20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
08.12.01 Leseprobe: Aus einer neuen Anthologie der »Stimme der Mehrheit«

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08. Dezember 2001


Globalisierung:
Totengräber des Mittelstands
Leseprobe: Aus einer neuen Anthologie der »Stimme der Mehrheit« / Von Hans-Jürgen Mahlitz

Die Attacke traf mitten ins Herz. Ins Herz Amerikas, ins Herz der Finanz- und Wirtschaftsmetropole Manhattan, ins Herz der Weltwirtschaft - es war ja wohl kein Zufall, daß die islamistischen Extremisten sich für diesen bis zum 11. September 2001 unvorstellbaren Terrorakt ausgerechnet diese beiden Bürotürme ausgesucht hatten, die im Volksmund nur „Twin Towers“ hießen, offiziell aber „World Trade Center“. Sie waren eines der Zentren des Welthandels, und dieser ist die zentrale Triebkraft der Weltwirtschaft.

Welthandel - Weltwirtschaft - globaler Handel - globale Wirtschaft - Globalisierung. Eine recht logisch klingende Gedankenfolge, auf die inzwischen auch manch „klammheimlicher“ Kommentator der Terroranschläge vom 11. September gekommen ist. Nicht von ungefähr haben sich in die Phalanx friedensbewegter Bedenkenträger und Besonnenheitsmahner neben den „üblichen Verdächtigen“, Ultralinken und Ultrarechten, die über alle ideologischen Grenzen hinweg blindwütiger Amerikahaß verbindet, auch jene militanten „Globalisierungsgegner“ eingereiht, die nach Göteborg und Genua ein neues Aktionsfeld suchten - und dank bin Laden auch zu finden glaubten.

Was meinen diese Leute, wenn sie von „Globalisierung“ reden? Viele von ihnen wissen es offenkundig selbst nicht, wollen es auch gar nicht wissen. Der harte Kern der militanten Autonomen braucht „Globalisierung“ lediglich als Krawall-Stichwort, so ähnlich wie „Faschismus“ oder „Nazis“ - auch bei den Reizworten gönnt man sich schon mal etwas Abwechslung. Für sie ist „Globalisierung“ ein inhaltsleerer Begriff, allenfalls das zeitgemäße, politisch korrekte Ticket eines global organisierten Krawall-Tourismus.

An diesem Punkt ist auf drei Gefahren aufmerksam zu machen. Die erste: Jene kritischen Geister, die zu Recht nicht alles Neue blauäugig gutheißen, sondern anmahnen, in Ruhe Risiken und Chancen, Vor- und Nachteile abzuwägen, lassen sich wieder einmal von apolitischen Krawallmachern und den dahinter stehenden Kräften vor deren ideologischen Karren spannen. Die zweite, direkt damit zusammenhängende: Kritische Gedanken zum Thema „Globalisierung“ werden pauschal diskriminiert als „gewaltbereit“ oder gar terroristisch. Die dritte, zugleich größte Gefahr: Im Schatten einerseits der Empörung über den Massenmord von Manhattan, andererseits der „klammheimlichen“ Rechtfertigung („gerechte Strafe“, „verdiente Quittung“) können sich neben durchaus vorhandenen positiven auch gravierende negative Erscheinungsweisen der Globalisierung ungehemmt und unkontrolliert entfalten.

Um positive und negative Seiten sachlich abwägen zu können, muß man natürlich zunächst klären: Was ist eigentlich „Globalisierung“? Eine umfassende, allgemein anerkannte Definition gibt es vorerst noch nicht; die Experten „arbeiten daran“. Da ich nicht so vermessen bin, mich in diesem Kreise selbst zum Experten zu ernennen, will ich es bei einer sehr allgemeinen Beschreibung belassen: Für mich ist „Globalisierung“ eine neuartige, supranationale Organisation internationaler Wirtschafts- und Handelsbeziehungen. Das neue - und zum Teil bedrohliche - daran ist die Form der Organisation; internationale, nach dem jeweils gültigen Weltbild sogar „globale“ Wirtschafts- und Handelsbeziehungen gibt es seit Jahrtausenden. Aber ihre Organisation oblag überschaubaren, historisch gewachsenen, staatlichen, insbesondere nationalstaatlichen Strukturen, fest eingebunden in bewährte Wertvorstellungen und Rechtsordnungen, orientiert an wohlverstandenen, berechtigten Interessen. So konnten sich bilateraler, supranationaler, kontinentaler, schließlich Welthandel und -wirtschaft entwickeln, wie übrigens auch eine Weltkultur, die mit dem heutigen Begriff „multikulturell“ freilich nichts gemein hat.

