19.04.2024

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03.11.01 Ernst-Wiechert-Renaissance

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 03. November 2001


Ernst-Wiechert-Renaissance
Die Wiederentdeckung des ostpreußischen Dichters in der Republik Polen

Eine wahre Wiechert-Renaissance findet statt, fast so, wie es sich die Internationale Ernst-Wiechert-Gesellschaft immer gewünscht hat. Allerdings findet diese Wiederentdeckung nicht in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in der Republik Polen statt. Zentrum des Geschehens ist Allenstein. Im frisch renovierten Kopernikus-Haus der Allensteiner Gesellschaft deutscher Minderheit wurde im August eine Ernst-Wiechert Ausstellung er-öffnet. Dort wurde auch Wiecherts kürzlich erstmals in polnischer Sprache erschienener Roman „Das einfache Leben“ vorgestellt. Herausgeber ist die Allensteiner Kulturgemeinschaft Borussia.

Bei der Präsentation am 30. August stand der Übersetzer Tadeusz Ostojski Rede und Antwort. Ostojski, der unter anderem auch Werke von Erich Remarque und H. H. Kirst ins Polnische übertrug, hatte diese Übersetzung schon zehn Jahre in der Schublade liegen, bevor sich mit der Borussia ein geeigneter Verlag fand. Die Frage, ob er selbst Wiechert schätze, bejahte Ostojski, auch wenn er sich nicht wie Wichert als konservativen Idealisten sähe, sondern als skeptischen Rationalisten.

Breiten Raum fand die Wiechert-Übersetzung in der polnischen Presse, vor allem im Allensteiner Raum. Die polnischen Journalisten kommen dabei auch zu durchaus neuen und erstaunlich anderen Schlüssen als bisher. Eine imponierende philosophisch-moralische Konstruktion habe Wiechert um die Geschichte des Ex-Offiziers der kaiserlichen Marine Thomas von Orla gebaut, schrieb Ewa Mazgal von der „Gazeta Olsztynska“ und ging ausführlich auf Werk und Autor ein. Erstaunliche Parallelen zieht die Journalistin zwischen Wiecherts Romanfigur Marianne von Platen und Marion Gräfin Dönhoff. Beide seien Repräsentantinnen eines preußischen Traums von Frieden und Gerechtigkeit, von der Harmonie zwischen Menschen und Erde, Mythen der Vergangenheit und der Gegenwart, der im Winter 1945 zu Ende gegangen sei, als die Rote Armee Ostpreußen eroberte. Diese wahrhaftige ostpreußische Tradition äußere sich in genau dieser Mischung aus Gutsbesitzer- und Soldatenblut - kein Wort mehr von parasitärem Junkertum und der Verteufelung Preußens, selbst das Wort Ostpreußen wird ganz unverkrampft benutzt.

Wenn auch Wiecherts schriftstellerischer Rang umstritten sei, bleibe er gerade deshalb aktuell, weil er nicht den Strömungen der Zeit folgend den sozialkritischen Ansatz gesucht habe, ist der Tenor der polnischen Presse. Die Zeiten großer ideologischer Verbiegungen und Vereinnahmungen scheinen vorbei.

Auch in seiner Heimat gilt Wiechert nun wieder als großer Mann Masurens. Mit der Übersetzung des „Einfachen Lebens“ wollte der Verlag Borussia dazu beitragen, ein Stück kultureller Identität der Region den heutigen Bewohnern nahe zu bringen. Brigitte Jäger-Dabek