Die Polen verehren die Schwarze Madonna, die Franzosen ihre Jeanne d’Arc, die Österreicher huldigen Maria Theresia, und die Engländer haben sich ihre Königinnen Elisabeth I. und Victoria aufs Panier geheftet. Nur die preußisch-deutsche Ikonographie hat auf das „zivilisierende Gegenelement“ des Weiblichen (Christian Graf Krockow) verzichtet und ausschließlich das Männlich-Soldatische betont.

Doch gibt es eine - fast vergessene - Ausnahme: Preußens von 1776 bis 1810 lebende Königin Luise, die Gattin Friedrich Wilhems III., geborene Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz. Im Jahre 1793 hielt die Braut des Kronprinzen ihren triumphalen Einzug in der Hauptstadt Berlin. An ihrer Seite befand sich ihre Schwester Friederike, die Verlobte des jüngeren Bruders des Kronprinzen. Die Schwestern waren von außergewöhnlicher Schönheit und Anmut. Beeindruckt schrieb Johann Wolfgang von Goethe, man könne „beide Damen für himmlische Erscheinungen halten, deren Eindruck auch mir niemals erlöschen wird“. Novalis ermahnte Friedrich Wilhelm: „Mehr als ein Königreich gab der Himmel dir in Luise …“, Heinrich von Kleist und Jean Paul ließen sich ähnlich vernehmen.

Nach der Niederlage von Jena und Auerstedt im Oktober des Jahres 1806 flüchtete sie unter dramatischen Umständen nach Memel. In einer Unterredung mit Napoleon Bonaparte versuchte sie vergeblich, eine Milderung der Friedensbedingungen zu erlangen. Durch ihren frühen Tod im Sommer 1811 wurde sie endgültig zur mythischen Figur, zur preußischen Schmerzensmutter und, mit Beginn der Befreiungskriege, zum „guten Engel für die gute Sache“ (Theodor Körner). Mit der Stiftung des Luisen-Ordens 1814 wurde der Luisen-Kult zum Bestandteil preußischer Staatsräson.

Königin Luise war eine politisch, geistig und künstlerisch interessierte Monarchin. In der borussischen Hagiographie wurde sie ausschließlich als Dulderin sowie vorbildliche Gattin und Mutter beschrieben. Der Luisen-Kult erhielt zunehmend kitschige Züge. In der Weimarer Republik wurde er von den Anhängern einer monarchistischen Restauration fortgeführt. Das Dritte Reich konnte mit Luise wenig anfangen. De Bruyns Behauptung, sie sei damals in „Literatur, Film oder politischen Reden“ überhaupt „kein Thema“ gewesen, ist jedoch falsch. In Veit Harlans „Kolberg“ hat sie - gespielt von Irene von Meyendorff - einen herausgehobenen Auftritt, bei dem sie allerdings schattenhaft bleibt. Der „gute Engel“ war als Walküre des Endsiegs einfach ungeeignet. Nach dem Krieg geriet Luise rasch in Vergessenheit.

De Bruyns Essay hinterläßt einen zwiespältigen Eindruck. Biographie und Wirkungsgeschichte der Monarchin werden in knapper, übersichtlicher Form dargestellt, aber die geschichtlichen Hintergründe bleiben blaß, und die Ausführungen zur Mythisierung geschichtlicher Figuren bewegen sich auf Pennäler-Niveau. De Bruyn schreibt „unglaublich“ statt „unglaubwürdig“ und bringt syntaktische Monster von der Art zustande: „Die mit Sieg endende Bekämpfung Napoleons vor allem durch Preußen …“ Ein guter Lektor hätte solche Schludereien ausgemerzt. Leider ist der Siedler-Verlag auch nicht mehr das, was er einmal war. Thorsten Hinz