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26.01.02 Neues Projekt der Grenzlandbildungsstätte Burg Hohenberg

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 26. Januar 2002


Unterwegs im Egerland:
Dem Verfall preisgegeben
Neues Projekt der Grenzlandbildungsstätte Burg Hohenberg
von Martin Schmidt

Wer heute das westliche Grenzgebiet Tschechiens zur Bundesrepublik Deutschland bereist, sei es mit dem Auto, dem Fahrrad oder per pedes auf den neu eingerichteten grenzüberschreitenden Wanderwegen, stößt immer wieder auf erschreckende Spuren des Verfalls. Überall finden sich leerstehende Häuser. Nur vereinzelt heben sich gepflegte Gebäude - oft Wochenendhäuser - aus der Tristesse hervor.

Die meisten Zeugnisse der einst blühenden Kultur der deutschen Bewohner des Egerlandes, die nach 1945 aus ihrer Heimat fliehen mußten bzw. vertrieben wurden, befinden sich in einem desolaten Zustand. Oft sind sie ganz von der Landkarte verschwunden und lassen sich nur noch in Form von Wüstungen, sinnlos gewordenen Alleen oder verwilderten Obstbäumen erahnen.

Besonders schlimm sieht es im Ascher Zipfel aus, der sich im Nordwesten zwischen sächsisches und bayerisches Territorium schiebt. Eine positive Ausnahme bilden demgegenüber die berühmten Touristenattraktionen Karlsbad und Marienbad. In Eger wurde immerhin der Marktplatz herausgeputzt, doch schon in den Seitengassen sieht es traurig aus.

Nicht wenige Orte wurden im Gefolge der Vertreibung gezielt geschleift, nachdem der Warschauer Pakt zu Beginn der 50er Jahre mit der Errichtung des „Eisernen Vorhangs“ begonnen hatte. Rund 1400 böhmische Dörfer in unmittelbarer Grenznähe existieren seither nur noch in der Erinnerung. Und auch das nicht uneingeschränkt.

Denn den tschechischen Kommunisten reichte eine oberflächliche Zerstörung der alten Bausubstanz in den Sudetengebieten nicht aus, sie trachteten danach, die alteingesessene deutsche Bevölkerung von über dreieinhalb Millionen Menschen aus dem kollektiven Gedächtnis auszulöschen. Gleichzeitig sollten auf diesem Wege die gewaltsam geschaffenen politischen Fakten legitimiert werden.

Beispiele für das Verdrängen sind u. a. der Umgang mit Kirchen, Kapellen, Friedhöfen, Burgen und Schlössern und Aufschriften aller Art, aber auch die Darstellung des Themas „Deutsche“ in tschechischen lokal- und heimatgeschichtlichen Veröffentlichungen sowie in den örtlichen Museen. Hier wurde - und wird leider noch immer - versucht, all das zu minimieren oder auszulöschen, was mit der Geschichte und Kultur der Deutschen in den böhmischen Ländern zusammenhängt.

Lang ist die Liste der Kulturverluste: Das Schloß der Grafen von Zedtwitz in Neuberg (Podhradi) riß man ab, der dortige Friedhof ist verwahrlost, während der alte Friedhof von Oberreuth (Horni Paseky) sogar mutwillig zerstört wurde. Die Burg Liebenstein verfällt, das Dorf Oberreuth ist zu einer häßlichen Plattenbausiedlung verkommen, und die einst reiche Industriestadt Asch (As) siecht trostlos dahin.

Solch ernüchternden Bestandsaufnahmen, denen zahlreiche weitere Beispiele an die Seite gestellt werden könnten, veranlaßten die an den Ausläufern des Fichtelgebirges gelegene Grenzlandbildungsstätte Burg Hohenberg zu einem bemerkenswerten Projekt: Vom 18. bis 23. November führte man eine Seminarwoche unter dem Titel „Das verlassene Land. Betrachtungen im Grenzgebiet“ durch, bei der die Suche nach den Spuren der früheren deutschen Bewohner Westböhmens im Mittelpunkt stand.

Das Programm beruhte auf Beobachtungen und Recherchen, die der Hohenberger Studienleiter Dr. Martin Hübner und Dr. Karl W. Schubsky auf Wanderungen und Fahrten durch das Grenzgebiet gemacht hatten. Beiden ging es darum festzustellen, wo im bayerisch-tschechischen Grenzraum noch Zeugnisse deutscher Kultur und Besiedlung außerhalb der großen Städte und Ortschaften vorhanden sind und in welchem Erhaltungszustand sie sich befinden.

Da sowohl Hübner als auch Schubsky nicht selbst aus Böhmen stammen, konnten sie völlig unbelastet an das Thema herangehen.

Im Rahmen von Vorträgen und eigenen Ausflügen ins Egerland wurden die Teilnehmer der Seminarwoche mit dem Ist-Zustand vertraut gemacht, aber auch anhand alter Bilder und Fotografien auf die gewaltigen Einbußen an historischer Bausubstanz hingewiesen. Sie mußten viele negative, aber auch einige positive Erfahrungen über den Umgang mit den Resten deutscher Vergangenheit durch die heutigen Bewohner machen.

Wo sich etwas Erfreuliches tut, stecken häufig besondere Verhältnisse oder das Engagement einzelner dahinter. Das gepflegte Gasthaus im früheren Gutshof in Grün (Doubrava) befindet sich zum Beispiel im Besitz des aus der slowakischen Zips hierher verschlagenen Ladislav Nandovsky. Als Sohn eines slowakischen Vaters und einer deutschen Mutter erwarb er das Gebäude während des Prager Frühlings ordnungsgemäß vom Sohn des letzten Eigentümers (für kurze Zeit war so etwas damals möglich!).

