20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
17.11.01 Neue Bücher über Heimat, Flucht und Vertreibung schildern Empfindungen einer Generation

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 17. November 2001


»Der Heimat Träume liegen weit ...«
Neue Bücher über Heimat, Flucht und Vertreibung schildern Empfindungen einer Generation

Wenn am 20. November das ZDF mit der Ausstrahlung seines Fünfteilers „Die große Flucht“ von Guido Knopp beginnt, dann werden die Gedanken vieler unserer Leser zurückwandern in eine Zeit, die so mancher gern vergessen würde. Vergessen das unsägliche Leid, das über ihn und seine Lieben kam, vergessen die Not des Krieges, vergessen auch die beschwerliche Flucht, auf der Kinder, alte Menschen und Kranke ihr Leben lassen mußten, vergessen die bitteren ersten Wochen und Monate des Neubeginns im Westen. Immer wieder hört man aus dem Mund dieser Menschen: „Ich kann mich nicht damit beschäftigen, diese Zeit hat sich eingebrannt in meine Seele ... es tut zu weh, daran zu denken.“ Andere aber wollen, ja müssen sich mit dieser ihrer Vergangenheit befassen; sie läßt sie nicht mehr los, die Erinnerung an Not und Leid. Viele sind krank daran geworden, andere nehmen den Kampf mit der Erinnerung auf, sie schreiben nieder, was ihnen geschah - für ihre Kinder und Enkel, für alle, die nicht am eigenen Leib erleben mußten und kaum erahnen können, was es heißt, die Heimat Hals über Kopf verlassen zu müssen.

Aus der Fülle der Bücher, die uns in der Redaktion immer wieder erreichen und die sich dem Thema Flucht und Vertreibung widmen, haben wir einige besonders typische ausgewählt, um sie unseren Lesern vorzustellen.

Nichts führt zurück ist ein Sammelband mit ausgewählten Texten aus der Reihe „Zeitgut“, herausgegeben von Jürgen Kleindienst im Verlag JKL Publikationen GmbH, Berlin (208 Seiten mit zahlr. Abb. und Ortsregister, geb., 28,94 DM; ISBN 3-933336-22-8). Ost- und Westpreußen, Pommern und Schlesier kommen darin zu Wort und schildern eindrucksvoll ihre Erlebnisse auf der Flucht, das Leben in der besetzten Heimat, aber auch den Neubeginn.

Unter ihnen ist auch der damals 14jährige Otto Höchst aus Alt Kattenau. Sein Beitrag über seine abenteuerliche Fahrt von Ostpreußen ins Vogtland, wo sich die Mutter und die Geschwister aufhielten, über die entbehrungsreichen Monate und Jahre läßt erahnen, was in dem Jungen von damals vor sich ging. Auch nachzulesen in dem Zeitgut-Band 12 Wir sollten Helden sein - Jugend in Deutschland 1939-1945 mit 38 Geschichten und Berichten von Zeitzeugen (JKL Publikationen, Berlin. 336 Seiten, zahlr. Abb., Chronologie, Ortsregister, Klappenbroschur, 36,97 DM; ISBN 3-933336-11-2). So groß die Not auch war in diesen Tagen, die Menschen gaben nicht auf. Auch in der Fremde wurde Weihnachten gefeiert, selbst wenn der Krieg noch lange nicht zu Ende war: „Mit viel Mühe hatte Großvater es zuwege gebracht, einen Christbaumständer zu zimmern“, erinnert sich Otto Höchst. „Durch geschicktes Anordnen der Hölzer war in der Mitte eine Öffnung entstanden. Mutter und ich holten aus dem Wald ein Bäumchen. Papierketten wurden gebastelt, und so hatten wir wie an jedem Heiligabend auch im Jahre 1944 einen Weihnachtsbaum. - Nie war unser Beisammensein so kostbar wie in dieser Stunde ...“

