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24.11.01 Der Invalidenfriedhof in Berlin: Haß ohne Grenzen

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 24. November 2001


Der Invalidenfriedhof in Berlin:
Haß ohne Grenzen
Preußisch-(ost)deutsche Geschichtslektionen voller Wehmut / Von Martin Schmidt

Es gibt nur wenige Orte, an denen die Begegnung mit der preußisch-deutschen Geschichte derart wehmütig ausfällt, wie auf dem Berliner Invalidenfriedhof.

Diese 1748 entstandene Begräbnisstätte im Stadtbezirk Mitte - sie gehörte zu einem von Friedrich d. Gr. für betagte und versehrte Soldaten und deren Familien in Auftrag gegebenen Invalidenhaus - war bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges und der anschließenden Verwüstung durch „rote“ Barbaren ein in Stein gehauener „Gotha“ preußischer Adelsfamilien und Militärs.

Der Gang durch die Gräberreihen versetzte Besucher in die Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon oder in den Ersten Weltkrieg. Vielfältige Bezüge ergaben sich auch zu den ostdeutschen Provinzen.

Endlos war die Liste berühmter Namen: An ihrer Spitze standen freiheitsliebende Generäle wie der preußische Heeresreformer Gerhard von Scharnhorst, der als Generalstabschef Blüchers in der Schlacht bei Großgörschen (2.5.1813) schwer verwundet wurde und auf dem Weg nach Wien in Prag verstarb. Selbst diese letzte Reise hatte seinem Vaterland gegolten, denn Scharnhorst wollte die Österreicher zum Anschluß an die antifranzösische Allianz bewegen.

Dicht dabei liegt Scharnhorsts Freund Generalfeldmarschall Hermann von Boyen, der 1771 in Kreuzburg/Ostpreußen geborene Schöpfer der Landwehr. Sein Grab hat die Wirren der Nachkriegsära nur teilweise überstanden.

Auch Friedrich Wilhelm Graf Bülow von Dennewitz war zur letzten Ruhe auf dem Invalidenfriedhof gebettet. Seinem militärischen Geschick schrieb man den preußischen Sieg über die Franzosen bei Dennewitz am 6. September 1813 zu, der ihm den entsprechenden Ehrennamen eintrug. Bülow von Dennewitz starb übrigens 1816 in Königsberg.

Besondere Beachtung gebührte ferner der heute noch in gutem Zustand befindlichen eisernen Grabplatte von General Hiller von Gärtringen - Adjutant Yorcks und Blüchers in den Freiheitskriegen - sowie dem schlichten Holzkreuz für Friedrich Friesen, den Mitbegründer der deutschen Turnerbewegung an der Seite von „Turnvater“ Jahn. Friesen fiel 1814 als Leutnant im Lützowschen Freikorps in Frankreich.

Andere, nicht minder bedeut-same Erinnerungen weckten das Grab des bereits 1796 verstorbenen Generalleutnants Friedrich Wilhelm von Rohdich, der Friedrich d. Gr. als letztes lebend zu Gesicht bekommen hatte.

Der Erste Weltkrieg manifestierte sich durch die Ruhestätte Generalfeldmarschalls Alfred Graf von Schlieffen. Der mächtige Stein seines Mitkämpfers Generaloberst Ludwig von Falkenhausen, seines Zeichens Armeeführer im Westen von 1914 -17, wurde in den Endkämpfen des nächsten Weltkrieges, die auch auf dem Invalidenfriedhof tobten, von Granatsplittern derart gezeichnet, daß man seitdem keinen Buchstaben mehr lesen kann.

Wenigstens gibt es dieses Grab bis heute, ebenso wie das des Armeeführers Karl von Bülow und des Generalmajors Max Hoffmann, der als Generalstabschef im Osten 1918 seine Unterschrift unter den Vertrag von Brest-Litowsk setzte.

Vernichtet sind dagegen die Begräbnisstätten der Weltkriegs-I-Generäle von Below und von Beseler. Verschwunden ist auch das bedeutendste der einst zahlreichen Fliegergräber: Der Leichnam Manfred von Richthofens, des 1892 in Breslau geborenen „Roten Barons“, wurde in den 1970er Jahren auf Veranlassung seiner Familie nach Wiesbaden umgebettet, da die Einebnung des Grabes drohte.

Keine Rettung vor den kommunistischen Geschichtsbanausen gab es für den Granitsarkophag des Reichswehr-Gründers Generaloberst von Seeckt und das Grab des am 22. November 1941 - also vor 60 Jahren - bei Breslau abgestürzten Jagdflieders Werner Mölders sowie des noch berühmteren Ernst Udet, der als Generalluftzeugmeister später unter dem Beinamen „des Teufels General“ Literatur- und Filmgeschichte schrieb.

Hinsichtlich der Zerstörung der Gräber von NS-Größen wie Fritz Todt, Reichsminister für Bewaffnung und Munition, und SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich mag einen die ideologische Verblendung, die eine Achtung des Totenfriedens verhinderte, noch am wenigstens wundern.

Die Zerstörungswut wurde auch nicht dadurch verringert, daß es Gräber von Hitlergegnern wie das des am 4. Dezember 1881 in Breslau zur Welt gekommenen und 1944 hingerichteten Generalfeldmarschalls Erwin von Witzleben oder das von Oberst Wilhelm Staehle gab, letzter Kommandant des 1923 aufgelösten Invalidenhauses und Widerstandskämpfer.

