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17.11.01 / Gedenken an Agnes Bernauer auf einem Straubinger Friedhof

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 17. November 2001


Lauscht dem Raunen
Gedenken an Agnes Bernauer auf einem Straubinger Friedhof
von Esther Knorr-Anders

Friedhöfe sind keine stummen Zeugen abgelebter Leben, ihre Grabdenkmäler - egal ob aus Stein, Schmiedeeisen, Holz - erzählen die Geschichte vergangener Zeiten und ihrer Menschen. So auch der Petersfriedhof in Straubing. Er wurde vor mehr als 800 Jahren unweit des Donau-ufers angelegt, 1879 geschlossen und in den 70er Jahren unseres Jahrhunderts als Kulturdenkmal Bayerns wiederentdeckt. Die berühmteste Tote des Friedhofs ist Agnes Bernauer. Angeklagt, „hexische Verführerin“ zu sein, wurde sie am 12. Oktober 1435 in der Donau ertränkt. Von ihr und ihrem Gedenkmal, einer Friedhofskapelle, ist später die Rede.

Man betritt den Friedhof durch ein Portal. Das ist üblich. Danach bleibt man wie angewurzelt stehen. Ist dies wirklich ein Friedhof? Eine Baum-, Pflanzen- und Blumenwildnis überwältigt. „Komm doch“, locken Eschen, Hainbuchen, Weiß- oder Rotdorne. Das tue ich; gehe über Wiesenboden, der das Areal deckt. Aus dem Wiesengrün erwachsen efeuüberrankte Denkmäler und Kreuze; Efeu überall. Die Kreuze sind aus Schmiede- oder Gußeisen, in steinernen Schmuck- sockeln verankert. Allesamt faszinierend durch bizarr verästeltes, teilweise vergoldetes Dekor. Im 17. Jahrhundert wurden sie im Süden Deutschlands und Europas Mode und blieben es bis heute. 250 solcher Kreuze birgt der Petersfriedhof. Ursprünglich waren es mehr. Doch bei betriebsamen Renovierungsarbeiten vor vielen Jahren gingen etwa 100 verloren. Damit nicht genug: die wiederaufgestellten, fein herausgeputzten Kreuze wurden vertauscht. Wen stört das? Die Toten gewiß nicht. Könnte man ihre Stimmen vernehmen, wäre - hier und dort - der Einwand zu hören: „Ich liege, bitte schön, drei Kreuze weiter, falls Sie sich dahin bemühen wollen.“

Die Kreuze stehen nicht in geordneter Reihung; gleich Blüten in einem Wildwuchspark strecken sie sich aus dem Rasen empor; fremdweltig wirken sie alle: Kleeblätter, Lilien, Rosetten, Akanthusranken, Muscheln, Herzen verflechten sich zu ziselierten Zierformen. Sonderbar, keines dieser Kreuze raunt die endlose Geschichte vom Tod; man bewundert Kunstwerke.

Das älteste erhaltene Grabmal im Petersfriedhof ist als Stele gestaltet, geschaffen aus Grünsandstein. Barocker Tradition entsprechend, weist es die klassischen Vergänglichkeitssymbole auf: Totenschädel, Stundenglas, Sense, gebrochenes Lebenslicht. Dann erfaßt das Auge eine frappierende Einzelheit: Um die Inschriftentafel windet sich eine Schlange, die in ihren Schwanz beißt, bildet einen Kreis, Chiffre der Unendlichkeit.

Auf schmalen Pfaden gelangt man zur Peterskirche. An dem in seiner Urgestalt spätromanischen Bau bestechen zwei Portale. Im Tympanon des rundbogigen Westportals kämpft ein Mann gegen einen Drachen, der gerade einen Menschen verschlungen hat, dessen Kopf aus dem Rachen des Ungetüms ragt. Die Darstellung soll den Kampf alles Guten gegen die Übel der Welt versinnbildlichen, ein bis heute erfolgloses Unterfangen. Das schmälere Südportal zeigt im Tympanon ebenfalls eine Kampfszene: Löwe gegen Drache. Sieht man länger hin, scheint der geiferspeiende Drache Sieger zu bleiben. Im Innern der kalkweiß getünchten, schmucklosen Kirche bannt der lebensgroße Kruzifixus; sein Antlitz verrät: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände.“

