29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
12.01.2002 Geistreiches

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 12. Januar 2002


Geistreiches
von Günter Schiwy

Die abgehärteten masurischen Männer haben im kalten Winter bei ihrer Arbeit draußen in der freien Natur nie geklagt, ganz gleich, ob es die Waldarbeiter, Rücker oder aber Fischer waren. Sie taten es selbst dann nicht, wenn das Thermometer minus 30 Grad und mehr anzeigte. Und das hatte seinen Grund! In der kalten Jahreszeit taten sie ein bißchen mehr für ihre „Genüsse“, die sie gegenüber ihren Frauen mit der herrschenden Kälte und ihren rotgefrorenen Nasen begründeten. Das hing mit dem Duft der Nelken, dem Zimt, der Zitrone und den „geistreichen Wässerchen“ zusammen, wozu man in der Tat eine „gute Nase“ brauchte, um das Richtige gegen die Kälte zu wählen.

Es gab ja in den Gastwirtschaften eine ganze Palette von Spirituosen, die man warm, heiß, aber auch kalt trinken konnte. So hatten sie zur Auswahl Meschkinnes, Kurenkaffee, Kosakenkaffee, Bärenfang, Wodka, Pillkaller, Danziger Goldwasser, einfachen und doppelten Korn, Masurengeist, Rotwein, Arrak und den guten alten Rum. Aus dem Rotwein und Rum ließen sich die besten steifen Grogs, Pünsche und Glühweine mit heißem Wasser und den entsprechenden Gewürzen und Zutaten kredenzen. Und der erste Schluck davon rann den Männern durch die rauhen Kehlen bis in die großen Zehen.

Doch manch einem fuhr der Schluck auch unter die Haarwurzeln. Sie verlangten mehr von dem heißen Getränk! Es hieß dann immer: „Auf einem Bein kann man nicht stehen!“ Doch manch einer hatte drei und mehr Beine! Bei dem guten Geschmack der „heißen Genüsse“ vergaß doch dieser oder jener, daß mit den Getränken eine gewisse Tücke verbunden war, nämlich die, daß ein heißes Glas des „köstlichen Geistes“ schnell geleert wird, so daß nachgeschenkt werden muß. Der arme Alkohol gerät schnell in den Blutkreislauf und wärmt die durchgefrorenen Glieder auf. Doch er „haut auch schnell um“!

Die ostpreußischen Wirte kannten sich nicht nur mit der Kälte im Winter aus, sondern auch mit dem klaren Brunnenwasser, das sie für den Rumgrog brauchten. Bei dem zünftigen Grog muß das Grogglas angewärmt und das Wasser kochend heiß sein. Der Rum muß mindestens Stubentemperatur haben. Es kann auch Arrak oder Weizenkorn sein. Der Zucker muß in dem heißen Wasser schnell verrührt werden. Und zum Schluß kommt je nach Geschmack und Verträgnis Rum dazu, der in die Nase steigt und bereits beim Atmen wärmt. Deshalb sagte der Ostpreuße: „Wasser kann, jedoch Rum muß sein!“

Rumgrog wird nicht nur an der Küste der Ost- und Nordsee getrunken, wo Wind, Regen und Sturm regieren, sondern auch im binnenländischen Masuren, wo Eis, Schnee und Frost die Rumtage bestimmen. Bei Punsch und Glühwein wurden besondere Sorgfalt und Zutaten verwendet. Sie wurden meistens gekocht, wenn ganze „Gesellschaften von Genießern“ in der Gaststätte erschienen, wie Gruppen von Holzfällern, Flößern, Jägern, Fischern und Langholzfuhrleuten (Rückern). Guten Punsch können nur ein guter Rotwein und eben gebrühter Tee ergeben, dem in Masuren ein anständiger Schuß Rum, Arrak oder Weizenkorn hinzugegeben werden mußte.

Doch den Rumgrog verachteten bei uns im kalten Osten auch die Kutscher von Schlittenfahrten nicht. Bei festgefrorenem Schnee und anhaltendem Frost kehrten sie in die Wirtshäuser ein, um sich die Schnurrbärte oder Bärte auftauen zu lassen. Dabei tranken sie an der Theke schnell einen warmen Korn, bevor sie zum Grogglas griffen und Platz am Tisch nahmen. Währenddessen standen die Pferde mit bereiften Nüstern draußen, die Pferdedecke aufgelegt, und fraßen aus den Futtersäcken oder dem Holztrog ihren wohlverdienten Hafer.

Doch bei uns in Masuren und vor allem in meinem Wald- und Fischerdorf Kreuzofen erinnere ich mich auch gern an die Winterabende, an denen mein Vater gute Bekannte und Nachbarn zu einem Gespräch nach Hause einlud, um mit ihnen einen steifen Grog zu trinken und zu plaudern. Meine Mutter setzte alljährlich in der Adventszeit einen guten Punsch oder Glühwein an, den mein Vater und die Gäste gern tranken. Dazu gab es Kartoffelflinsen, Krapfen und Berliner.

Kurz bevor nach Hause aufgebrochen wurde, spendierte mein Vater noch eine Flasche selbstangesetzten Bärenfang, der den Männern nach dem Punsch gut mundete und der als Wegzehrung in der kalten Nacht gedacht war.

Ich selbst erinnere mich gern an diese abendlichen Zusammenkünfte im Elternhaus. Gedanklich rieche ich noch die aromatischen Dämpfe des Punschs, des Glühweins und des Rumgrogs, die das ganze Haus erfüllten und durchdrangen. Mir kamen diese gemütlichen Gesprächsabende wie kleine Feiern vor, auf denen gut gegessen, getrunken und in angeheiterter Stimmung erzählt wurde, während der Kachelofen zusätzlich noch eine behagliche Wärme in die Stube verströmte.

Draußen schienen der Mond und die Sterne am klaren Abendhimmel, wenn die Männer in ihren Stiefeln über den laut knirschenden Schnee die Dorfstraße nach Hause gingen. Kreuzofen war in ein märchenhaft winterliches Kleid gehüllt.