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25.08.01 Deutsche östlich von Oder und Neiße: »Leider kein Einzelfall«

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 25. August 2001


Deutsche östlich von Oder und Neiße:
»Leider kein Einzelfall«
Bilanz nach zehn Jahren deutsch-polnischem Nachbarschaftsvertrag


Teil 3: Politische Erfolge und Rückschläge

Bereits wenige Wochen nach der Zulassung ihrer ersten Vereinigung betrat die deutsche Minderheit erstmals nach dem Krieg die politische Bühne Polens. Bei einer Nachwahl zum Senat in der Woiwodschaft Oppeln trat Heinrich Kroll für die Minderheit gegen die Polin Dorota Simonides vom Bürgerkomitee Solidarität an. Kontroverse Aussagen der Solidarnosc-Bewerberin hatten eine nationale Polarisierung der Wählerschaft zur Folge, weshalb die häufig vertretene Auffassung, die Senatswahl sei ein zweites oberschlesisches Referendum gewesen, nachvollziehbar ist.

Die gespannte Atmosphäre fand in antideutschen Ausschreitungen ihren Ausdruck und verschärfte sich, als Kroll den ersten Wahlgang mit 39,4 zu 35,7 Prozent für sich entschied. Den zweiten Wahlgang am 18. Februar 1990 verlor Kroll mit nur noch 32,6 Prozent wegen des nunmehr höheren Mobilisierungsgrades der polnischen Bevölkerung.

Die Stimmungslage war bei den ersten freien Kommunalwahlen am 27. Mai 1990 etwas entspannter. In mehrheitlich deutschen Gemeinden traten „Deutsche Freundschaftskreise“ an und erlangten trotz einer deutschen Wahlbeteiligung von nur rund 25 Prozent einen triumphalen Erfolg. Mit Ausnahme des westlichen Teils der Woiwodschaft Oppeln (wo nur vereinzelt Deutsche leben) und einigen mittleren Städten gewann der DFK in allen übrigen Gemeinden deutlich über 50 Prozent der Stimmen und Sitze. Der Präsident des „Verbandes deutscher Gesellschaften“, Gerhard Bartodziej, wurde zum Vize-Präsidenten des Oppelner Bezirkstages (Sejmik) gewählt.

Ähnliche Ergebnisse wurden in den oberschlesischen Gemeinden der Woiwodschaft Tschenstochau sowie im ländlichen Teil des Bezirkes Kattowitz erreicht. In den Städten des Industriegebietes kamen indes bestenfalls einzelne Deutsche in den Stadtrat. In Ostpreußen nahm die Volksgruppe wegen zu geringer Erfolgsaussichten an keiner Kommunalwahl teil, wenngleich sie vereinzelt Ortsvorsteher stellt und in der Woiwodschaft Elbing in drei Gemeinden (für sonstige Parteien) vertreten war.

Bei den Kommunalwahlen am 19. Juni 1994 konnte das Ergebnis von 1990 insgesamt noch verbessert werden. Der DFK verfügte im Oppelner Bezirk in 26 Gemeinden über die Ratsmehrheit, stellte in 22 den Bürgermeister sowie in 26 den Ratsvorsitzenden. Im Sejmik war die Minderheit stärkste Fraktion und stellte den Vizepräsidenten. In der Woiwodschaft Kattowitz waren ab 1994 Deutsche in zwölf Gemeinderäten vertreten, in fünf stellten sie den Bürgermeister, in zwei den Ratsvorsitzenden, und in den Sejmik wurden acht Delegierte entsandt. Auch im Bezirk Tschenstochau war die Minderheit in sieben Gemeinden repräsentiert, stellte vier Bürgermeister, in einer den Ratsvorsitzenden. Der Sejmik zählte drei deutsche Vertreter. Die letzte Kommunalwahl stabilisierte die Position der Volksgruppe weiter.

Entgegen den eigenen Erwartungen und bei einer deutlich unter der in der Woiwodschaft Oppeln erreichten Wahlbeteiligung von 41,7 Prozent liegenden deut- schen Beteiligung gelang es bei den Wahlen zu Sejm und Senat im Jahr 1991, auf einer eigenen Liste insgesamt sieben Sejm-Mandate zu erringen und einen Senator zu stellen. Drei Abgeordnete wurden im Wahlkreis Oppeln, zwei in der Woiwodschaft Kattowitz, je ein Abgeordneter in Tschenstochau sowie über die Landesliste in Warschau gewählt.

