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13.10.01 Jürgen Liminski über Bündnistreue im Zeichen des neuen Totalitarismus

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 13. Oktober 2001


Terror:
Der Krieg klärt die Fronten
Jürgen Liminski über Bündnistreue im Zeichen des neuen Totalitarismus

Die ersten Raketen und Schüsse werden immer zuerst im Kopf abgefeuert. Auch der Start der Flugzeugbomben vom 11. September erfolgte zuerst in den Hirnen der totalitären Islamisten. Aber jenseits der militärischen Aktionen haben die Terroristen diesem Krieg nicht ihren semantischen Stempel aufdrücken können. Freie Mediengesellschaften haben eigene Gesetze. So haben die USA in diesem Krieg drei Schlüsselbegriffe geprägt, die nach innen und außen auch den Grad des Engagements anzeigen: Krieg, Freiheit, Terror.

Es herrscht im Westen Einigkeit darüber, daß der Terrorismus barbarisch ist und die freiheitliche Zivilisation bedroht. Man hütet sich vor einer Gleichsetzung zwischen Terror und Islam und betrachtet den Islam als eine Religion, den Islamismus als seine ideologische Perversion. Für den Muslim und Islam-Experten Bassam Tibi ist „der Islamismus die wichtigste antiwestliche Ideologie im 21. Jahrhundert“. Man könne einen Dialog mit dem Islam führen. Eine Antwort auf die Herausforderung des Islamismus könne jedoch nur im Rahmen der Sicherheitspolitik gegeben werden. Das erleben wir zur Zeit.

Die Antwort ist militärisch klar, begrifflich jedoch unscharf. Es gibt Dissens beim Wort Krieg. Verteidigungsminister Scharping redet lieber harmonisierend von Konflikt, Kanzler Schröder mag über den Begriff „Kriegserklärung“ nicht mehr hinausgehen, Außenminister Fischer ist so betroffen, daß er sich nur empört und die Begrifflichkeiten anderen überläßt. Frankreichs Präsident Chirac umfährt den Begriff im rhetorischen Slalom und will ihn nicht gelten lassen. Für die Briten ist das keine Frage: „Wir sind im Krieg“, sagt Premier Blair und schickte eine Armada an den Golf. Bush nannte folgerichtig in seiner Rede im Kongress die Briten „unsere treuesten Verbündeten“. Das ist auch eine politische Abstufung. Washington mißt die Solidaritätsbekundungen Verbündeter nicht nur an ihrem emotionalen Gehalt, sondern auch an ihren Begriffen und Taten.

Nun kann man dem amerikanischen Präsidenten selbst semantische Fehlgriffe vorwerfen, etwa den Begriff des Kreuzzugs. Für die Amerikaner handelt es sich dabei um eine Metapher, um die Innigkeit und den Eifer auszudrücken, mit der ein Anliegen betrieben wird. Für die Muslims aber, deren Denken nachhaltig in der Vergangenheit behaftet und von religiösen Vorstellungen geprägt ist, sind die Kreuzzüge das, was sie waren: Feldzüge unter dem Zeichen des Kreuzes zur Eroberung islamischer Gebiete. Jemand muß Bush diesen Zusammenhang erklärt haben.

Ähnlich verhielt es sich mit dem Namen des Feldzugs: „Unbegrenzte Gerechtigkeit“. Auf den Einwand der arabischen Verbündeten, nur Allah sei grenzenlos gerecht, änderte Washington den Namen in „dauerhafte Freiheit“. Auch in diesen Begriffen schimmert eine religiöse Grundierung durch. Gerechtigkeit und Freiheit markieren das Denken des abendländischen Kulturkreises. Dieses Denken ist dem radikalen Islam fremd. Er kennt nur die Unterwerfung der Ungläubigen. Das ist das Denken des Totalitarismus, von dem der Nestor der deutschen Politikwissenschaft, Bracher, sagte, es führe „zur Selbsterhöhung“. Terroristen leben im Bewußtsein, für eine höhere Sache Krieg zu führen, die jedes Mittel rechtfertigt. Sie nehmen den Koran, Sure 47, beim Wort: „Und wenn ihr die Ungläubigen trefft, dann herunter mit dem Haupt, bis ihr ein Gemetzel unter ihnen angerichtet habt“. Es ist ein totaler Krieg. Amerikaner und Briten wehren sich gegen den neuen Totalitarismus. Viele Deutsche haben Angst vor ihm. Das mag vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte verständlich sein. Aber gerade davor und noch mehr vor der Zukunft hat keine deutsche Regierung das Recht, totalitäre Bedrohungen semantisch zu verniedlichen. Das kann die Freiheit kosten. Denn für Totalitäre ist das ein Schwächezeichen. Islamisten nehmen, so Tibi, die relativierende Position von Multi- Kulti-Anhängern „als Schwäche wahr und behaupten abwertend, die Christen hielten „im Namen der Nächstenliebe auch noch die zweite Wange hin, nachdem man ihnen einen Schlag auf die erste erteilt habe“. Für die Angelsachsen kann man das nicht sagen. Für sie sind die Bekundungen der Angst und die Mahnungen aus Europa eher Anlaß, den Treueschwüren aus Berlin nicht allzuviel Glauben zu schenken.