Die Burg Seeberg wurde auf Initiative des geschichtsbewußten Franzensbader Museumsdirektors Dr. Paul Stribrny noch zu kommunistischen Zeiten vorbildlich instand gesetzt. Und in Schönfeld (Krasno), das östlich des heute nur noch dünn besiedelten Kaiserwaldes liegt, stößt der Besucher auf manch schön gestrichene Häuser und Läden, frisch angelegte Bürgersteige und Straßenlaternen. Auch eine neue Kläranlage gibt es dort, moderne Wasserleitungen, Erdgasanschluß und eine alte Schule, in der die Kommune ansehnliche Sozialwohnungen einrichtete.

Wesentlichen Anteil an den Fortschritten in dem gut 600 Einwohner zählenden Dorf hat der rührige sudetendeutsche Bürgermeister Otto Wied. Er wurde von der zu 90 Prozent tschechischen Einwohnerschaft bereits zweimal zum Ortsvorsteher gewählt und ist einer der ganz wenigen deutschen Bürgermeister in Böhmen.

Die trutzige Burg von Wildstein (Skalna), wo sich nach 1945 Tschechen aus dem rumänischen Banat niederließen, die die verbliebenen Egerländer verständnisvoll behandelten, wird gerade renoviert. Der neue Besitzer ist - auch das besagt einiges über die gegenwärtigen Zustände in der Region - der „Bordellkönig“ aus Eger. Eine ganze Reihe instandgesetzter Gebäude, über die sich der Reisende freut, entpuppen sich beim näheren Hinsehen als Bordelle. Davon abgesehen gibt es einige Kirchen, die dank der Spendenbereitschaft von Heimatvertriebenen wieder in altem Glanz erstrahlen.

Andere Erfolge gehen auf das Konto der 1993 gegründeten „Euregio Egrensis“. Dieser lose Zusammenschluß bayerischer, böhmischer, thüringischer und sächsischer Grenzregionen mit einer Gesamtfläche von 20 000 Quadratkilometern und einer Einwohnerzahl von 1,9 Millionen erhält Fördergelder vom deutsch-tschechischen Zukunftsfonds und der EU.

Im wirtschaftlichen Bereich konnten über die Euregio Egrensis ganze Kleinstädte von Kohle- auf Gasheizung umgerüstet und der öffentliche Nahverkehr besser aufeinander abgestimmt werden. Außerdem entstand ein vielgenutzter grenzüberschreitender Einkaufsführer. Darüber hinaus wurden in eigener Verantwortung der Kommunalgemeinschaft ein grenzüberschreitender Museumsführer, ein Autorouten-Führer sowie ein Radführer veröffentlicht. Allerdings klagen die deutschen Vertreter der Euregio darüber, daß die praktische Zusammenarbeit mit der tschechischen Seite dadurch erschwert werde, daß vielfach die rechtlichen Rahmenbedingungen nur teilweise geschaffen wurden. Des weiteren zeigen sich krasse juristische Defizite bei der Drogenkriminalität: In Tschechien ist der Besitz von Drogen nicht strafbar, und die Polizei hat dort auch kein eigenes Ermittlungsrecht, sondern muß jeweils den Ermittlungsrichter einschalten.

Das bedeutet, daß es in diesem Bereich keine Zusammenarbeit mit der deutschen Polizei gibt und Drogendelikte in der Oberpfalz, in Oberfranken, dem Vogtland und dem Westerzgebirge seit 1990 dramatisch zugenommen haben.

Die jüngeren tschechischen Teilnehmer der Seminarwoche auf Burg Hohenberg waren allerdings weniger an solchen Neuentwicklungen als vielmehr an an „Neuigkeiten“ zur böhmischen Geschichte interessiert. Denn auch heute noch wird das Thema „Deutsche in den böhmischen Ländern“ an tschechischen Bildungseinrichtungen sehr zurückhaltend behandelt. Auch das Wissen darüber, daß Deutsche und Tschechen in der Vergangenheit durchaus gut miteinander ausgekommen sind, blieb den jungen Menschen bis jetzt zum größten Teil verschlossen.

Auch 2002 wird das Thema „Das verlassene Land“ Teil der Aufklärungsarbeit der seit 1960 vom Sudetendeutschen Sozial- und Bildungswerk als Jugendherberge genutzten Burg an der Eger sein, die nach der Wende außerdem zur Bildungsstätte umfunktioniert wurde.

Im Rahmen eines Projekts ist eine Spurensuche nach den Resten deutscher Kultur im Grenzgebiet geplant, um die noch vorhandenen Denkmäler systematisch zu erfassen und sie dokumentarisch festzuhalten. Die Ergebnisse sollen wiederum Thema von Seminaren und Veranstaltungen der Bildungsstätte sein (eine weitere Seminarwoche „Das verlassene Land“ ist für den 17.-22. November 2002 geplant).

Nicht zuletzt will man die gesammelten Beobachtungen in Veröffentlichungen einem breiteren Personenkreis beiderseits der Grenze zugänglich machen.

Kontakt: Grenzlandbildungsstätte Burg Hohenberg a. d. Eger, PF 24, 95691 Hohenberg, Tel.: 09233-77260, Fax: 772611, Internet: www.burghohenberg.de

Deutsch Gabel (Jablonné v Podjestedi), Juni 2001: Wie in diesem nordböhmischen Städtchen befinden sich auch am westlichen Rand des Landes viele Kirchen in einem katastrophalen Zustand Foto: Martin Schmidt