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17.11.01 / Der fade Beigeschmack der Ablenkung: Kanzler Schröders Orientdiplomatie

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 17. November 2001


»Koalition gegen den Terror«:
Mit leeren Händen
Der fade Beigeschmack der Ablenkung: Kanzler Schröders Orientdiplomatie
von Jürgen Liminski

Kanzler Schröder schwört bedingungslose Solidarität im Terrorkrieg. Manchmal kommt es so vor, als sei sie auch besinnungslos. Krieg polarisiert. Er macht Angst sichtbar und Ressentiments spürbar. Der Pazifismus erlebt als eine politische Form von Angst ebenso eine Renaissance wie das Feldgeschrei mancher Feuilleton-Redakteure. Im Moment überwiegt in den deutschen Medien noch die starke Hand, der Bellizismus, aber der Gesang der Pazifisten schwillt an.

Die Gefühle dominieren. In Deutschland bedeutet das, daß wir bald wieder in eine Hysterie taumeln könnten. Gustave Le Bon hat vor gut hundert Jahren in seinem Standardwerk „Die Psychologie der Massen“ bereits beschrieben, was das Jahrhundert danach leidvoll erlebt hat: In der Masse zähle der Akademiker nicht mehr als der Wasserträger, gelte die Forderung mehr als die Vernunft, zähle das Prestige mehr als die Kompetenz, wirke das Bild mehr als die Idee, habe die Behauptung mehr Gewicht als der Beweis, verbreite sich ein Glaube mehr durch Ansteckung denn durch Überzeugung. Es wäre eigentlich die Aufgabe der Intelligenzija - und die vermutet man immer noch in den Medien - , solche irrationalen Prozesse zu dämpfen und zu versachlichen. Tatsache aber ist, daß viele Medien in Deutschland diesen Prozeß eher beschleunigen. Und die Politik dreht mit am großen Rad der Gefühle.

Das ist ja auch einfacher, als sich den Tatsachen in der Wirtschaftspolitik oder auf dem Arbeitsmarkt zu stellen. Hier ist Kompetenz verlangt. Beim Thema Krieg genügen vorläufig starke Worte. Deshalb fragt man sich, was der Bundeskanzler in Pakistan bewirken wollte. Oder der Außenminister in Nahost. Auch der Innenminister ist in Pakistan - gleich drei wichtige Mitglieder der Bundesregierung sind im Kampf gegen den Terror unterwegs. Fernsehen, Radio und Zeitungen sind voll davon, und das ist wohl auch das wichtigste Ergebnis dieser Reisen. Man demonstriert Präsenz an der Front. Ansonsten gibt es Business as usual. Die Märkte Indien und China müssen erschlossen und gepflegt, der Nimbus des Vermittlers Fischer muß poliert werden. Aber das war’s dann auch.

Wer genauer hinschaut, wird enttäuscht. Die starken Worte des Kanzlers beim Stopp-over in Pakistan klingen bekannt, niemand sollte ihm das vorwerfen. Aber daß er kein Wort zu dem Massaker sagt, das während seiner Stippvisite an Christen in Pakistan verübt wurde, das zeigt seine Indifferenz und Wurschtigkeit gegenüber der eigenen Kultur. Damit erweist er auch dem Verbündeten Pakistan keinen Gefallen.

Es ist ja gerade die Indifferenz gegenüber allem Religiösen und der darin verborgene Primat von Wirtschaftsinteressen, sprich die Vergötzung des Geldes, die westlich-kapitalistische Lebensweise, womit die Massen im islamischen Krisenbogen zwischen Casablanca, Taschkent und Djakarta von fanatischen Predigern aufgewiegelt werden. Jeder hätte es verstanden, wenn der Kanzler solche Gewaltakte verurteilt hätte, von wem immer sie ausgeübt werden. Und die an sich richtige Geste, Hermes-Bürgschaften in Höhe von hundert Millionen Mark anzubieten, hätte auch nicht den faden Beigeschmack von Geldgeschäften. Selbst Atheisten sollten mehr Sensibilität aufbringen. So blieben in Pakistan die Hände trotz der Geste nahezu leer und zu Hause der Eindruck zurück, daß man die starken Worte vor allem für den Hausgebrauch über das Fernsehen nach Deutschland transportieren ließ, schon um von der Wirtschaftskrise abzulenken.

Leider ist es so, daß Ausbrüche der Gewalt wie jetzt in Pakistan fast immer von Muslims ausgehen. Wo sie niedergedrückt werden wie in Israel und Palästina, dort entsteht eine Spirale nackter Gewalt. Auge um Auge, sagen sie, und nachher sind alle blind, blind vor Haß. Aber man täusche sich nicht: Ursprung ist der Primärhaß radikal denkender Muslime, sei es in Nahost, in Iran, in Afghanistan, Pakistan, Indonesien, Sudan, Nigeria oder Malaysia. Es sind Muslime, die zum „Heiligen Krieg“ aufrufen. Das hört und sagt man in den lauen Lebenslagen Europas nicht gern. Hier orientiert man sich an der politischen Korrektheit. In Deutschland gehört es zum Beispiel zum „guten Ton“, kein schlechtes Wort über die „muslimischen Mitbürger“ zu sagen, den Islam insgesamt zu rechtfertigen als eine Religion wie jede andere.

