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20.10.01 / Alljährlich am 6. Oktober findet der von Ronald Reagan 1987 initiierte »Tag der Deutschamerikaner« statt

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 20. Oktober 2001


USA:
Als Kalifornien preußisch werden sollte ...
Alljährlich am 6. Oktober findet der von Ronald Reagan 1987 initiierte »Tag der Deutschamerikaner« statt
von Martin Schmidt

Zum Feiern war den Deutschamerikanern an ihrem Ehrentag, dem 6. Ok-tober, diesmal angesichts der Terroranschläge von New York und des drohenden Kriegs nicht zumute. Ronald Reagan hatte den „Tag der Deutschamerikaner“ 1987 ins Leben gerufen, zu einer Zeit, als die USA noch mit der zweiten Supermacht Sowjetunion um die Vormachtstellung in der Welt rangen und der Feind klar erkennbar war.

Auch die für den 22. September geplante New Yorker „Steuben-Parade“, benannt nach dem preußischen Offizier Friedrich Wilhelm von Steuben - General- inspekteur der Truppen Washingtons im Unabhängigkeitskrieg -, wurde aus verständlichen Gründen abgesagt (2002 soll sie am 21. September stattfinden).

Die weltumspannende Bedrohung durch den militanten Islamismus und die Interessengemeinschaft der westlich-abend- ländischen Staaten bei dessen Bekämpfung ist aber Anlaß genug, sich mit der „natürlichsten“ Brücke zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland zu beschäftigen: den Deutschamerikanern.

Ihre Geschichte ist reich an Persönlichkeiten, bemerkenswerten Erfolgen, schweren Demütigungen und abenteuerlichen Episoden aller Art, von denen im folgenden eine besonders faszinierende in Erinnerung gerufen werden soll. Sie zeigt, wie unterschiedlich sich noch im 19. Jahrhundert das Verhältnis verschiedener europäischer Einwanderergruppen zur indianischen Urbevölkerung Amerikas gestaltete. Die Episode spielte sich in den 1840er Jahren in Texas ab, also dem Heimatstaat des heutigen US-Präsidenten George W. Bush.

Am 9. Mai 1847 schloß dort der deutsche „Texasverein“ ein Friedensbündnis mit den Komantschen-Stämmen. Das Besondere: Der in deutscher und englischer Sprache ausgefertigte und vom Vereinsvorsitzenden Freiherr von Meusebach bzw. zwanzig Häuptlingen unterzeichnete Vertrag wurde von beiden Seiten strikt eingehalten. Ja, er gilt sogar als das einzige zwischen Weißen und Indianern in Texas jemals geschlossene Abkommen, von dem sich dies zweifelsfrei sagen läßt.

Die deutschen Bauern kauften Fleisch und Felle von den Komantschen, während diese bei ihren Raub- und Vergeltungszügen sehr genau zwischen den landhungrigen amerikanischen Pionieren und den deutschen Neuankömmlingen unterschieden.

Ergänzend zu dem Vertrag kam man auf Wunsch der Komantschen überein, daß einer der Weißen länger mit diesen zusammenleben sollte. Die Wahl fiel auf den zwei Jahre zuvor nach Texas eingewanderten Baron Emil Kriewitz. Dessen weiteres Schicksal könnte aus der Feder Karl Mays stammen: Kriewitz gewann das Vertrauen des Häuptlings, heiratete dessen Tochter und wurde letztlich sogar sein Nachfolger.

Diese „Karriere“ war keineswegs einmalig. So traf ein im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg für die Engländer kämpfendes waldeckisches Regiment im Jahre 1778 in Florida auf einen gegnerischen Indianerstamm, dessen Häuptling sich als der hessische Landsmann Johann Konrad Brandenstein entpuppte. Auch er hatte eine Indianerin geheiratet, die Sprache, Sitten und Kleidung des Stammes angenommen. Mit seinen Kindern soll er allerdings weiter deutsch gesprochen haben.

Doch zurück nach Texas: Zentraler Inhalt des im Mai 1847 unterzeichneten Abkommens war die Überlassung von Siedlungsland im mittleren Teil des Landes. 3.000 Dollar ließ es sich der Texasverein kosten, damit der sogenannte „Fisher-Miller-Grant“ mehreren tausend ab Herbst 1845 angeworbenen Deutschen offenstand. Neu-Braunfels und Fried-richsburg, zwei durch den Verein gegründete Orte, entwickelten sich rasch zu blühenden Städten. In der von den Indianern gekauften Region entstanden außerdem die bis heute existierenden Städte Mason, Brady, Comfort, Llano, Paint Rock und San Baba. Dort gibt es noch immer viele Nachfahren der ersten deutschen Siedler.