Drei Kapellen im Friedhof spinnen den Gast in eigentümliche Gefühlswelten ein, allen gemeinsam aber ist das Weben der Vanitas, Vergänglichkeit. Die älteste Kapelle ist die „Liebfrauenkapelle“, sie wurde über dem Karner, dem „Beinhaus“, errichtet. Es war üblich, bei Neubelegung der Gräberfelder die ausgegrabenen Totengebeine in einem Sakralbau aufzuschichten. Der Kapellenaltar diente den Gläubigen zum Erinnerungsgebet. Der alte Karner reichte für die wachsende Stadt bald nicht mehr aus. 1482 entstand ein neues Beinhaus, die „Toten- oder Seelenkapelle“. Für sie schuf der Maler Felix Hölzl 1763 das weit über Straubing hinaus gerühmte Totentanzfresko.

Der allererste Totentanzzyklus wurde um 1425 in Paris auf die Friedhofsmauer der „Kirche der unschuldigen Kinder“ (Saint Innocents) gemalt. Er fand Nachahmer in aller Welt. Alle „Totentänze“ fußen auf uralter Legende, die davon berichtet, daß drei Prinzen in einem verwilderten Friedhof drei Särge fanden, in denen ihre Väter ruhten. Die Toten begannen zu reden: „Was ihr seid, das waren wir! Was wir sind, das werdet ihr!“ Aus diesem Motiv entwickelten sich die Abschiedsszenen der Totentänze, in denen Skelette als Begleiter Verstorbener agieren. Die Straubinger Bildfolge erzählt von Adam und Eva, die durch Schuld den Tod in die Welt brachten, zeigt weiter den Abschied des Vaters von seinen Kindern, den sterbenden Säugling in der Wiege, es sterben Papst, Fürst und Geizhals; das „Jüngste Gericht“ und die „Auferstehung der Toten“ beschließen den Reigen.

Wir betreten die „Agnes-Bernauer-Kapelle“. An der Wand ihr Epitaph aus Rotmarmor, Werk eines unbekannten Künstlers. Im Gegensatz zur zeitgenössischen idealisierten Darstellung Verstorbener schuf der Bildhauer ein naturalistisches Abbild von Agnes. Sie trägt das sackartige Hinrichtungsgewand, ihre Züge sind aufgedunsen, Merkmal des Wassertodes. Der Leichnam war bei Straubing an Land geschwemmt worden. Was war ihrem Tod vorausgegangen?

Nichts anderes als eine große Liebe. Herzog Albrecht III. von Bayern hatte sich zu Augsburg in Agnes, eines Baders Tochter, verliebt; schlimmer konnte es nicht kommen. Badhäuser galten als öffentliche Luststuben - was sie auch waren. Infolgedessen zählte die Badmeisterei zu den verfemten Berufen. Männer und Frauen badeten gemeinsam in Zubern und Bassins, bekränzten sich mit Blüten, tranken, schmausten und ließen sich’s wohl sein. Dort entdeckte Albrecht die bildschöne Agnes. Sie sehen und begehren vollzog sich in Sekunden, sie zu heiraten, mit ihr auf Schloß Vohburg zu residieren, beschwor die Katastrophe herauf. Albrechts Vater, Herzog Ernst, griff ein. Er hatte Anna von Braunschweig als Gemahlin seines Sohnes auserkoren, die Reputation Bayerns war ihm wichtiger als irgendeine „Feuerliebe“, von der ohnehin niemand weiß, wie lange sie hält. Es kam zum Zerwürfnis. Während einer Abwesenheit Albrechts ließ Herzog Ernst die „Baders-tochter“ als Hexe zum Tod in der Donau verurteilen.

Auf kaiserlichen Rat versöhnten sich jedoch Vater und Sohn recht bald. Der Weg zur Heirat mit Anna war frei. Frei war aber auch der Weg zur Legende der „Bernauerin“. Über ihrer mutmaßlichen Grabstätte ließ Herzog Ernst später eine Kapelle errichten, die seitdem den Namen der Ertränkten trägt. Es mag ein Sühneakt gewesen sein; näher liegt die Annahme, die empörten Bayern beschwichtigen zu wollen. Nicht lange, und die Kapelle wurde zur Pilgerkapelle. Kritzelzeichen und Namenszüge geben davon Kunde. Mit den alle vier Jahre zelebrierten „Agnes-Bernauer-Festspielen“ erweckt Straubing die Tote wieder zum Leben.