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22.12.01 »Du machst groß die Freude«

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. Dezember 2001


»Du machst groß die Freude«
von Bischof Dr. Wolfgang Huber

Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude“ (Jesaja 9,2). Deutlicher als mit diesem Prophetenwort kann man nicht beschreiben, was an Weihnachten gefeiert wird.

Aber was läßt uns jubeln, wodurch wird unsere Freude so groß? Wenn das Weihnachtsfest in Eintracht verläuft und ohne Mißklang bleibt, wenn der Weihnachtsfriede bei uns einkehrt - ja, dann besteht Grund zum Jubel, dann ist die Freude groß. Worauf warten wir also? Wir warten darauf, daß Weihnachten gelingt.

Weihnachten hat es mit einem großen Geheimnis zu tun. Die Heilige Nacht, in der Gott Mensch wird, ist die wichtigste Nacht im Jahr. Schon in der alttestamentlichen Prophetie wird die Geburt des Kindes angekündigt, dem wir die Wende der Zeit verdanken. „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.“ Mit diesen Worten beginnt die Verheißung des Propheten. Daran schließt sich der Fanfarenstoß an: „Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude.“

Gegen den lauten Jubel haben uns die Erfahrungen der letzten Monate skeptisch gemacht. Nach den schrecklichen Terrorangriffen vom 11. September und den militärischen Gegenmaßnahmen haben sich die Bilder des Krieges wieder stärker in unser Bewußtsein geprägt. Auch der Wunsch und die Sehnsucht nach Frieden sind uns gegenwärtiger als in den Jahren zuvor. Für die leisen Freuden sind wir empfindsam geworden; dem Sinn dieses Festes kommen wir wieder näher. Die Anzahl der Geschenke ist nicht mehr wichtig, sondern allein, daß wir zu uns kommen und daß wir Zeit für andere Menschen haben.

Der laute Jubel und die große Freude, von denen der Prophet spricht, verdanken sich nicht den Sensationen, die wir selbst hervorbringen. Vielmehr gründen sie auf einem unscheinbaren Ereignis. Die große Freude breitet sich nur bei denen aus, die merken, worum es in diesem unscheinbaren Ereignis geht. Jubel wird laut, weil Gott die Welt nicht allein läßt. Die Freude bricht sich Bahn, weil Gott zu uns kommt. Er kommt als Kind. Durch die Geburt Jesu in Bethlehem, irgendwo am Rand, bindet sich Gott an die menschliche Geschichte, so wie sie wirklich ist. Er läßt sich auf das menschliche Leben ein, in all seiner Zweideutigkeit. Trotzdem bleibt Gott nicht für sich, er kommt zu uns.

Das größte Wunder in der Geschichte Gottes mit seiner Welt ist nicht die Schöpfung in ihren gewaltigen Ausmaßen, so groß auch ihr Geheimnis ist. Das größte Wunder ist das unscheinbare Geschehen von Bethlehem. Daß Gott in einem Kind zur Welt kommt, feiern wir Jahr für Jahr mit lautem Jubel, das begrüßen wir mit großer Freude.

Ich weiß, daß viele Menschen Schwierigkeiten haben, sich Gott vorzustellen. Sie suchen nach einem Bild Gottes und spüren gleichzeitig das Ungenügen. Gott als das Geheimnis der Welt ist unserem Begreifen entzogen. „Du sollst dir kein Bildnis machen“ - so warnen mit Recht die Zehn Gebote.

Doch von dem Zwang, uns selbst ein Abbild von Gott zu machen, werden wir befreit, weil Gott sich selbst uns zeigt. Als „Bild Gottes“ wird Jesus im Neuen Testament ausdrücklich bezeichnet und bezeugt damit, daß sich Gottes Freiheit hier auf unnachahmliche Weise zeigt. „Du sollst dir kein Bildnis machen“ - das gilt aber nicht nur von Gott. Wenn Gott ein menschliches Antlitz gewählt hat, um in unserer Welt heimisch zu werden, dann brauchen wir uns auch vom Menschen kein Bild mehr zu machen. Wir sind dann frei davon, den anderen oder die andere in eine Kategorie zu verweisen, dem er oder sie sich zu fügen hat. In unserer Verschiedenheit können wir uns annehmen und lieben; denn Gott hat uns zuerst geliebt. Und auch die Fortschritte in der Erforschung des menschlichen Erbguts zwingen uns eben nicht dazu, uns dem Ideal einer vollkommenen und makellosen Menschheit hinzugeben. Die Endlichkeit des Menschen soll geleugnet, seine Verletzlichkeit soll überwunden werden.

Wir dürfen die Zukunft des Menschen nicht länger Gott überlassen, titelte eine Zeitung, die damit die abgründige Verführungskraft des wissenschaftlichen Fortschritts deutlich kennzeichnete. An Weih-nachten feiern wir, daß Gott Mensch wurde. Wir wollen die restliche Zeit des Jahres nicht dem Ziel widmen, daß der Mensch Gott wird. Ein solches Vorhaben ist zum Scheitern verurteilt. Bei diesen Fortschritten wird die Endlichkeit unseres Lebens nicht aufgehoben, das menschliche Leiden wird nicht beseitigt. Leid zu lindern, ohne die Endlichkeit des Menschen zu leugnen; Menschen aufzurichten, ohne daß sie Gott gleich sein wollen - das ist ein Ziel, das unserer Weih-nachtsfreude gemäß ist.

Gott ist nicht mehr jenseits, sondern kommt uns nahe. Er ist nicht mehr unangreifbar, sondern läßt sich auf uns ein. Liebe zu Gott und Liebe zum Nächsten sind die selbstverständlichen Folgen aus dem, was in Bethlehem geschah. Gottesdienst und Dienst am Nächsten gehören zusammen. Wenn wir das verstanden haben, warum sollten wir dann nicht einstimmen in den lauten Jubel und in die große Freude? Ja - „Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude“.