Für die Parlamentswahl 1993 galt erstmals eine Fünf-Prozent-Klausel bei Wahlkreisen sowie eine Sieben-Prozent-Klausel bei Landeslisten, die Minderheiten konnten aber gemäß der Wahlordnung nur von einer Klausel befreit werden. Aufgrund ihres geschlossenen Siedlungsgebietes in Oberschlesien entschied sich die deutsche Minderheit für die Befreiung auf der Ebene der Wahlkreise. Insgesamt verlor sie neben dem entfallenen Landeslistenmandat zwei Sejm-Sitze in Kattowitz und Tschenstochau wegen einer wiederum zu geringen Wahlbeteiligung von 35 Prozent und konnte in Allenstein erneut kein Mandat gewinnen. Wie deutlich geringer die Wahlaussichten der Deutschen in Ostpreußen im Vergleich zu Oberschlesien sind, zeigte das beste 1993 erzielte Einzelergebnis: In der Gemeinde Dietrichswalde entfielen lediglich 11,3 Prozent der abgegebenen Stimmen auf die Minderheitenliste, in Allenstein gar nur 0,9 (580 Stimmen). Bei den Senatswahlen verteidigte Bartodziej seinen Sitz. Für die geringe Wahlbeteiligung der Minderheit machten Kroll und Bartodziej die Enttäuschung über eine sowohl materiell wie politisch unzureichende Unterstützung aus Deutschland verantwortlich.

Die Parlamentswahl von 1997 brachte der Minderheit eine weitere schwere Niederlage, bei der sie nahezu ausschließlich deutsche Stammwähler verlor. Sie verfügt nunmehr noch über zwei Abgeordnete aus dem Oppelner Bezirk und ist im Senat nicht mehr vertreten. Damit sank ihr landesweiter Stimmenanteil seit 1991 kontinuierlich.

In Ostpreußen wurde das beste Einzelresultat von gerade 4,63 Prozent in Groß Purden erzielt, in Allenstein waren es noch 0,53 Prozent. Da in Ostpreußen wegen der Heterogenität der deutschen Organisationen vier Kandidaten aufgestellt wurden, zersplitterten diese mit ihren relativ gleichen Stimmenanteilen die ohnehin kleine Wählerschaft.

Das Ausscheiden Gerhard Bartodziejs aus dem Senat ist nicht auf den erlittenen geringfügigen Verlust von 855 Stimmen, sondern vielmehr auf den starken Stimmenzuwachs des (polnischen) Kandidaten der siegreichen Wahlaktion Solidarität (AWS) zurückzuführen. Allerdings entfielen auf den zweiten, an siebter Stelle abgeschlagenen deutschen Senatskandidaten in Oppeln, Alois Kokot, 49 265 Stimmen, so daß sich die Frage aufdrängt, ob ein Verzicht Kokots und eine Konzentration seiner Stimmen auf Bartodziej nicht sinnvoller gewesen wäre.

Seit der national stimulierten Senatsnachwahl von 1990 ist es führenden Vertretern der Minderheit nicht mehr gelungen, die traditionell apolitischen Oberschlesier davon zu überzeugen, daß Sejm-Wahlen keine rein „polnischen Wahlen“ sind, mit denen sie nichts zu tun haben. Ein Großteil der Minderheit registriert nicht, was sich innenpolitisch in Polen abspielt, da überwiegend deutsches Fernsehen und deutsche Zeitungen konsumiert werden und viele ausschließlich auf Bundesdeutschland fixiert sind.

Eine starke deutsche Wahlbeteiligung ist allerdings auch nicht zu erwarten, wenn in Oberschlesien kein Wahlkampf im eigentlichen Sinne geführt wird, in dem die politischen Interessen der Minderheit beispielsweise auf Kundgebungen klar zum Ausdruck gebracht werden, und sich die Kampagne nicht von üblichen Vereinstreffen unterscheidet. Befürchtungen, durch akzentuierte Forderungen wieder in Widerspruch zur polnischen Öffentlichkeit zu geraten, scheinen dauerhaft eine Mobilisierung der Minderheit zu behindern sowie die Stimmabgabe des bedeutenden nationalkonservativen Teils der Basis zu verhindern.