Eine solche Entwicklung ist von Vorteil für alle, für Produzenten und Konsumenten, für Käufer und Verkäufer, für Arme und Reiche, solange sie an die oben beschriebenen Organisationsstrukturen gebunden bleibt. Genau das aber bleibt heute zunehmend auf der Strecke. Die „global players“ sehen ihren - und zwar ausschließlich ihren! - Vorteil ja gerade darin, sich hemmungslos über alle nationalstaatlichen oder auch in zwischenstaatlichen Verträgen festgelegten Rechtsordnungen, Wertvorstellungen und Moralschranken hinwegzusetzen. Der „rechtsfreie Raum“, den allzu nachgiebige Politiker in den 70er Jahren antiautoritären Ideologen und autonomen Krawallmachern einräumten, gewinnt heute eine ganz andere Bedeutung: als Spielfeld der „global players“, auf dem nur sie die Regeln bestimmen.

Den Akteuren bringt das zunächst einmal gigantische Vorteile. Ausschließlich profitorientiert können sie bestimmen, wo sie für welche Produkte neue Märkte erschließen - oder auch abbauen. So dürfte es einem global operierenden Nahrungsmittel-Multi, der beschließt, sich aus einem nicht hinreichend profitablen regionalen Markt zurückzuziehen, reichlich „wurscht“ sein, wovon sich die Menschen in dieser Region künftig ernähren. Motto: Auf „Einzelschicksale“ kann keine Rücksicht genommen werden; wir kennen keine Menschen mehr, sondern nur noch „Märkte“.

Funktionieren kann dieses System nur, wenn die „global players“ groß, mächtig und kapitalstark genug sind. Dann können sie nach Belieben regionale Entscheidungsträger, nationale Regierungen und inzwischen sogar übernationale Organisationen wie die EU erpressen; zu den besonders erfolgversprechenden Druckmitteln zählt die Drohung mit dem Abbau Tausender Arbeitsplätze oder dem Entzug von Steuereinnahmen in Millionenhöhe. Das wirkt, wie man weiß, sogar bei deutschen Bundeskanzlern …

Neben vielen anderen negativen Aspekten - vom Zwang zu Wachstum, Fusionierungswahn, immer größeren Firmenzusammenbrüchen, feindlichen Übernahmen bis zum Abbau bewährter und unverzichtbarer sozialer Standards - hat die Globalisierung einen weiteren, äußerst gefährlichen Effekt für die Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland. Die ökonomische Kraft unseres Landes wird ja nicht nur daran gemessen, wie viele Arbeitsplätze die Großindustrie aufzuweisen hat, wie viele Steuern sie zahlt, wie viele junge Menschen sie ausbildet, wie groß ihr Anteil am Bruttosozialprodukt ist. Noch nämlich liegt der sogenannte Mittelstand bei all diesen Parametern vorn; er und nicht die Großkonzerne sind die stärkste und wichtigste Säule unserer Volkswirtschaft.

Ob das noch lange so bleiben wird? Das Fragezeichen kann gar nicht groß genug sein, und es hat einen Namen: Globalisierung! Bis auf eine kleine Gruppe von Unternehmen im Bereich des „gehobenen Mittelstands“, die eher schon dem industriellen Bereich zuzuordnen sind, haben die weitaus meisten Mittelständler nur recht begrenzte Möglichkeiten, global, also weltweit zu agieren. Dies gilt in besonderem Maße für das Handwerk: Ob Dachdecker, Automechaniker oder Bäckermeister - sie können ihre Produkte und Dienstleistungen in aller Regel nur regional anbieten.

Das muß noch nicht unbedingt ein Nachteil sein. Einzelhandel, Kleingewerbe und Handwerk hatten bislang vielleicht nicht immer „goldenen Boden“, im allgemeinen aber doch ganz gut leben können. Die Gefahr droht aus dem politischen Bereich. Wie bereits erwähnt: Je größer und mächtiger und reicher die Großkonzerne werden, je flexibler sie als „global players“ auf Märkten und Produktionsstandorten kommen und gehen können, um so massiver können sie die Politik im Sinne ihrer Interessen unter Druck setzen.

Die Medien tun das ihre dazu: Wenn ein Großkonzern eine Fabrik mit 10.000 Beschäftigten stillzulegen droht, ist das natürlich ein Großereignis für die erste Seite; wenn gleichzeitig in kleinen mittelständischen Betrieben der Baubranche 10.000 Arbeitsplätze abgebaut werden, gibt das allenfalls ein paar Zeilen für den Lokalteil her. Und wenn wichtige wirtschaftspolitische Entscheidungen zu treffen sind, erfährt man in allen Zeitungen und Magazinen, was Herr von Pierer, Herr Breuer oder Herr Piech dazu zu sagen haben - die Meinung des Freiberuflers Meier, des Metzgermeisters Schmitz oder des Lebensmittelhändlers Müller interessiert niemanden.

