bei Reaktoren französischer oder deutscher Bauart. Bundesumweltminister Jürgen Trittin bestätigt: In Deutschland hätte ein solches Kernkraftwerk keine Chance, genehmigt zu werden - unabhängig davon, welche Parteien gerade die Regierung bilden.

Der im Oktober 2000 gestartete Probebetrieb erinnert fatal an die Fernsehsendung „Pleiten, Pech und Pannen“. Mal versagen Wasserpumpen im Kühlsystem, mal gerät auslaufendes Öl in Brand, mit Ventilbrüchen, Kurzschlüssen, Vibrationen an der Turbinenwelle, Lecks und Rohrbrüchen geht es weiter, zwischendurch schaltet sich der Reaktor einfach ab, ohne daß die Techniker dahinter kommen, warum. Dies alles macht Temelin für Kernkraftgegner zum Symbol ihrer grundsätzlichen Ablehnung der friedlichen Nutzung der Atomenergie.

Ebenso strikt lehnen deutsche und österreichische Konservative den tschechischen Reaktor ab, wenn auch aus ganz anderen Überlegungen. Sie sehen Temelin vor allem als Symbol dafür, daß Prag noch nicht reif für den EU-Beitritt ist. Merkwürdig nur: Solange sich diese Europa-Unreife vorzugsweise in der Weigerung Prags artikulierte, den sudetendeutschen Vertriebenen auch nur einen kleinen Schritt entgegenzukommen und endlich die Benesch-Dekrete aufzuheben, war dies allenfalls ein lästiges Randthema.

Symbolkraft hat Temelin übrigens auch noch in einem ganz anderen Sinne. Deutschlands unsinnige Ausstiegspolitik, vor allem von den Grünen forciert, wurde bei unseren Nachbarn als Einladung verstanden, ihre Stromerzeugungskapazitäten mit allen Mitteln auszubauen, um das demnächst atomkraftfreie Deutschland mit Elektrizität zu beliefern. Sicherheits- und Umweltfragen spielen bei diesem Geschäft kaum eine Rolle. Das Ergebnis: Die deutschen, als besonders sicher geltenden Kernkraftwerke werden abgeschaltet, dicht hinter den Grenzen werden dafür weitaus unsicherere und gefährlichere neu gebaut. So ist Temelin auch ein Symbol für die Geister, die Trittin rief.

Die Tschechen haben längst auf stur geschaltet. Prag gegen den Rest der Welt - Kritik wird mit geradezu abenteuerlichen Verschwörungstheorien beantwortet, und trotz aller Proteste wurde erst vor wenigen Tagen der wegen De-fekten wieder einmal unterbrochene Probebetrieb erneut aufgenommen.

Prags Ex-Außenminister Josef Zieleniec mahnte kürzlich die Regierung seines Landes: Prag müsse lernen, zwischen Souveränität und Arroganz zu unterscheiden. Das gilt übrigens nicht nur für Temelin. H. J. M.