Der am 20. April 1842 in Mainz gegründete Texasverein, dessen vollständiger Name „Verein deutscher Fürsten und Edelleute zum Schutze deutscher Einwanderer in Texas“ lautet, konnte seinen Unternehmungen durch den Indianer-Vertrag wenigstens einen guten Abschluß verleihen. Denn bis dahin waren sie vor allem von Unfähigkeit und Unglück gezeichnet. Das texanische Adelsabenteuer begann damit, daß sich die Texaner 1836 von Mexiko unabhängig machten. Daraufhin wurde ihr Land für national-freiheitliche Kreise in Deutschland zum Symbol eigener Hoffnungen und fand erhebliche Beachtung in der Öffentlichkeit. Hoffmann von Fallersleben brachte 1845 eine Sammlung von „Texasliedern“ heraus, und der Romanautor Karl Postl alias Charles Sealsfield lieferte im selben Jahr in seinem „Kajütenbuch“ das Idealbild einer freien Siedlergemeinschaft im neuen „Eldorado“.

Knapp eine halbe Million Deutsche wanderte zwischen 1840 und 1850 in die Neue Welt aus. Auch einige Fürsten, Adlige und Militärs kamen angesichts dieser gewaltigen Bewegung ins Nachdenken. Ihre Kernfragen lauteten: Wie konnte man aus dem Verlust so vieler Bürger einen Vorteil auch für die alte Heimat erzielen, und wie ließen sich die Bindungen der Auswanderer an Deutschland und die deutsche Kultur dauerhaft verfestigen? - Die im Texasverein zusammengeschlossenen 33 Angehörigen deutscher Adelshäuser, unter ihnen Prinz Friedrich von Preußen und Herzog Adolph von Hessen-Nassau, träumten den in dieser Zeit modernen Traum eines „Neu-Deutschlands“. Andere hatten hierfür Kalifornien auserkoren, das Preußen von Mexiko zum Kauf angeboten worden war, oder die Chatham-Inseln bei Neuseeland. Doch das noch weitgehend menschenleere Texas schien eine realistischere Möglichkeit zu bieten, so etwas wie ein deutscher Staat in Amerika zu werden. Außenpolitisch erhoffte man sich die britische Unterstützung eines solchen Gegengewichts gegen die aufkommende Großmacht USA. Zu Hause ließen die Verantwortlichen in allen großen Zeitungen die Zielsetzungen des zu einer Aktiengesellschaft umgewandelten Vereins bekanntmachen. Demnach sollten große deutsche Siedlungen in Texas die überschüssigen Arbeitskräfte des eigenen Landes aufnehmen und den deutschen Überseehandel beflügeln. Jeder interessierten Familie wurde die Bezahlung der Überfahrt und die Überlassung von 320 Acres Grund und Boden (etwa 130 Hektar) zugesagt sowie die Lebensmittelversorgung bis zur ersten Ernte, ärztliche Betreuung, Kirchen und Schulen. Sehr bald stellte sich heraus, daß die großzügigen Versprechungen nicht einzuhalten waren. Bereits die ersten Siedler, die 1845 dem Aufruf gefolgt waren, mußten wegen akuten Geldmangels des Vereins 600 Gulden für die Überfahrt sowie für die ersten Kosten in der neuen Heimat bezahlen. Ärmere Bauern und Handwerker, denen eigentlich das Hauptaugenmerk gegolten hatte, schieden damit als Teilnehmer aus. In den ersten zwei Jahren der Ansiedlung sollte die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit dann noch tiefer werden. Der 33jährige Prinz Carl zu Solms, ein in österreichischen Diensten stehender Rittmeister und Generalkommissar der Gesellschaft, durchstreifte mit einigen Anhängern Texas, um nach geeignetem Siedlungsland zu suchen. Derweil waren die ersten Auswanderer bereits angekommen und warteten auf die angekündigten Höfe. Da die ins Auge gefaßten Territorien im Komantschengebiet für die entkräfteten Siedler zu weit entfernt waren, erwarb der Prinz einen Streifen fruchtbares Land am Fluß Guadelupe. Dann führte er seine Landsleute selbst ans vermeintliche Ziel ihrer Träume: Neu-Braunfels. So hatte der Generalkommissar des Texasvereins die Siedlung nach dem Stammsitz seiner Familie benannt. Der draufgängerische Prinz wurde dem Verein zum Verhängnis. Nicht nur, daß er für die erste Versorgung der Siedler alles vorhandene Geld aufbrauchte, nein, er machte obendrein Schulden und mußte gegen Zahlung hoher Summen aus der von einem Gläubiger angestrengten Schutzhaft freigekauft werden. Zu allem Überfluß setzten die Vereinigten Staaten der texanischen Selbständigkeit 1845 ein Ende. Die Idee eines dort zu gründenden „Neu-Deutschlands“ war damit ge- storben.

