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22.12.01 Die Wiedererstehung des Doms der ostpreußischen Hauptstadt in der Wirklichkeit und als Computer-Animation

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. Dezember 2001


Königsberg:
Phönix aus der Asche oder Die virtuelle »Kirchen-Maus«
Die Wiedererstehung des Doms der ostpreußischen Hauptstadt in der Wirklichkeit und als Computer-Animation - ein Gemeinschaftsprojekt der Universität Kaliningrad und der Fachhochschule Rosenheim
von Hans-Jürgen Mahlitz

Ein Klick mit der Maus - auf dem Bildschirm baut sich die wuchtige Westfassade des Königsberger Doms auf, mit dem aufgesetzten Rundturm, den eigenwilligen Fensterreihen, den asymetrisch gestalteten Giebeln.

Erneuter Mausklick, ein neues Bild. Nein, wieder dasselbe Bild. Oder doch nicht? Man muß schon sehr genau hinsehen, um den Unterschied zu erkennen. Das erste Foto zeigt den Dom, wie man ihn heute, nach jahrelangem Wiederaufbau, im alten Herzen der Ostpreußen-Metropole bestaunen kann. Das andere Bild wirkt zwar genauso real, ist es aber nicht: Ich sehe eine Computer-Animation, einen virtuellen Dom, Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen Mathematikern der Fachhochschule Rosenheim und der Universität Kaliningrad.

Nicht ganz zufällig liefen die reale und die virtuelle Wiedererstehung der Domfassade im gleichen zeitlichen Rhythmus ab - 1992/93 hatte man begonnen, 2001 war die erste Phase zum - natürlich nur vorläufigen - Abschluß gelangt.

Die Vorgeschichte in aller Kürze: In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts war mit dem Bau begonnen worden, erst 200 Jahre später war er einigermaßen vollendet. 1519 fand der letzte katholische, 1523 der erste evangelische Gottesdienst statt. 1807, nach der Besetzung durch Napoleons Truppen, diente der Dom als Lazarett, Gefängnis und Remise. Bis zum Ende des 19. Jahrunderts war das Gebäude so heruntergekommen und verwittert, daß der Einsturz drohte. Durch umfangreiche Sanierungsmaßnahmen unter Leitung des Provinzialkonservators Richard Dethlefsen gelang es in den Jahen 1901 bis 1907, das Bauwerk zu stabilisieren und zu erhalten.

Nach den schweren britischen Luftangriffen in der Nacht vom 29. auf den 30. August 1944 schien die letzte Stunde des Königsberger Doms geschlagen. Zwar hatte er keinen direkten Treffer abbekommen, aber die Brände griffen erst auf das Dach, dann auf den Turm, die Seitenwände und das Innere über. Es blieben verkohlte Ruinen und Trümmerhaufen, um die sich jahrelang niemand kümmerte.

Erstmals in den 70er Jahren, zum 250. Geburtstag Immanuel Kants, entsannen sich die sowjetischen Besatzer, daß der auch von ihnen geschätzte große Königsberger Philisoph im Dom seine Grabstätte gefunden hatte. Halbherzig begann man, die Ruine zu entrümpeln, stellte die Arbeiten aber nach dem Jubiläum wieder ein. Immer wieder drohte dem Dom dasselbe Schicksal wie dem Königsberger Schloß: Sprengung und Einebnung. Erst mit dem Ende der Sowjetunion kam die Wende. 1992 wurde die staatliche Firma „Kafedralnyj Sobor“ gegründet, wenig später konnte Dombaumeister Igor Odinzow mit dem Wiederaufbau beginnen, in Zusammenarbeit und mit Unterstützung der russischen Gebietsadministration, der deutschen Bundesregierung, des Fördervereins Königsberg e. V., des Fuldaer Zentrums für Handwerk und Denkmalpflege sowie der Landsmannschaft Ostpreußen.

Szenenwechsel, diesmal heißt der Film „Out of Königsberg“: im fernen oberbayerischen Rosenheim ist Prof. Aribert Nieswandt gerade dabei, einen Großrechner vom Typ Siemens SX 7560 auszumustern, der zwar noch voll funktionsfähig, für die anstehenden Projekte der Mathematik-Spezialrechnersysteme der Fachhochschule jedoch nicht mehr leistungsstark genug ist. Prof Nieswandt ist gebürtiger Ostpreuße. Naheliegend also, daß er bei den Kollegen an der Universität Kaliningrad nachfragt, ob die an dem Gerät interessiert sind. Natürlich sind sie. Mit Hilfe der Ost- und Westpreußenstiftung in Oberschleißheim, der Stiftung Königsberg und der bayerischen Staatsregierung wird der Rechner mit einem luftgefederten Spezialfahrzeug nach Königsberg verfrachtet und zum 450. Geburtstag der altehrwürdigen Universität, der Albertina, als offizielles Geschenk überreicht.