In Washington beobachtet man, wie sich die semantische Debatte in Europa entwickelt. Die Beflissenheit, die manche Europäer an den Tag legen, wenn es um nicht-christliche Religionen geht, dürfte dabei nicht nur auf Verständnis stoßen. Zwar unterscheidet man in den USA auch zwischen Islam und Islamis-mus, aber man nimmt das nicht zum Anlaß, alles über den Kamm der Relativität zu scheren und jede Religion als gleichwertig zu proklamieren. So geschehen im Fall Berlusconi. Italiens Premier hatte im Kreis der Staatschef-Kollegen seine Version von den Kulturen in Orient und Okzident kundgetan, und niemand hatte widersprochen. Als er dies dann öffentlich tat, erhob sich ein Sturm der Entrüstung. Dabei hatte er nur eine alte Tatsache beim Namen genannt: Der Islam ist rückständig, er hat weder Aufklärung noch Gewaltenteilung noch die Revolution der Menschenrechte erlebt. Im Westen mag vieles im argen liegen, in Sachen Grundrechte ist die westliche Kultur weiter, auch wenn sie diese Rechte nicht immer zur Geltung kommen läßt, siehe Abtreibung, siehe Todesstrafe, siehe Gentechnik. Auch im Westen wohnen Barbaren, aber in der islamischen Welt sind sie noch systemimmanent, es gibt, wie der Orientexperte und Muslim Bassam Tibi in dieser Zeitung sagte, nur die Alternative zwischen Reform-Islam und Taliban. Sicher, der Zeitpunkt für solche Äußerungen war schlecht gewählt. Die Weltallianz, die Washington gegen den Terrorismus zusammentrommelt, kommt ohne arabische Staaten nicht aus. Sie müssen sich durch solche Äußerungen brüskiert fühlen. Aber sie haben auch selber ein Interesse daran, daß die radikal-terroristischen Islamisten zur Strecke gebracht werden, denn diese bedrohen auch ihre Regime. Es gibt keinen Grund, jetzt als Gegenreaktion auf Berlusconi oder aus Angst vor muslimischen Mitbürgern den Islam politisch heilig zu sprechen oder die Gleichwertigkeit aller Religionen zu beschwören. Wir sind zwar alle Kinder Gottes, aber das Bild von diesem ist doch unterschiedlich. Es muß erlaubt bleiben, darüber zu diskutieren und sowohl Christen als auch Muslimen einzuräumen, daß sie glauben, sich auf dem jeweils wahren Weg zu befinden. Nicht die relativierende Gleichwertigkeit ist ein Zeichen von Toleranz, sondern das Akzeptieren der Unterschiede.

Der Krieg verwirrt die Begriffe, meinte der griechische Geschichtsschreiber Thukydides. Er hätte heute jede Menge Anschauungsmaterial in Deutschland. Nicht nur mit Blick auf den Islam. Feige, aber politisch korrekt ist in diesem Sinn die Haltung gegenüber Rußlands Putin. Auf einmal sind die Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien kein Thema mehr. Nur weil Putin im Bundestag so gekonnt auf den Saiten der deutschen Politikerseele die Druschba-Melodie, die Sirenenklänge der Freundschaft anstimmte. Kein Wort mehr von den mehr als hunderttausend Toten des Tschetschenienkrieges, von den Öl- und Kolonialinteressen Moskaus im Kaukasus oder von politischen Lösungen mit dem demokratisch gewählten Präsidenten Maschadow. Moskau müsse eingebunden werden in die Anti-Terror-Front, heißt es. Wenn Putin als ehemaliger KGB-Mann den psychologischen Krieg probierte, hat er in Deutschland einen großen Sieg davongetragen. Nur einer hielt dagegen, der CSU-Europapolitiker und Präsident der Sudetendeutschen, Bernd Posselt.

Oder der Wahlsieg des Roland Schill in Hamburg. Es fehlt nicht viel, und man würde ihn statt Roland jetzt Osama nennen. Sein Sieg wirbelt die deutsche Politik durcheinander. Dabei passen seine Vorschläge haargenau in die aufkommende Sicherheitshysterie. Aber er ist unkonventionell und gehört zu den „anderen“, den politisch Unkorrekten. Nur: das Naserümpfen ist kein Argument, damit sind keine Wahlen zu gewinnen. Die feinen und korrekten Leute auf der politischen Bühne werden sich bald bequemen müssen, dem Volk mehr zu bieten als billige Rhetorik. Kriege verwirren zwar die Begriffe, aber sie klären auch die Fronten. An der Semantik der Politiker aber sind die Linien der Fronten, der Ängste und der Bündnistreue abzulesen.