Der preußische Baron Hans Otfried von Meusebach versuchte als Nachfolger von Solms’ zu retten, was noch zu retten war. Der 1812 in Dillenburg geborene Jurist und Beamte sah sich mit der Ankunft Dutzender von Schiffen konfrontiert, die im Winter 1845/46 über 4000 deutsche Auswanderer brachten. Doch das für diese Siedler gedachte Geld war infolge der vorangegangenen Mißwirtschaft aufgebraucht. Über Monate hinweg mußten die Neuankömmlinge an der sumpfigen Küste des Golfs von Mexiko unter Zeltplanen oder in Erdlöchern auf ihren Weitertransport warten. Seuchen breiteten sich aus. Hunderte starben, und weitere Opfer kamen hinzu, nachdem sich die Siedler im Sommer 1846 endlich nach Neu-Braunfels in Bewegung setzten konnten. Als die deutsche Öffentlichkeit von dem mit tausend Toten teuer bezahlten Unternehmen erfuhr, war der Ruf des Texasvereins vollends ruiniert. Von einer Förderung durch den Deutschen Bund, wie ihn die Vereinsspitze erhofft hatte, konnte keine Rede mehr sein. Da half es auch nichts, daß Meusebach den zweiten Gründungsort zu Ehren des preußischen Prinzen „Friedrichsburg“ taufte. Der von „El Sol Colorado“ (Rote Sonne), so nannten die Indianer Baron Meusebach wegen seines Bartes, initiierte Friedensvertrag stand bereits am Ende der 1847 allmählich eingestellten Aktivitäten des Texasvereins. Während die Zeitgenossen das texanische Abenteuer als restlos gescheitert betrachteten, sieht die Bilanz nach anderthalb Jahrhunderten differenzierter aus. Immerhin waren insgesamt 8000 Bauern, Handwerker und Bürger dem Ruf der Adligen gefolgt. Daß die texanische Unabhängigkeit nur von kurzer Dauer war und mit ihr auch die Vision eines „Neu-Deutschlands“ scheiterte, daran konnte der noch in den organisatorischen Kinderschuhen steckende Verein nichts ändern.

Der flächenmäßig zweitgrößte US-Bundesstaat blieb dennoch über Jahrzehnte eines der wichtigsten Ziele deutscher Auswanderer. Bis zum Ersten Weltkrieg gelang es der Masse dieser Siedler, ihre Kultur und Sprache zu bewahren. Danach brach das eigene Organisations- und Pressewesen weitgehend zusammen, und die Deutschen assimilierten sich im Zeitraffertempo.

Heute sollen unter den über 13 Millionen Einwohnern von Texas knapp eine Million deutscher Herkunft sein. Es gibt Ortsnamen wie „Boerne“ (nach dem Schriftsteller und Publizisten Ludwig Börne), „Bettina“ (nach Bettina von Arnim), „Uhland“ (nach Ludwig Uhland) und „Weimar“. Seit 1978 besteht mit der „German-Texan Heritage Society“ wieder ein großer Verein, der sich die Pflege der kulturellen und geschichtlichen Traditionen zur Aufgabe macht. In der 25.000-Einwohner-Stadt New Braunfels treffen sich rund um die Fachwerkhäuser im Oktober 150.000 Besucher zum „Wurstfest“.

Manch einer der Texas-Deutschen denkt dann bei Bratwurst und Bier an die harte Anfangszeit der Vorfahren zurück - und vielleicht auch an den unfähigen Prinzen von und zu Solms und den tüchtigen preußischen Baron „John O.“ Meusebach.

 

Steuben-Parade 1988 in New York: Soldaten der Bundeswehr marschieren zu Ehren des Generalmajors deutscher Herkunft hinter der deutschen Flagge her. Wilhelm von Steuben hatte erheblichen Anteil am Sieg der Truppen George Washingtons über das britische Heer. In der Nachkriegszeit ist der Einfluß der Deutschamerikaner übermäßig stark eingeschränkt gewesen.