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10.11.01 Freundliches Nachdenken über eine deutsche Karriere in schwerer Zeit

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 10. November 2001


Wolf Biermann:
»... und bin gefallen«
Freundliches Nachdenken über eine deutsche Karriere in schwerer Zeit
von Doris Neujahr

Der Zorn des Wolf „Jupiter“ Biermann ist fürchterlich. Die wahlsiegende PDS nennt er die „lachende Erbengemeinschaft einer kriminellen Bande marxistelnder Ausbeuter, Mörder, rotgetünchter Heuchler und Unterdrücker, die sich mit neuem Firmenschild wie ein schuldlos neugeborenes Kind in das wiedervereinigte Deutschland retteten“. Seine Blitze richtet er auf die Ossis in ihrem „breitärschigen Selbstmitleid“, auf die „von Stasi-Metastasen zerfressenen“ Bürgerrechtsgruppen, auf Sascha „Arschloch“ Anderson, IM und Chef jener Literatenszene vom Prenzlauer Berg, die schon vor 20 Jahren seine Lieder überholt fand. Er behauptet das Gegenteil und kommt doch von der DDR nicht los. Er ist dabei von der stärksten, verzehrendsten Leidenschaft erfüllt, die es gibt: vom Haß, der aus enttäuschter Liebe kommt.

1976 hatte die DDR ihm die Tür gewiesen (neuerdings wird behauptet: auf seine eigene Anregung hin), und als er im Dezember 1989 wieder zu ihr durfte, fand er keine vom Zwangskorsett befreite, wilde Schöne vor, mit der er den ersehnten wahren Sozialismus tanzen konnte, sondern ein „Riesenkadaverlein“, um das niemand mehr trauern mochte. Wozu das alles, mußte er sich fragen. Wozu die vielen Jahre im grauen Ostteil Berlins, statt unter Italiens Sonne, da doch die Hälfte der Zeit allemal gereicht hätte, um Deutschlands berühmtester Liedermacher zu werden! Wozu also der ganze Ärger mit den SED-Bonzen und den Stasi-Wanzen und später mit der Springer-Presse?

Biermann, der 1953 als Siebzehnjähriger aus Hamburg in die DDR übersiedelte, war ein Riesentalent, das bissigste Scharfmaul und der zarteste Lyriker. Eines Tages, hoffte er, würde die DDR-Führung erkennen, daß sein Ansingen gegen den Partei-Kretinismus der beste Dienst an der kommunistischen Sache war und die DDR sich keinen treueren Troubadour wünschen konnte. Doch die Bonzen waren klüger als Biermann. Ihr unfehlbarer Machtinstinkt sagte ihnen, daß der Sozialismus im real existierenden Stumpfsinn zu sich selber gekommen war und jeder Versuch, ihn zu reformieren, dem Zündeln am Benzinfaß gleichkam.

Die Jahre nach dem Mauerbau waren Biermanns glücklichste. Sicherheitspolitisch konsolidiert, leistete die DDR sich eine kulturpolitische Lockerung, sogar gegenüber dem renitenten Jungbarden. Aber 1965 wurde er mit einem Auftrittsverbot belegt. Seine Bühne war jetzt die Wohnung in Berlin, Chausseestraße 131. Die Adresse wurde zum legendären Treffpunkt für DDR-Oppositionelle, freigeistige Künstler, für West-Linke und Stasi-Observateure. Mitschnitte seiner Lieder zur Gitarre wurden nach Westberlin gebracht, auf Platten gepreßt und kamen auf Umwegen wieder unters DDR-Volk. Biermann und sein Mentor Robert Havemann wurden zu Propheten eines demokratischen DDR-Sozialismus. Unbeirrt pries er die DDR als das bessere Deutschland, ausgestattet mit einem historischen Vorsprung, den man nur in Freiheit setzen mußte! Als Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Schütz („Rudi Dutschkes Rufmörder") ihm 1969 einen Preis verlieh, reichte er das Preisgeld an den Rechtsanwalt Horst Mahler weiter, für die APO-Rechtshilfe. Die APO war sein wichtigstes Publikum im Westen der Bundesrepublik, leider löste sie sich zu schnell auf. Auch in der DDR blieb sein Fluchen, Warnen, Flehen ungehört, sein Status als linker Systemkritiker wurde mehr und mehr zum Selbstzweck. Vor 25 Jahren, am 13. November 1976, trat er bei einem Konzert der IG Metall in Köln auf. Kurz danach gab die DDR-Führung seine Ausbürgerung bekannt, er wurde nicht mehr ins Land gelassen.