Man muß in den Muslimen nicht gleich eine fünfte Kolonne des internationalen Terrorismus sehen. Aber selbst der aufgeklärte Muslim Bassam Tibi, der in Göttingen internationale Politik lehrt, sagt: „Der Terrorismus hat seine historischen und psychologischen Wurzeln in der islamischen Religion.“ Der gebürtige Syrer Tibi darf das sagen, weil er Muslim ist. Andere würden für solche Worte an den Medienpranger gestellt. Am Stammtisch freilich - und nicht nur da - würde Tibi Applaus ernten. Bei kaum einem Thema weichen öffentliche und veröffentlichte Meinung in Deutschland derzeit so weit auseinander wie beim Thema Islam.

In Frankreich dagegen sind die Medien offener und weniger scheu. Während man in Deutschland das „Handbuch des Terrors“ des Osama bin Laden in der Öffentlichkeit kaum kennt, fand dieses Werk bei den Nachbarn breiten Platz in den Medien. Mit Recht. In dieser „Enzyklopädie des Heiligen Krieges“ wurde und wird alles vorausgesagt, was der Terror zu bieten hat. Auffallend sind die Zielländer: Sie haben alle eine christliche Kultur. Auch das wird immer verdrängt: Die islamistischen Terroristen sind religiös motiviert und kämpfen gegen andere Religionen, zu allererst gegen die Christen und die Juden. Man will es in Westeuropa nicht wahrhaben, aber es geht bei diesem Krieg gegen den islamistischen Terror sehr wohl auch um die eigene Kultur, nicht nur um Kultur ganz allgemein.

Vielleicht hat die Verdrängung damit zu tun, daß Politik und Bewußtseinsindustrie, wie der Schriftsteller Enzensberger die Medien nennt, sich der eigenen Kultur nicht mehr richtig bewußt sind. Für die Osamas dieser Welt, und das sind nicht wenige, ist der Islam jedenfalls die Mutter aller Religionen und Kulturen. Wer in islamische Länder reist, sollte deshalb auch - und sei es nur als Bitte um Achtung und Respekt - für mehr Toleranz im Sinne der Menschenrechte eintreten, zu denen sich die meisten islamischen Länder ja offiziell bekennen. Es sollte ein ceterum censeo der deutschen Orientdiplomatie sein, die Gegenseitigkeit bei der religiösen Toleranz einzufordern. Das ist relativ leicht in Ländern, wo es Christen gibt, etwa in Pakistan oder Indien. Es ist schwer in Ländern, wo Christen verfolgt werden, etwa in Saudi-Arabien oder im Iran. Man darf Zweifel haben, ob Außenminister Fischer dies zum Beispiel in Teheran getan hat.

Der Iran hält sich in diesem Terrorkrieg zurück, aber er unterstützt keineswegs den Westen im Kampf gegen den Terror. Man kann sogar davon ausgehen, daß die Mullahs nur abwarten, bis das Taliban-Regime gestürzt ist, um den Einfluß der islamischen Revolution wieder in Mittelasien und auch in Nahost weiter auszudehnen. Von einer Lockerung der Haltung oder gar Toleranz gegenüber Andersgläubigen und selbst Oppositionellen ist im Iran nichts zu spüren. Fischer kam mit leeren Händen zurück.

Auch die Bemühungen des Außenministers in Nahost blieben fruchtlos. Vermitteln läßt sich eben nur mit entsprechender Macht im Rücken. Freundlichkeit und diplomatische Beharrlichkeit richten wenig aus in einer Region, in der der Haß die Vernunft tagtäglich an die Wand drückt. Macht und Einfluß aber haben nur die Amerikaner und die Islamisten. Die moderaten Kräfte sind in der Defensive. Sie zu stärken und in eine Vermittlungsrolle zu schieben, zum Beispiel den ägyptischen Präsidenten Mubarak, das wäre das Gebot der Stunde für Nahost. An der Front, in Pakistan, gilt das Gesetz der Stärke.

Für Washington bedeutet das: Die Präsenz amerikanischer Einheiten in Pakistan ist auch eine Garantie für das Regime des Generals Musharaf und dafür, daß die Atombombe nicht in die Hände radikaler Islamisten fällt. Deshalb wird diese Präsenz auch dauern. Und im Fall Iran, wo die Mullahs nach wie vor an der Bombe basteln, ist höchste Wachsamkeit geboten. Da sollten sich auch die Deutschen nichts vormachen. Und sich von ihrer Regierung auch nichts vormachen lassen.

 

„Es sollte ein ceterum censeo der deutschen Orientpolitik sein, die Gegenseitigkeit der religiösen Toleranz einzufordern“: Am 28. Oktober 2001 trauerten die Christen des pakistanischen Bahawalpur um 18 in der Kirche aufgebahrte Angehörige und Glaubensgenossen, die zuvor von Moslems brutal massakriert worden waren Foto: dpa