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12.01.2002 Jubiläum der Universität Breslau: Die »Leopoldina« lebt

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 12. Januar 2002


Jubiläum der Universität Breslau: Die »Leopoldina« lebt
In der Odermetropole verbinden sich Ostdeutsches und Ostpolnisches
von Martin Schmidt

Die Städte Bautzen in der Lausitz und Deggendorf in Niederbayern feiern in diesem Jahr ihr 1000jähriges Bestehen, und die Universität Halle-Wittenberg wird stolze 500 Jahre alt. Umfangreiche Begleitprogramme sollen nicht nur die Menschen vor Ort zum historischen Innehalten bewegen.

Solche würdevollen Festanlässe muten anachronistisch an in einer Zeit, in der Politiker und Medien aus der Einführung des Euro allgemeine Spaßwochen machen und die Menschen trotz offensichtlicher Preiserhöhungen auch noch die Sektkorken auf das Neujahrs-„Geschenk“ knallen lassen.

Mehr noch: Viele Deutsche sind sich nicht zu schade dafür, ohne Notwendigkeit in langen Schlangen für das druckfrische Geld anzustehen. So, als ob sie es nicht abwarten könnten, ihre Mark gegen die mutmaßliche europäische Weichwährung einzutauschen.

Vor dem Hintergrund derartiger Bewußtseinstrübungen muß es erst recht anachronistisch erscheinen, wenn im Folgenden daran erinnert wird, daß sich die Deutschen 2002 außerdem die runden „Geburtstage“ von Städten und Hochschulen in den früheren Ostgebieten des Deutschen Reiches vergegenwärtigen sollten. Sind sie doch ein unverzichtbarer Bestandteil des geschichtlichen Erbes unseres Volkes.

Stellvertretend seien die 300-Jahr-Feier der Universität Breslau und die 800-Jahr-Feier der niederschlesischen Stadt Sagan hervorgehoben.

Die Universitätstraditionen Breslaus und damit ganz Schlesiens gehen - nach einem fehlgeschlagen Versuch von 1505 - auf die Erhebung der dortigen Jesuitenschule in den Rang einer Hochschule im Jahr 1702 zurück. Urheber war Kaiser Leopold I., nach dem die Lehranstalt auch ihren Namen hat: „Leopoldina“.

Zwischen 1726 und 1736 folgte der Bau des Universitätsgebäudes einschließlich der im Krieg unzerstört gebliebenen Aula Leopoldina. Heutige Besucher des mit prachtvollen barocken Fresken bemalten Saales werden dennoch unweigerlich an die brutale Zäsur von 1945 erinnert: Am Eingang zur Aula passieren sie eine kunstvoll geschnitzte Tür, an deren Außenseite einst der österreichische Doppeladler prangte, ehe die neuen polnischen Machthaber ihn durch einen polnischen und schlesischen Adler ersetzten.

Sehenswert ist auch das bis heute von der Universität genutzte benachbarte Josephskonvikt, entstanden zwischen 1734 und 1755. In einem Hörsaal des schloßartigen Baus hielt der aus Norwegen stammende Philosophie-Professor Henrik Steffens am 8. Februar 1813 seine berühmt gewordene Rede an die deutschen Studenten mit der Aufforderung zum Kampf gegen die napoleonische Fremdherrschaft.

Dieses Ereignis verweist auf jene Jahre, in denen in Schlesien und besonders in Breslau das Herz der ganzen deutschen Nation schlug.

Am 19. November 1811 wurde die aus Frankfurt/Oder verlagerte Universität nach den Plänen des großen Bildungsreformers Wilhelm von Humboldt in Breslau neugegründet. Die im freiheitlichen Geist des Aufbruchs dieser Zeit erblühende Bildungsstätte war die erste in Deutschland, die zugleich eine evangelische wie eine katholische Theolgische Fakultät ihr eigen nannte.

