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19.01.2002 Deutsche-Bahn-Misere: Eine widerlich winterliche Zugreise nach Sonthofen

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 19. Januar 2002


Deutsche-Bahn-Misere:
Bitte Decken mitbringen!
Eine widerlich winterliche Zugreise nach Sonthofen
von Gustav Klepper

Ich wollte über Weihnachten/Neujahr mit der Bahn von Melsungen nach Sonthofen fahren. Mit einigen Grundkenntnissen im Bedienen des Computers und des Internets bin ich - 76 Jahre - zwar mit den modernen Einrichtungen noch nicht ganz vertraut, aber ich schmiß trotzdem meinen Rechner an, tippte www.reiseauskunft.bahn.de“ ein und schon hatte ich alle Verbindungszüge in der gewünschten Destination. Etwas verwirrend zwar, da der Bildschirm mir auch noch den Weg von unserer Straße bis zum Bahnhof zu Fuß und per Bus anzeigte. Dieser Weg erschien mir nicht ganz empfehlenswert, und ich wollte mich lieber von meinem Schwiegersohn mit dem Auto zum Bahnhof fahren lassen.

Im Hinblick auf mein Alter suchte ich mir einen Zug aus, mit dem ich nur einmal, und zwar in Kassel, umsteigen müßte. Obwohl die Reise etwas länger dauerte, über sechs Stunden, sagte ich mir: „Du sitzt schön gemütlich in einem Abteil, brauchst kein Gepäck zu schleppen, stehst nicht auf zugigen Bahnsteigen herum, und Zugverspätungen können dich nicht schrecken.“

Mit t-online-eMail bestellte ich die Fahrkarten und Platzreservierungen. Innerhalb kürzester Zeit bekam ich die zweiseitige, ausführliche Bestätigung mit allen Angaben. Die Fahrkarte selbst erhielt ich einige Tage später mit der Post.

Prima Sache. So konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen. Die Fahrt ließ sich auch gut an. Der IC 1081 hatte zwar in Kassel-Wilhelmshöhe zehn Minuten Verspätung, aber ich sagte mir: Das holt der Zug in den sechs Stunden sicherlich wieder ein, und ob ich zehn Minuten früher oder später ankomme, spielt ja auch keine Rolle.

Die Reise über Fulda, Würzburg bis Augsburg verlief „fahrplanmäßig“. Da der Servierwagen des BordRestaurants (so nennt man neuerdings den Speisewagen bei der Bahn) nicht durch die einzelnen Wagen kam, machte ich mich auf, um im Restaurant einen Becher Kaffee mit Holzrührstab zu erstehen. Auf die Frage, warum der Servierwagen nicht durch den Zug komme, wurde lapidar gesagt: Dazu habe man keine Zeit.

In Augsburg hatten wir einen längeren Aufenthalt, da der Zug geteilt wurde. Wir bekamen eine neue Lokomotive. Und damit fing es an, ungemütlich zu werden. Es wurde im Waggon immer kälter. Der Zug fuhr zwar in Richtung „Gefrierkühlfach Deutschlands“ (Oberstdorf), aber ich wollte doch nicht eingefroren werden. Die Reisenden um mich herum zogen die Mäntel an, setzten Hüte und Pelzmützen auf, ja einige schützten ihre Hände sogar mit Handschuhen. Ich fühlte mich zurückversetzt in die Kriegszeit 39/45. Wir hatten damals in Deutschland noch richtige Lokomotiven, die pufften und zischten, und auch überschüssigen Dampf bliesen sie einfach ab. Aber die Verbindungsschläuche waren oft defekt, konnten im Krieg nicht ersetzt werden, und daher kam der Dampf nicht in die Heizungen der Wagen. Nun, damals war Krieg, und „Räder mußten rollen für den Sieg“.

Jetzt ist ja auch Krieg in Palästina und Afghanistan, ob die Kälte in unserem Zug damit zusammenhängt? Eigentlich dürfte sich das auf die privatisierte Bahn in Deutschland nicht auswirken. Heute verwendet die Bahn aber Zugmaschinen, die zum Ärger der Grünen mit Atomstrom betrieben werden, die können wohl keine Wärme erzeugen?

Eingedenk der Erzählungen meines Großvaters, der wiederum von der Reise seines Großvaters in der prähistorischen Zeit der Postkutsche erzählt hatte, erinnerte ich mich daran, daß der Kutscher für solche Widrigkeiten immer Wolldecken in der Kutsche mitführte. Mein Ururgroßvater mußte das ja wissen, denn er war Wolltuchmacher-Fabrikant und fuhr noch mit der Kutsche zur Kundschaft. Er hatte 1835 die erste Dampfmaschine in Kurhessen.

Ich machte mich auf die Suche nach einem „Dienstabteil“ mit Wolldecken. Dabei kam ich an den Abteilen der ersten Klasse vorbei und mußte feststellen, daß auch die Mitfahrer dieser etwas teureren Klasse die Mäntel angezogen und Mützen aufgesetzt hatten. Daraus schloß ich, daß derartige Wolldecken, wie früher in den Postkutschen vorrätig gehalten, bei der Bahn unbekannt sind.

Ich freute mich, daß ich die Zusatzkosten für die erste Klasse gespart hatte, denn da hätte ich für mehr Geld ja auch frieren müssen. Zwischenzeitlich kam eine Schaffnerin mit dickem Schal um den Hals vorbei, ich wagte nicht, mich bei ihr zu beschweren, denn sie war ja wohl das erste beklagenswerte Opfer dieses „Frostexperiments“ der Bahn.

