23.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
12.01.2002 Berlin: Rot-rotes Händewaschen

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 12. Januar 2002


Berlin: Rot-rotes Händewaschen
Fritz Schenk zur Hauptstadt-Koalition

Wer die politische Szene in Berlin seit dem Bonner Regierungswechsel von 1998 beobachtet hat, ist von dem Bündnis aus SPD und PDS nicht überrascht worden. Selbst der sogenannte konservative Flügel der SPD wollte die Koalition mit der CDU nicht mehr. Mit „konservativ“ sind jene Sozialdemokraten gemeint, die der SED (noch) keine Absolution für deren Gewaltpolitik seit 1945 erteilen möchten: Die Anhänger Ernst Reuters, dem überhaupt das Überleben des freien Berlins zu verdanken war, aber auch diejenigen, die entweder selber oder durch ihre Eltern in der Erinnerung an die Repressionen der Kommunisten bei der Zwangsvereinigung von SPD und KPD 1946 bis hin zur Spaltung der Stadt und der Errichtung ihres mörderischen Mauerregimes leben. Schließlich hat keine andere deutsche Region die kommunistische Gewaltpolitik so aus der Nähe beobachten können - und teilweise unter Gefahren und Entbehrungen durchstehen müssen - wie Berlin. Und dennoch: Die inzwischen nachgewachsene Berliner Führungsriege der SPD interessieren diese Erfahrungen nicht mehr. Sie will regieren, und dafür will sie „stabile“ Mehrheiten. Und die verspricht sie sich zur Zeit nur mit der PDS.

Die Berliner Vorgänge sagen im Grunde hauptsächlich etwas über den geistig-politischen Zustand der SPD aus. Betrachtet man ihre Geschichte, dann waren die regierenden Mehrheiten immer eher das, was der SPD-Vorsitzende und Bundeskanzler Schröder so gern seine „Neue Mitte“ nennt: politische Realisten, die dem jeweils Machbaren den Vorrang vor ideologisch bestimmten Wunschzielen einräumten. Von August Bebel (der mit Marx und Engels im Clinch lag, weil ihm soziale Reformen wichtiger waren als die „sozialistische Weltrevolution“) über Ebert, Scheidemann und Hermann Müller in der Weimarer Republik bis hin zu Schumacher, Ollenhauer, Erler, Brauer, Kaisen, Zinn, Kopf, Weichmann, Brandt und Schmidt reichen die Namen derer, die das Gemeinwohl vor ideologisch bestimmte Parteiinteressen gesetzt hatten.

Das war der Hauptgrund dafür, weshalb es in Deutschland nie zu den seit Lenin und Stalin propagierten „Volksfrontregierungen“ aus Kommunisten und Sozialdemokraten gekommen war. Denn immer stand für die Kommunisten die Errichtung einer sozialistischen Endzeitgesellschaft („Diktatur des Proletariats“) im Vordergrund, und die Beteiligung an Regierungen diente einzig dem Ziel, „die bürgerlich-kapitalistische Klassengesellschaft“ in den Ruin zu treiben und sie damit für die sozialistische Revolution reif zu machen.

Nun mögen naive Gemüter einwenden, das sei Vergangenheit. Der totale Zusammenbruch des realen Sozialismus russischen Typs habe schließlich seine Unfähigkeit bewiesen, kehre daher nie wieder, denn selbst die PDS versichere ja, daß auch für sie die Demokratie an erster Stelle stehe. Dem muß man entgegenhalten, daß nirgendwo ein solch inflationärer Wucher mit den Worten „Demokratie“ und „Demokrati-sierung“ getrieben worden ist wie im real regierenden Sozialismus. Daher sollten nur Ziele und Taten zählen. Und nimmt man diese, dann strebt die PDS in ihrem Programm nach wie vor eine „grundsätzlich sozialistische“ Gesellschaft an, weshalb sie dem „außerparlamentarischen Kampf“ den Vorrang vor der Beteiligung an den demokratischen Prozessen, Regeln und Institutionen des demokratischen Rechtsstaats einräumt.

So gesehen darf man davon ausgehen, daß die PDS ihre regionalen Regierungsbeteiligungen - zuerst durch „Duldungen“ in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern (woraus dann die erste SPD/PDS-Koalition wurde) und nun in Berlin - nur als Sprungbrett für die Mitbeteiligung an einer Bundesregierung ansieht, und diese soll dann die „grundsätzliche Veränderung der nach wie vor kapitalistisch-imperialistisch geprägten BRD“ bewirken. Nur so erhalten Gysi und seine Koalitionäre ja auch bei ihrem revolutionären Flügel den Rückhalt oder zumindest stillschweigende Hinnahme für die gegenwärtige Politik.

Damit sind aber die drängenden Aufgaben unseres Gemeinwesens nicht zu lösen. Schon Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern bilden wegen ihres staatlich dominierenden Dirigismus die Schlußlichter unter den neuen Bundesländern und kommen aus ihrer Kostgängerrolle gegenüber dem Gesamtstaat nicht heraus. Noch schlimmer ist es in Berlin, das die Verschuldungsmarge als Bundesland längst überschritten hat. Und obwohl der Bundeskanzler wie der Bundesfinanzminister versichert haben, daß der Bund nicht in die Bresche springen und die Berliner Schulden weitgehend aus Bundesmitteln tilgen werde, hat das die rot-roten Neukoalitionäre anscheinend überhaupt nicht beeindruckt.

Im Gegenteil: Während der SPD-Landesvorsitzende Strieder über das Entgegenkommen der ach so einsichtigen Gysi-Unterhändler hinsichtlich von Einsparungen im Landeshaushalt frohlockt, spricht sein „Partner“ von der PDS-Fraktion, Wolf, ganz unverblümt aus, daß man für 2003 eine zusätzliche Neuverschuldung von 3,2 Milliarden Euro ins Auge gefasst habe.

Die Berliner SPD hat die Büchse der Pandora geöffnet: Sitzt die PDS erst dort an den Hebeln der Macht, wird auch der SPD-Vorsitzende mit diesem zusätzlichen Koalitionsköder auf Stimmen-Jagd gehen. Und bei Gregor Gysi kann man sicher sein, daß er diesen Coup ebenfalls mit Geschick und Biedermannsmiene zu verkaufen weiß. Damit könnte die Volksfront in der deutschen Geschichte zum ersten Mal gesamtstaatliche Wirklichkeit werden. Für die SED-Fortsetzer wäre das dann die Wiederherstellung der „Einheit der Arbeiterklasse“, wofür sie 1946 tausende Funktionäre und Mitglieder der SPD - ihres jetzigen Koalitionspartners - hinter Gitter gebracht oder in den Tod getrieben hatten.

Händedruck mit Tradition: Ob Gysi und Wowereit 2002 oder Grotewohl und Pieck 1946 - das Zusammengehen von Kommunisten und Sozialdemokraten verspricht nichts Gutes für Berlin und für Deutschland. Fotos: dpa/Ullstein