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01.09.01 Das Baltikum und die Deutschen: Verblaßte Feindbilder

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 01. September 2001


Das Baltikum und die Deutschen:
Verblaßte Feindbilder
Enttäuschung über zu geringe Wirtschaftsinvestitionen
von Werner Pfeiffer

Seit die baltischen Staaten das sowjetische Joch abschütteln konnten, richteten sie große Hoffnungen auf Deutschland. Mit gutem Grund: Denn ab dem 12. Jahrhundert haben Deutsche auf vielfältige Weise im heutigen Estland und Lettland gewirkt.

Dabei ging es allerdings nicht immer friedlich zu. Der Deutsche Ritterorden kam ins Land, um die Anhänger einer tiefverwurzelten Naturreligion zum Christentum zu bekehren. Diese wehrten sich bis in die Neuzeit mit blutigen Aufständen. Kaufleute der Hanse gründeten Städte und Handelsniederlassungen, oft unter dem Schutz mächtiger Ordensburgen. Zur Zeit der Zarin Katharina d. Gr. zog es deutsche Einwanderer in die aufstrebenden Städte.

Auch noch zwischen den beiden Weltkriegen war das Einvernehmen zwischen Esten und Deutschen keineswegs ungetrübt. So wurden in der ersten Estnischen Republik die baltendeutschen Großgrundbesitzer, die teils recht feudal geherrscht hatten, enteignet. Ihre Güter teilte man unter landlose estnische Bauern auf. In den Städten genoß das deutsche Bürgertum unterdessen - ebenso wie andere Minderheiten - eine sehr fortschrittliche weitgehende Kulturautonomie. Es gab eigene Schulen, Vereine, Theater und Zeitungen.

Andererseits existierte eine unverhohlene antideutsche Propaganda. Firmen mit deutschen Kapitalbeteiligungen wurden öffentlich angeprangert, und Esten mit deutschen Familiennamen erhielten die Aufforderung, sich Namen in der Landessprache zuzulegen.

All dies änderte sich grundlegend, nachdem das Baltikum 1940 von der Roten Armee besetzt und kurz darauf in die Sowjetunion eingegliedert worden war. Der Großteil der Deutschen Estlands und Lettlands hatte infolge der im Hitler-Stalin-Pakt vereinbarten Umsiedlung von 1939 ihre Heimat bereits verlassen. Der Rest folgte im Zuge der Nachumsiedlung 1941.

Als dann die deutschen Truppen im Sommer 1941 die sowjetischen Machthaber vertrieben, wurden sie von jubelnden Menschenmassen begrüßt. Obwohl sich die NS-Zivilverwaltung in der Folge viele Taktlosigkeiten leistete, kämpften estnische und lettische Freiwillige bis zum bitteren Ende Seite an Seite mit der Wehrmacht.

Und noch während der Sowjetherrschaft der Nachkriegsära besann man sich auch auf deutsche Wurzeln. Auf den Friedhöfen wurden deutsche Gräber mit Blumen geschmückt, und im Revaler Dom restaurierte man die Wappen der einst so verhaßten Adelsfamilien.

Nach der Wiedererlangung der Selbständigkeit rief Präsident Meri die Deutschbalten und deren Nachkommen zur Rückkehr auf; Immobilien wurden auf Antrag den einstigen Eigentümern wiedererstattet. Hanseatische Traditionen haben Hochkonjunktur, sogar die Schlösser der „baltischen Barone“ werden liebevoll restauriert und zu Sehenswürdigkeiten ausgebaut. Außerdem erinnert man sich beispielsweise daran, daß es deutsche Wissenschaftler waren, die den Esten ihre erste Grammatik gegeben haben, und daß die ersten estnischen Bücher in Deutschland gedruckt wurden.

Vergeblich hoffte man auf umfangreiche deutsche Wirtschaftsinvestitionen. Tatsächlich sind es heute vor allem Finnen und Schweden, in geringerem Maße Dänen und Norweger, die die maroden sowjetischen Betriebe durch moderne und leistungsfähige ersetzen. Die meisten europäischen Staaten sehen in Estland und Lettland bloß Absatzmärkte für ihre Waren und nicht die Chancen, die sich ihrer Produktion durch ein Heer von fleißigen Menschen böten. Oder sie wollen sie nicht sehen.

„Putin braucht nur die Stirn zu runzeln, schon gehen westliche Investoren und Politiker in die Knie“, beklagte sich mir gegenüber ein estnischer Wirtschaftsfachmann. Dabei werde, so fuhr er fort, „von den Russen jedes Nachgeben als Schwäche verstanden, die nur neue Forderungen weckt“. Und zu diesen gehöre es nun einmal, „daß Rußland einen Aufschwung bei uns bremsen will, um uns leichter wieder schlucken zu können“.

Angesichts solcher Szenarien und Bedrohungsvorstellungen sind private deutsche Hilfen um so höher zu bewerten. Auf einer Reise traf ich u. a. eine Gruppe schleswig-holsteinischer Geschäftsleute, die im großen Stil gebrauchte Landmaschinen aufgekauft hatte, um sie an estnische Bauern zu verteilen.

Krankenhäuser im Süden des Landes verfügen über Rettungswagen, die noch deutsche Aufschriften tragen, und bundesdeutsche Patenstädte laden Schulklassen und Folkloregruppen zu mehrwöchigen Aufenthalten ein. - Bis jetzt ist das alles noch ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber es hilft, alte, abgerissene Bindungen neu zu knüpfen.