Darüber hinaus betraf die Barbarei nicht nur Armeeangehörige, zumal der Invalidenfriedhof allen Vorurteilen zum Trotz kein ausgesprochener Militärfriedhof war, obwohl der Friedhofsführer von 1925 eine stattliche Liste von 11 Generalfeldmarschällen und Generalobersten, 7 preußischen Kriegsministern, 9 Admirälen, 67 Generälen, 104 Generalleutnants, 93 Generalmajoren und 25 Militärschriftstellern beinhaltete.

Im 19. Jahrhundert war die Begräbnisstätte für Zivilisten geöffnet worden, die der Invalidengemeinde angehörten. Zu den insgesamt über 30 000 Beigesetzten zählten daher auch Persönlichkeiten wie der Theologe Ernst Troeltsch, Friedrich Wöhlert, der zusammen mit Borsig die erste deutsche Lokomotive baute, der Afrikaforscher Kurt von Francois, der Überträger der Bibel in Blindenschrift, Adolf von Zychlinski, sowie Friedrich Neuhaus, der Erbauer der Eisenbahnverbindungen von Berlin nach Hamburg und Stettin.

Die meisten dieser Gräber existieren nicht mehr. Ebenso die ursprüngliche Grabstätte von Prof. Dr. Otto Hoetzsch und dessen Frau Cornelie. Hoetzsch, der Mentor der deutschen Rußlandkunde und erster Herausgeber der Zeitschrift Osteuropa (Näheres zu seiner Person in OB 21/00, S. 6), war Anfang März 1945 von den Augusta-Schwestern aus dem feindbedrohten Pommern nach Berlin geholt und dann im August 1946 auf deren spezieller Ruhestätte auf dem Invalidenfriedhof bestattet worden.

Das Gesamtausmaß der Zerstörung ist erschütternd: Nachdem der Friedhof am 30. April 1951 geschlossen worden war (fortan konnte man ihn nur noch wenige Stunden in der Woche betreten), verkündeten die roten Machthaber noch am selben Tage, daß alle Grabstellen aus der Zeit vor 1925 eingeebnet würden. Ab Juni begann die Vernichtung des unliebsamen Geschichtserbes. Zum Zeitpunkt des Mauerbaus im August 1961 existierten immerhin noch 3000 Grabstellen, doch die neue Lage stellte auch deren Fortbestand in Frage, lag doch der Friedhof direkt an der Demarkationslinie.

Die Gräberfelder E, F und G wurden eingeebnet und mutierten zu einem schrecklichen Todesstreifen mit Wachtürmen, Schieß- und Hundelaufanlage sowie einer Betonstraße. Ein weiterer, etwa 30 Meter tiefer Streifen galt als Sperrzone; auch dort fielen etliche Gräber dem Zerstörungswerk zum Opfer.

In den 70er Jahren ließ die SED-Führung die Felder B und H sogar komplett schleifen; die sozialistische Statistik für 1973 spricht vom Abtransport von 94 t Grabdenkmälern und 26 t Gedenksteinen an unbekannte Orte. Auf dem Feld J entstand ein Garagenkomplex.

Daß die „Weihestätte des Militarismus“ nicht ganz ausgemerzt wurde, ist wohl der offiziösen Wertschätzung der preußischen Reformer als „fortschrittliche Kräfte der Geschichte“ zuzuschreiben.

Am Ende blieben beim Mauerfall von den 3000 Grabstellen des Jahres 1961 nur 230 übrig. Der Wind pfiff über versteppte Flächen, auf denen wenige Bäume, Sträucher und Gräber standen, diese oft schief, eingesunken oder umgestürzt.

Die Gartendenkmalpflege Berlin, das Landesdenkmalamt und der im Dezember 1992 gegründete „Förderverein Invalidenfriedhof“ nahmen sich mit großem Einsatz des trostlosen Erbes an. Die gesamte Anlage wurde unter Denkmalschutz gestellt und der Öffentlichkeit wieder voll zugänglich gemacht. Auf dem einst durch seine ausladenden Bäume an einen Park erinnernden Friedhof legte man neue Lindenalleen an und stellte das Wegenetz wieder her.

Das von Schinkel entworfene Grabmal Scharnhorsts wurde restauriert, ebenso das Holzkreuz Friesens, das auf einem neuen Sockel steht. Während der Instandsetzungen im November 1990 entdeckte man außerdem Fragmente vom Sarkophag von Seeckts und fügte sie am alten Platz aneinander.

Nachkommen sorgten dafür, daß heute am Grab Ernst Udets ein bescheidener Stein steht. Gedenkplatten markieren die Ruhestätten von Otto Hoetzsch, Ernst Troeltsch, Werner Mölders u. v. a.

Als Reaktion auf die nach der Wende zahlreich eingegangenen Anträge auf Grabrestitution entschieden sich die Denkmalpfleger statt für eine originalgetreue Wiederherstellung im Regelfall für die Aufstellung einheitlicher Platten, die an Soldatenfriedhöfe erinnern.

In seinem Anfang 1992 aufgestellten Zehn-Punkte-Programm zum Invalidenfriedhof formulierte das Gartendenkmalpflegeamt: „Die Spuren der Zerstörung sind zum mahnenden Gedenken teilweise zu erhalten. Eine vollständige Rekonstruktion ist aus konservatorischen Gründen nicht möglich und zur Bewahrung der Geschichtlichkeit auch nicht wünschenswert.“

Die einstige Bedeutung des vom Gartenamt Mitte sorgsam gepflegten Invalidenfriedhofs ist leider in Vergessenheit geraten. Für historisch interessierte Besucher der Spree-Metropole, in der es mehr Begräbnisanlagen gibt als in jeder anderen europäischen Hauptstadt, ist er jedoch ein Geheimtip.

Weitere Auskünfte: Förderverein Invalidenfriedhof e. V., Hans Joachim Jung, Massower Str. 13/0806, 10315 Berlin