Der DDR-Liedermacher Reinhold Andert, 1990 für kurze Zeit Vertrauter des gerade gestürzten Honecker, behauptet in dem auch ansonsten über das Umfeld der so schmählich gescheiterten Führungselite äußerst informativen Buch „Nach dem Sturz“, es habe sich um eine abgekartete Aktion gehandelt, mit der Biermann seinen verblassenden Dissidenten-Nimbus wieder aufpolieren und sinkende Verkaufszahlen auffangen wollte. Der Ausbürgerungsbeschluß sei ein Freundschaftsdienst Margot Honeckers gewesen. Andert schreibt, daß zwischen dem Sänger und der Volksbildungsministerin Margot Honecker seit Kindertagen ein geschwisterliches Verhältnis bestanden habe, das nie abgebrochen sei. Biermann kam sogar zu Privatkonzerten in ihr Ministerium, und Margot habe ihn noch am Abend vor der Abreise in seiner Wohnung aufgesucht, um letzte Absprachen zu treffen.

Biermann hat dazu bislang geschwiegen. Natürlich sind die Behauptungen mit Vorsicht zu genießen. Andert, der der FDJ- Singebewegung entstammt, ist ein gescheiterter Konkurrent. In den siebziger Jahren war versucht worden, ihn in Ost und West als Ersatz-Biermann zu lancieren, doch Andert verfügte nicht annähernd über das nötige künstlerische Format.

Dennoch spricht vieles für seine Darstellung. Die lange Bekanntschaft zwischen Biermann und Margot Honecker ist unstrittig. Bewiesen ist auch, daß die Entscheidung über Biermanns Einreiseverbot von den Honeckers im Alleingang getroffen wurden. Die Gefahr der künstlerischen Stagnation war zu diesem Zeitpunkt ebenfalls unübersehbar. Biermann wechselte vom linken Wagenbach-Verlag zu CBS, stilisierte sich zu seinem eigenen Denkmal und pries es marktgerecht an. In den frühen Aufnahmen hatten die unterlegten Straßengeräusche „als Orts- und Situationsbeschreibungen seines Sich-eingepfercht-Fühlens“ gedient, jetzt waren sie kühl berechnete „dramaturgische Ausrufezeichen“ (G.-F. Kühn). Damit aber verlor er seine Glaubwürdigkeit. In einigen Liedern von 1975/76 klingt seine Resignation an: „Ich möchte am liebsten weg sein/ Und bleibe am liebsten hier.“ Die DDR war für ihn zur Sackgasse geworden. Was folgte, ist bekannt: Ein knappes Dutzend renommierter DDR-Autoren und ein Bildhauer verfaßten eine Protestnote. Darin fiel das Wort „protestieren“, sonst war sie überaus maßvoll formuliert. Es wurde nicht etwa gefordert, sondern nur „gebeten“, Biermanns Ausbürgerung zwar nicht sofort zurückzunehmen, aber wenigstens zu „überdenken“. Und vorsorglich „distanzierte“ man sich von einem möglichen „Mißbrauch“ des Schreibens. Aber immerhin. Die DDR-Medien dachten gar nicht daran, den Brief zu publizieren. In den Abendnachrichten von ARD und ZDF bildete er die Spitzenmeldung.

Hysterie brach los. Im „Neuen Deutschland“ wurden seitenlang Ergebenheitsadressen von DDR-Künstlern abgedruckt. Es kam zu Verhaftungen, Berufsverboten, inquisitorischen Tribunalen. Später wurde die Biermann-Affäre als vertane letzte Chance und als Anfang vom Ende der DDR bezeichnet. In Wahrheit hatte die DDR-Führung wieder einmal besser als ihre Kritiker begriffen, was der Fall war, und aus ihrer Perspektive rational reagiert.

Der Sommer 1976 war heiß gewesen. Die DDR, die endlich ihre internationale Anerkennung erreicht hatte, mußte feststellen, daß ihre Existenz dadurch nicht sicherer geworden war, im Gegenteil. Die Anwesenheit ausländischer Diplomaten und Medienvertreter schuf eine neue, schwer kontrollierbare Situation, und der Beitritt zu internationalen Organisationen und Verträgen gab den DDR-Bürgern Gelegenheit, sich auf externe Instanzen und Verbindlichkeiten zu berufen. Im August 1976 hatte der aus Ostpreußen stammende Pfarrer Oskar Brüsewitz in der sächsischen Stadt Zeitz ein Transparent entrollt („Die Kirche in der DDR klagt den Kommunismus an wegen Unterdrückung in Schulen an Kindern und Jugendlichen“), sich mit Benzin übergossen und angezündet. Im September erschien in Westdeutschland Reiner Kunzes Erzählband „Die wunderbaren Jahre“, in dem der Autor ein schockierendes Bild von der Unterdrückung der DDR-Jugend zeichnete und den Vergleich zwischen der SED und den Nazis wagte. In dieser aufgeheizten Situation Biermann zurückzuholen, Fehler einzuräumen und offene Diskussionen zuzulassen, wäre einem politischen Selbstmord gleichgekommen!