Am 25. Januar 1813 erklärte Preußens König Friedrich Wilhelm III. Breslau kurzzeitig zu seiner Residenz und verkündete dort am 17. März desselben Jahres den kämpferischen Aufruf „An mein Volk“. Zahlreiche Studenten zogen daraufhin als Freiwillige in den Krieg gegen die französischen Besatzer, ohne daß sich am Ende ihre Träume von einem in Freiheit vereinten Deutschland erfüllten.

Breslau blieb bis zum Zweiten Weltkrieg trotz seiner vergleichsweise jungen Universitätstradition ein bedeutendes akademisches Zentrum des Deutsches Reiches und unterstrich die jahrhundertelange Rolle Schlesiens als eine der wichtigsten deutschen Kulturlandschaften. Immerhin kamen in der Odermetropole, die vor anderthalb Jahren in großem Stil ihre 1000jährige Gründung zelebrierte (siehe OB 1/00 und 37/00), drei deutsche Nobelpreisträger zur Welt: der Chemiker Fritz Haber und die Physiker Max Born und Friedrich Bergius.

Auch Geistesgrößen wie der Mystiker Angelus Silesius (Johannes Scheffler), der Theologe und Philosoph Friedrich Schleiermacher, der Baumeister Carl Ferdinand Langhans oder der Maler Adolf Menzel wurden hier geboren, ebenso der Fabrikant August Borsig, Ferdinand Lassalle, der Begründer der deutschen Arbeiterbewegung, und der im KZ umgekommene Theologe Dietrich Bonhoeffer. Ein große Zahl weiterer Wissenschaftler und Künstler aller Richtungen wirkte in Breslau.

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges und in den ersten Monaten und Jahren danach widerfuhr dann auch den Professoren und Studenten der Leopoldina das harte Schicksal der Vertreibung. An ihrer Stelle kam eine erhebliche Zahl polnischer Akademiker aus Lemberg in die Stadt.

Professoren der von den Sowjets in der westukrainischen Hauptstadt geschlossenen polnischen Jan-Kazimierz-Universität nahmen bereits im Herbst 1945 ihre Arbeit an der Oder wieder auf. Auch die berühmte Ossolinski-Bibliothek gelangte im Zuge der Zwangsumsiedelungen aus Lemberg nach Breslau. Heute bildet die im Jahre 1817 begonnene, äußerst reichhaltige Bücher- und Manuskriptsammlung des polnischen Gelehrten J. M. Ossolinski den Hauptbestandteil der im früheren Matthiasgymnasium untergebrachten „Nationalbibliothek“.

Breslau zählt neben den Universitäten in Warschau und Krakau zu den wichtigsten Wissenschaftszentren in der Republik Polen. Nach dem Umbruch der frühen 90er Jahre begann man mit Blick auf das anstehende Jubiläum damit, die alten Universitätsgebäude gründlich instandzusetzen.

Als spezielle Lehr- und Forschungsinhalte traten zusätzlich zu dem bewußt hochgehaltenen „ostpolnische Erbe“ immer mehr Vorlesungen und Seminare in den Vordergrund, die sich der deutschen Vergangenheit Breslaus und Schlesiens widmeten. Dabei kommt es immer wieder zur paradoxen Situation, daß sich polnische Dozenten vergeblich um Forschungskooperationen mit deutschen Hochschulen bemühen. So konnte das Historische Institut zum Beispiel keinen westlichen Ansprechpartner für ein Forschungsvorhaben über die Epoche des Mittelalters in Breslau auftun.

Zuletzt geriet die Universität in die Schlagzeilen, als polnische Freiwillige in einer spektakulären Rettungsaktion dafür sorgten, daß beim Oderhochwasser 1997 die Universitätsbibliothek rechtzeitig ausgelagert wurde. - Ein Segen für Polen wie Deutsche, für die das in den letzten Jahren kräftig aufpolierte Breslau samt Universität ein weithin ausstrahlendes Geisteszentrum sein könnte, in dem sich gesamtdeutsche, ostdeutsche und spezifisch schlesische Einflüsse auf einmalige Weise mit gesamtpolnischen und ostpolnischen verbinden.

 

Fototext: Mit den Jesuiten fing es an: Blick auf die Oderfront der 1702 entstandenen Breslauer Hochschule