Die Menschen rückten zusammen in diesen Zeiten. Dort wo die Familien auseinandergerissen wurden, entstanden neue Gemeinschaften in der Not. Man half sich gegenseitig. Davon weiß auch Maria Theresia Krefting, geb. Hofffmann, aus Korniten und Bärwalde, Kreis Fischhausen, ein Lied zu singen. Die gelernte Damenschneiderin kam als Lagerführerin im freiwilligen weiblichen Reichsarbeitsdienst (RAD wJ) viel herum. Was unbeschwert begann, endete auch für sie in der Übernahme von großer Verantwortung für die ihr anvertrauten Maiden. Lebendig erzählt sie davon in ihren Erinnerungen Irgendwo liegt Sonntagsruh (WDL-Verlag, Berlin. 184 Seiten, zahlr. sw Abb., brosch., 27,80 DM zuzügl. Versandkosten; zu bestellen bei der Autorin, Schmiedestraße 56, 42279 Wuppertal). Vieles erfährt der Leser über das Leben auf dem Land, über die Ausbildung an einer Dorfschule, vor allem aber über den RAD und nicht zuletzt über den Krieg in der Heimat und im Westen. Beeindruckend auch das Geleitwort zu diesem Band, das Johannes Lütz schrieb, der Enkel der Autorin. Ihm und all den Menschen dieser Welt, die ihre Heimat durch Krieg verloren, ist denn dieser Band auch gewidmet.

Zurück in eine sorglose Kindheit führt das Erinnerungsbuch von Alfred Balczuweit, Jahrgang 1934, aus Kindschen, Kreis Tilsit-Ragnit. In Sterne der Heimat (Fouqué Literaturverlag, Egelsbach. 120 Seiten, sw Abb., brosch., 17,80 DM; ISBN 3-8267-4881-6) erzählt er vom Leben auf dem Dorf, von einer Kindheit im Dritten Reich, vom Jungvolk, aber auch von ersten Bomben und Flüchtlingstrecks. Der Autor erlebt mit seiner Familie die Schrecknisse der Besatzung, die Verschleppung des Vaters, Plünderungen und Vergewaltigungen, Ende September 1948 schließlich die Ausweisung. Elfriede Riemenschneider, geb. Piplack, aus Groß Kosuchen, Kreis Lötzen, später Groß Schunkern, Kreis Insterburg, erlebt den Krieg als Zehnjährige in Insterburg. In ihren Erinnerungen Elfriedchen, sei brav! (Verlag videel, Niebüll. 143 Seiten, sw Abb., brosch., 18,80 DM; ISBN 3-89906-162-4) erzählt sie von alten Sitten und Gebräuchen, vom Leben auf dem Land, aber auch von der Flucht über das zugefrorene Haff und die erste Zeit im Westen. Bei der Niederschrift geht es ihr wie so vielen der Autoren: „Wenn ich jetzt so schreibe, erlebe ich alles noch einmal, was lange Zeit unterdrückt wurde. Es ist schlimm, mir laufen die Tränen und ich muß eine Pause machen ...“

Eine ganz andere Art, das Erlebte zu bewältigen, hat Gerhard Wendenhorst, geboren 1922 in Bareischkehmen, Kreis Stallupönen, aufgewachsen in Wenzken, Kreis Angerburg, gefunden: er malt und zeichnet und findet lyrische Worte, um den Verlust auszudrücken. In seinem Bändchen ... laß das Boot ganz leise gleiten (40 Seiten, 8 DM zuzügl. Versand; zu beziehen über den Verfasser, Haeckelstraße 15, 99425 Weimar) hat er zauberhafte Zeichnungen mit zarter, einfühlsamer Lyrik vereint. - „Der Heimat Träume/ liegen weit hinter den/ Ufern und Wäldern,/ bei den Feldern/ mit Blumen im Korn ...“, schreibt Wendenhorst. „Der Heimat Träume“, aber auch die Träume der jungen Menschen, die um ihre Jugend betrogen wurden, werden wieder lebendig in diesen Erinnerungen der Erlebnisgeneration. Hören wir ihnen doch einfach zu! Silke Osman

 

Not nach dem Krieg: Die Familie von Otto Höchst mußte wie viele Vertriebene mit einem Behelfsheim vorliebnehmen Foto: privat / Gerhard Wendenhorst: Winter in Masuren 1944/45 (Aquarell)