Die Unterzeichner der Protestnote waren kaum klüger als der machtpolitische Rest des Landes. Keine politische Analyse, kein Reform- und Aktionsprogramm lag in ihren Schubläden. Als junge Leute anfragten, was als nächstes zu tun sei, erhielten sie die Antwort: Nichts! Der Protest war als moralisches und nicht - Gott bewahre! - politisches Fanal gemeint. Schon zu dieser Zeit war die DDR ohne ernstzunehmende politische Oppositon.

„(...) ach! kommen bin ich/ vom Regen in die Jauche“, war Biermanns erstes Lied im Westen. Richtig war daran, daß er sein Koordinatensystem verloren hatte und kein überzeugendes mehr finden sollte. Im Herbst 1989, als die DDR schon wankte, die Mauer aber noch stand, unterhielt er sich mit Bärbel Bohley via „Deutschlandfunk“ über den Traum von einer neuen DDR. Man spürte seine Vorfreude auf das anstehende Getümmel. Am 1. Dezember 1989 gab er in Leipzig sein erstes DDR-Konzert. „Mitten im Zusammenbruch der SED-Herrschaft“, schrieb er, seien seine Lieder „in den Schnittpunkt einer geschichtsschweren Situation“ geraten. Eine fromme Lüge. Er selber wußte am besten, daß er mit seinem Gesang im Abseits geblieben war. Das Publikum verlor sich in der riesigen, ausgekühlten Messehalle, und Biermann, gerührt und aufgeregt, servierte ihm kalten Kaffee. Für die Besucher war er fleischgewordene Geschichte, ein Ereignis, das man sich nicht entgehen ließ, aber kaum etwas von dem, was er sang und sagte, ging sie noch etwas an. Was sollten sie halten von den ollen Kammellen über die Pariser Kommune und den Prager Frühling und von den Versen: „Die DDR auf Dauer / braucht weder Knast noch Mauer“, wo doch die Zeit bis zum 9. November 1989 das Gegenteil bewiesen hatte, und die Wochen danach erst recht?

Eine Lebenslüge brach zusammen. Wie die meisten politischen Propheten hatte Biermann keiner stummen, schweigenden Mehrheit die Worte von den Lippen genommen, sondern nur für sich selber gesprochen. Und jetzt, da ihnen die Angst nicht mehr im Nacken saß, wollten die Ossis dem Bild, das Biermann sich von ihnen gemacht hatte, noch weniger entsprechen als zuvor.

Er begriff die Lage schnell. Im Februar 1990 publiziert er in der Zeit seine erste Publikumsbeschimpfung: „Wer vierzig Jahre lang alles schluckte, spuckt jetzt endlich mal große Töne. Brave Bürger, die zur sogenannten Wahl gingen wie die Kälber am Strick, brüllen jetzt wie die Löwen. Duckmäuser, die ihr Leben lang mit gutem Grund schwiegen, skandieren jetzt Helmut, Helmut.“ Das stimmte aufs Wort und war doch bloß die halbe Wahrheit. Über den eigenen Anteil an der beklagten Unmündigkeit schwieg er lieber. „Das kommt, weil ich mein Deutschland / So tief zerrissen seh / Ich lieg in der bessren Hälfte / Und habe doppelt weh“. Das falsche Heine-Pathos täuscht beinahe darüber hinweg, daß mit der „besseren Hälfte“ die DDR gemeint ist.

Jetzt ist er bei Springers „Welt“ untergeschlüpft. Das ist der erstaunliche Schlußpunkt einer großen Künstlerkarriere, der das Ende der guten alten, links-en- gagierten Kunst überhaupt besiegelt. „Ich war einst ein Engel und bin gefalln/ Jetzt fall ich noch tiefer. Die sind zu stark/ Die haben ein’ Vorsprung im Know-how/ Veraltet ist unser Maschinenpark.“

Am 15. November wird Biermann 65. Seine Leidenschaft läßt ihn 30 Jahre jünger wirken. Auch wer ihn eigentlich nicht mag, darf ihn dann einfach mal mögen.

Reinhold Andert: „Nach dem Sturz. Gespräche mit Erich Ho-necker“. Verlag Faber & Faber, Leipzig, 2001. 206 Seiten, ISBN 3-932545-80-X. 29,99 DM