In Immenstadt wurde dann die Lokomotive erneut gewechselt. Ich fuhr jetzt rückwärts zur Fahrtrichtung. Ob die neue Lok wohl mehr Wärme an die einzelnen Waggons abgab, konnte ich nicht mehr feststellen, denn nach zehn Minuten mußte ich aussteigen und tröstete mich damit, daß es auf dem Bahnsteig in Sonthofen tatsächlich noch kälter als im Wagen Nummer 16 war. So endete meine Hinfahrt.

In den nächsten Tagen wurde ich immer wieder bis zu den Weihnachtsfeiertagen durch heftiges Niesen an diese Fahrt erinnert.

Im nächsten Jahr hatte ich die Folgen der Hinfahrt überstanden und trat am 4. Januar, 12.07 Uhr mit dem IC 1082, Wagen 15 die Rückfahrt an.

Zuerst kam es mir, nachdem ich vom kalten Bahnsteig in den Waggon eingestiegen war, recht warm vor. Aber bald merkte ich, daß das nur Einbildung war. Es war wie auf der Hinfahrt: kalt. Dazu kam immer noch ein zusätzlicher Luftzug, wenn die Wagentür zum Vorraum aufging. Alles schrie dann: Tür zu! Meist hatte sie keiner aufgemacht, aber die Tür öffnete sich bei jeder Rechtskurve von selbst. Der junge Mann, der als Nächster an der Tür saß, stand dann bereitwillig auf und schloß die Tür wieder, bis es ihm zu dumm wurde und er einen Platzwechsel vornahm. So stand dann die Tür meist offen.

Der Bahnmitarbeiter, der die Fahrkarten kontrollierte, erklärte mir auf die Frage, warum es im Wagen so kalt sei: „Das ist immer so.“ Er wollte mir dann den Unterschied der Wärmeabgabe zwischen einer E-Lok und einer Diesel-Lok erklären, aber das wollte ich überhaupt nicht hören. Er tröstete mich damit, daß wir ja in zwei Stunden in Augsburg seien und es dann wärmer würde. Das war mir von der Hinfahrt bekannt, ich verkroch mich in meinen Mantel und zog die Pelzmütze über den Kopf. Ich träumte von einer schönen, heißen Tasse Kaffee, die ich mir nach Augsburg kaufen würde, denn ab Augsburg hätten wir ja wieder ein „BordRestaurant“. In Augsburg wagte ich nicht auszusteigen. Wir hatten zwar 40 Minuten Aufenthalt, aber der Zug wurde umrangiert und fuhr von einem anderen Bahnsteig. Ich war auf diesen Zug eingestimmt und wollte nicht zum Schluß allein auf einem falschen Bahnsteig in Augsburg stehen. Also wartete ich ab und erst bei der Abfahrt steuerte ich das „BordRestaurant“ an, um mir einen Kaffee zu holen. Da erklärte mir der „BordRestaurantChef“, Kaffee hätte er nicht anzubieten. Es sei kein Wasser da, um Kaffee, Tee oder eine Brühe herzustellen. Ich könne Coca-Cola, Mineralwasser usw. haben, garantiert eisgekühlt. Der zufällig anwesende Zugchef bestätigte dies und meinte hierzu, er würde bei der Begrüßung der Zuggäste jetzt gleich darauf hinweisen, daß warme Getränke leider nicht erhältlich seien.

Da haben wir jetzt die modernste Technik, Handy und alle Errungenschaften der modernen Zeit, aber keine Wärme und kein Wasser in den Zügen.

Geknickt verließ ich die „gastliche Stätte“ und zog mich auf meinen Platz im Wagen 15 zurück. Das Großraumabteil wurde wieder warm. Die Tür ging zwar zwischendurch immer mal auf, aber auf der Schnellstrecke ab Würzburg nur noch selten, denn der Zug fuhr jetzt so schnell, daß die Tür gar nicht mehr die Zeit zum Aufgehen hatte.

Pünktlich erreichten wir Kassel, und auch der Anschluß klappte, so daß ich nach sechs Stunden fünfzehn Minuten wieder in heimatlichen Gefilden ankam.

Die Fahrt wird mir in Erinnerung bleiben, und jetzt warte ich gespannt auf den nächsten Schnupfen. Ein Kratzen im Hals hat sich schon eingestellt. Ich lutsche Halstabletten, die leider weder von der Krankenkasse noch von der privatisierten Bahn bezahlt werden.

Übrigens, die Fahrtkosten wurden erst nach vier Wochen vom Konto abgebucht und erhöhen erst im neuen Jahr die Euro-Schulden. Ich habe mithin für diese Zeit die Zinsen gespart.

Verbesserungsvorschlag für die Deutsche Bahn AG: Bitte im Internet die schlecht geheizten Züge mit einem Vermerk DM (Decken mitbringen) versehen (Bezeichnung DM ist ja jetzt frei) und außerdem darauf hinweisen, daß warme Getränke in den „BordRestaurants“ wegen Wassermangels nicht immer hergestellt werden können.

„Prima Sache“: Staus, Verspätungen, defekte Technik, ungepflegte Züge - die Deutsche Bahn wird mehr und mehr Deutschen zum Ärgernis Foto: dpa