Der Mittelstand mit all seinen Nöten und Sorgen findet in den Medien so gut wie gar nicht statt. Aber auch unabhängig davon hat er ja gar keine Möglichkeit, seinen Interessen mit Hilfe politischer Erpressung Nachdruck zu verleihen. Womit sollte er den Politikern auch drohen? Soll beispielsweise der bauflautengeschädigte Schreinermeister Huber aus Niederbayern nach Berlin fahren und dem derzeit dort regierenden Herrn Schröder androhen, er werde zwei seiner vier Gesellen entlassen, falls nicht unverzüglich der Bundeskassenwart ein paar „Riesen“ locker macht, um den konjunkturbedingten Ausfall eines so gut wie sicheren Großauftrags abzufedern. Man kann es sich so richtig schön vorstellen, wie tief beeindruckt der „Genosse der Bosse“ wohl wäre, wenn er denn mit solch mittelständischen „Lappalien“ behelligt würde.

Aber nein, die Politik nimmt Arbeitsplatzverluste erst ab dem vierstelligen Bereich wahr. Schreinermeister Huber wird nicht nach Berlin zu Herrn Schröder fahren, er wird seine beiden Gesellen entlassen, und außer den Betroffenen, ihren Familien, dem Vertrauensmann der Gewerkschaft und dem zuständigen Sachbearbeiter des Arbeitsamtes wird kaum jemand etwas davon erfahren. Denn zwei Arbeitslose mehr taugen nicht einmal mehr für ein paar Zeilen im Lokalteil der Heimatzeitung. Sicher, da gibt es im fernen Berlin einen Bundeskanzler, der sich an der Zahl der Arbeitslosen messen lassen wollte - aber doch nicht gerade an diesen beiden …

Mittelstand und Politik: ein schwieriges Verhältnis, fast ein Un-Verhältnis. Mit anderen Worten, es gibt in Deutschland keine Mittelstandspolitik. Sofern es in diesem Lande überhaupt so etwas wie Wirtschaftspolitik gibt - kompetente Kritiker bezweifeln dies -, dann handelt es sich um völlig einseitig orientierte Großindustrie-Politik, die ganz im Zeichen der Globalisierung steht. Diese Art von staatlich geförderter Globalisierung, die zugleich eine Selbstentmachtung des Staates bewirkt, droht zum Totengräber des Mittelstands zu werden. Eine Entwicklung, die nur den „global player“ steuerlich begünstigt, ihm rechtsfreie Räume einräumt, ihn aus der sozialen Mitverantwortung entläßt, bei allen anderen aber - da ja gespart und der Haushalt saniert werden muß - kräftig die Steuer- und Gebührenschraube anzieht, ist in hohem Maße mittelstandsfeindlich. Bevor die Politiker - teils aus freien Stücken, teils unter erpresserischem Druck - diesen Trend weiter vorantreiben, zumindest aber fördern, sollten sie sich in Erinnerung rufen, wem Deutschland, trotz zweier verlorener Weltkriege im zwanzigsten Jahrhundert, seinen heute erreichten, breit gestreuten Wohlstand zu verdanken hat: zu einem ganz großen Teil dem Mittelstand, mit Sicherheit jedoch nicht irgendeiner „Globalisierung“. Wildgewordenen „Globalisierungsgegnern“, ob autonomen oder islamistischen, allerdings auch nicht!

Ironie des Schicksals: Schon wenige Wochen nach dem Anschlag auf das World Trade Center, das Symbol der Globalisierung, begannen die Aktienkurse der großen Kapitalgesellschaften wieder zu steigen - wenn es um Shareholdervalue geht, hat die Börse ein kurzes Gedächtnis. Gleichzeitig zog über den Mittelstand in Deutschland eine neue Pleitewelle hinweg - ausgerechnet der mittelständische Einzelhandel, der mit der Globalisierung ja nun wirklich kaum etwas zu tun hat, mußte nun unter der angstgeprägten Stimmung der Verbraucher leiden. N

Arnd Klein-Zirbes / Stefan Winckler (Hrsg.): „Zukunftsmodell soziale Marktwirtschaft“. Vorwort: Ministerpräsident Roland Koch. Mit Beiträgen u. a. von Lienhard Schmidt, Wolfram Ellinghaus, Hans-Jürgen Mahlitz, Hans-Helmuth Knütter, Ronald Schröder, Raimo Benger. ISBN: 3-9807644-4-3. Preis: 29,80 DM.

Mitten ins Herz: Anschlag auf das WTC in New York Foto: dpa