Bei dieser Gelegenheit bekam Prof. Nieswandt zu sehen, was von dem Dom übriggeblieben war, den er aus der eigenen Kindheit noch so prachtvoll in Erinnerung hatte: eine schaurige, einsturzgefährdete Ruine. Mit seinem Kollegen, Prof. Michail Nikitin, arbeitete er sich über Trümmer und wildwachsendes Gestrüpp zu den Grabstätten Herzog Albrechts und Immanuel Kants vor, und hier wurde die Idee geboren: „Können wir nicht den Königsberger Dom in einem animierten Computermodell realitätsgetreu, dreidimensional nachbilden?“ Der reale Wiederaufbau war zu diesem Zeitpunkt nämlich noch nicht gesichert.

Aus diesem - im allerbesten Sinne auch emotional geprägten - Gespräch zwischen dem Königsberger Russen Nikitin und dem Rosenheimer Ostpreußen Nieswandt entstand eine fruchtbare, inzwischen acht Jahre währende Zusammenarbeit zwischen den beiden Hochschulen. Auf einem dreitägigen Symposium in Oberbayern konnten die Partner jetzt Zwischenbilanz ziehen.

Wie bereits erwähnt, war es 1993 noch keineswegs gewißt, ob der Dom tatsächlich wiederaufgebaut würde. Für den Fall, daß die Ruine doch noch abgetragen würde, wollten die Mathematiker das so bedeutsame Bauwerk der Nachwelt wenigstens als Computermodell erhalten. Für den - Gottseidank eingetretenen - Fall des Wiederaufbaus aber sollte ihr Projekt die konkreten Arbeiten begleiten, den Dombaumeister unterstützen und, nicht zuletzt, auch das öffentliche Bewußtsein für die Vollendung der Arbeit am Dom und vielleicht auch für weitere Aufbauprojekte in Königsberg schärfen.

Drei Vorbilder gab es für ein solches Vorhaben: 3-D-Modelle der Peterskirche in Rom, der Frauenkirche in Dresden und der Kirche in Sienna. Hier kann der - virtuelle - Besucher nach Belieben umherschreiten oder verweilen, Details heranholen oder besser ausleuchten, Erklärungen abrufen, alles ganz bequem auf dem Bildschirm, in der Hand als ständige Begleiterin die Computer-Maus.

Von der sprichwörtlichen Armut kann bei solcher „Kirchen-Maus“ keine Rede sein. Im Gegenteil: Die drei Projekte entstanden auf eigens dafür konfigurierten Hochleistungsrechenanlagen (Silicon Graphics beziehungs- weise IBM RS 6000) und wurden mit hohen Beträgen staatlich finanziert.

Ganz anders sah es bei den Rosenheimern und Königsbergern aus. Sie verfügten weder über größere Finanzmasse noch über eine entsprechende Computerarchitektur. Also konnten sie nur auf in den Instituten vorhandene PC’s zurückgreifen. Alle Beteiligten verzichteten auf Honorierung ihrer Arbeit; lediglich Reisekosten wurden von den eingangs erwähnten Organisationen übernommen. Mit berechtigtem Stolz weist Prof. Nieswandt darauf hin, mit welch großem Idealismus viele junge Wissenschaftler von der Fachhochschule Rosenheim und der Universität Kaliningrad mitgewirkt haben.

Das Äußere, die Dom-Fassade, steht, ferner im Inneren, als erstes Beispiel, die Taufkapelle. Damit ist die Arbeit am Scheidepunkt angekommen. Ohne Personalkosten und deutlich größere Rechner ließe sich das virtuelle Werk nicht vollenden. Das aber könnte auch den Fortgang des realen Wiederaufbaus gefährden.

Digitalisierter Dom: Erst entstehen die dreidimensionalen Konturen, dann werden immer mehr Details hinzugefügt.

Dramatische Geschichte eines Baumonuments: Angesichts der einsturzgefährdeten Ruine der 90er Jahre (links) beschlossen deutsche und russische Mathematiker den virtuellen Wiederaufbau als Computermodell. In der Realität entspricht heute wenigstens die Fassade (rechts) dem Bild aus Vorkriegszeiten (Mitte). Fotos (4): FH Rosenheim