Wie wichtig es ist, eine starke politische Vertretung zu haben, zeigte die Auseinandersetzung um die Rekonstruktion deutscher Gefallenendenkmäler. Es war der erste größere Konflikt zwischen der Minderheit und der Regierungsbezirksverwaltung in Oppeln seit der Legalisierung deutscher Vereinigungen im Jahr 1990. Gefallenendenkmäler des Ersten Weltkrieges wurden nach der polnischen Verwaltungsübernahme 1945 praktisch ausnahmslos zerstört. Erst nach 1989 war es möglich, allein im Bezirk Oppeln 62 Mahnmale zu rekonstruieren, 13 gänzlich neu zu errichten und an die Opfer des Zweiten Weltkrieges durch Ergänzungen zu erinnern. Zu vergleichbaren Initiativen in anderen Siedlungsgebieten der Minderheit kam es vereinzelt nur in Ostpreußen, da die Volksgruppe lediglich in Oberschlesien über den notwendigen kommunalpolitischen Rückhalt verfügt. Eine emotionalisierte, durchweg negative Medienaufmerksamkeit in ganz Polen führte sehr schnell zu einer Verunsachlichung der Diskussion, so daß die Öffentlichkeit die Denkmäler bald insgesamt in Frage stellte. Im Jahr 1992 wurden die ersten Brandanschläge auf sie verübt.

Daß der Konflikt keine Provinzangelegenheit mehr war, zeigte das Echo in Warschau. Dort forderten Vertreter mehrerer Parteien die Entfernung der Denkmäler, ein Sprecher Präsident Walesas bezeichnete sie sogar als gesetzeswidrig. Im Grunde wurde hier die Wiederholung der Maßnahmen aus der Zeit nach 1945, nämlich die Demontage der Denkmäler, verlangt. Die Woiwodschaftsverwaltung in Oppeln machte der Minderheit insbesondere die Verwendung des Eisernen Kreuzes zum Vorwurf und trug damit dazu bei, daß das Hoheitsabzeichen von polnischen Bürgern immer wieder mit einem Wehrmachtssymbol verwechselt wurde. Die Minderheitenbeauftragte der Woiwodschaft, Danuta Berlinska, beschuldigte die Minderheit schließlich der Verbreitung von „Nazi- ideologie“.

Vertreter der Minderheit reagierten sehr gereizt. Eine auf Vermittlung des Generalkonsulats in Breslau eigens konstituierte Kommission aus Vertretern von Woiwodschaft und Minderheit kam schließlich zu der Übereinkunft, daß militärische Symbole durch christliche (Kreuze) ersetzt und polnische Übersetzungen der Widmungen angebracht werden sollten.

Spätestens seit der Senatsnachwahl im Jahr 1990 gehören deutschfeindliche Aufschriften, die meist deutsche Repräsentanten wie Kroll, Bartodziej, Bischof Nossol oder die Minderheit als solche auffordern, sich „do vaterlandu“ oder „do bundestagu“ (in das Vaterland/den Bundestag) zu begeben, genauso zum Alltagsbild Oberschlesiens, wie Sachbeschädigungen an Einrichtungen der Minderheit anfänglich üblich waren. Ausschreitungen gegen die Minderheit waren seit 1990 nach Einschätzung der Bundesregierung „leider kein Einzelfall“: In Posen wurde 1992 ein Bombenanschlag auf das Büro der deutschen Bezirksgesellschaft verübt, ein geplanter, gegen die Minderheit gerichteter Bombenanschlag auf die Oppelner Kreuzkirche mißlang 1994. Im März 1994 kam es zu neuerlichen, professionell durchgeführten Brandanschlägen auf deutsche Gefallenendenkmäler in Wiegschütz/Neumannshöh und Proskau, wobei es Anzeichen für eine Verantwortlichkeit des chauvinistischen Polnischen Westvereins gab.

Unter der eingeschüchterten Minderheit („Heute sind es die Denkmäler - morgen wir?“) und in der bundesdeutschen Presse sorgte indes die Ahndung eines Anschlags auf das Büro des deutschen Sejm-Abgeordneten Bruno Kosak in Kandrzin-Cosel als eine Ordnungswidrigkeit für Unverständnis. Die Richter hatten in der Urteilsbegründung Verständnis für die, wie sie sagten, antideutschen Emotionen des Täters geäußert und deshalb keine Straftat festgestellt. Die polnische Regierung und die Bundesregierung verurteilten die Gewalt gegen die Minderheit, Bonn bat „um ein klares politisches Signal“ in Polen. In der Folgezeit kam es zu weiteren Zwischenfällen, so zu abermals professionell ausgeführten Brandanschlägen auf die Gefallenendenkmäler in Groß Stein und Pietna/Teichgrund (Februar 1995) und das Denkmal der Gedenkstätte Lamsdorf (März 1997).