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26.01.02 Serie: Preußen - wieder aktuell (Teil II)

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 26. Januar 2002


Serie:
Preußen - wieder aktuell (Teil II)
von Albrecht Jebens

Das Ergebnis der Politik der Preußenherrscher zwischen 1640 und 1786 ist die Herausbildung der preußischen Staatsidee als Staat der Vernunft, der Pflichttreue, der Schlichtheit und des Rechts gewesen, Grundlagen, die den preußischen Staat selbst weit überdauert haben, bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein. Preußen entstand aus der Idee des Staates hinaus, war es doch zunächst kein zusammenhängendes Land, ohne Volk und einheitliche Religion. So wurde Preußen „mehr als jeder andere Staat genötigt, seine innere Vielfalt anzuerkennen und jedem Landesteil das Seine zu lassen. Die preußischen Könige duldeten nicht nur die drei Konfessionen lutherisch, calvinistisch und katholisch, sondern förderten sie ausdrücklich. Sie verlangten nur politischen Gehorsam (keinen „Kadavergehorsam“) und sahen sich selbst in der Friedenspflicht; sie verboten gleichwohl Kontroverspredigten und Kanzelhetze“ (Kluxen, S. 3). Sie maßen ihre Untertanen nach Arbeit und Leistung. Mehr noch, sie machten unter der Losung „travailler pour le Roi de Prusse“ aus Untertanen Preußen. Das war und bleibt die vielleicht größte Leistung Preußens.

Zeitlose Werte in wertloser Zeit?

Es ist nicht schwer, sich die Werte Preußens gleichsam wie aus einem Rosinenkuchen herauszupicken, um sie für die heutige Zeit nutzbar zu machen. Und doch entbehren sie dann des unverzichtbaren Zusammenhangs aller Lebensbezüge in ihrer Zeit. Dies vorangestellt, muß sich erweisen, ob preußische Werte heute noch neu belebbar sind.

Die Toleranz aus Vernunft ist der preußische Wert, der heute am ehesten noch als preußisches Erbe gesehen und für die Gegenwart bemüht wird. Doch anders als heute verwendeten die Preußenkönige das Toleranzedikt, weil sie in der Einwanderung von Deutschen aus Salzburg, von Flamen, Wallonen, Hugenotten einen Nutzen des Staates sahen und weil die Neuankömmlinge arbeiten mußten und wollten und die preußischen Gesetze achteten. Heute hingegen vertritt der Staat die Toleranz einer weltverbessernden Ideologie, indem er zum Nachteil des Volkes die Einwanderung kulturfremder, nicht assimilierbarer Völker begünstigt, mit allen daraus abzusehenden Konfliktpotentialen von der Herausbildung ethnisch-sozialer Ghettos und Parallelgesellschaften bis hin zu Bürgerkriegsszenarien.

Die Staatsräson Preußens in der hierarchisch gegliederten Gesellschaft des aufgeklärten Absolutismus bestand in einer genialen Kombination von Menschenrechten für das Individuum und zentralisierter Entscheidungsbefugnis für den Monarchen, wobei die Staatsräson des Rechts dem König als dem ersten Diener seines Staates Schranken setzte, wie der berühmte Müller-Arnold-Prozeß zeigte, als Friedrich der Große, der auf seiten des Müllers stand, den Richtern unterlag. Sein Ausspruch, daß „ein Justizkollegium, das Ungerechtigkeiten begeht, gefährlicher und schlimmer als eine Diebesbande sei“, begründet am deutlichsten die Staatsräson des Rechts. Individuum und Krone korrigierten sich gegenseitig aus einer Balance heraus. Mit dieser Staatsräson gelang es Preußen, die Stände und Adelsfamilien in den sittlich und rechtlich gebundenen Staat zu integrieren.

Die Loyalität aus innerer Zustimmung, ohne Willfährigkeit, entwickelte sich aus dem Pflichtenkanon des Herrschers, den dieser vorlebte, womit er sein Staatsvolk prägte. Preußen als ein an Bodenschätzen und Bevölkerung armer Staat wurde Großmacht, weil er an innerer Haltung stark wurde. Die Verpflichtung auf die Staatsräson, die allgemeine Selbstbeschränkung, der gelebte Ehrbegriff und die absolute Loyalität dem König gegenüber bei Hintanstellung der eigenen Belange fand, wie schon erwähnt, ihren prägenden Ausdruck darin, es als Ehre zu betrachten, für den König von Preußen zu arbeiten. Den preußischblauen Rock des Königs zu tragen war innere und äußere, freudig und stolz gelebte Verpflichtung aus innerer Loyalität. So entstand nicht nur im Militär, sondern auch in der Beamtenschaft ein „esprit de corps“, ein Korpsgeist, der sich bis ins zivile Leben hinein erstreckte und dem preußischen Staat eine Wahrhaftigkeit und Belastbarkeit verlieh, was sich in allen späteren Notizen segensreich auswirken sollte. Diese Loyalität kannte eben auch den Mut vor Königsthronen, wie am Beispiel des Premierleutnants Schmidt noch 1878 zu sehen ist, oder auch an der Befehlsverweigerung des Obristen v. der Marwitz, der sich während des Siebenjährigen Krieges weigerte, den Befehl Friedrichs des Großen zu befolgen, als Vergeltungsmaßnahme das kurfürstliche Schloß Hubertusburg zu plündern.

Das Recht schließlich, wie es im Preußischen Landrecht von 1794 kodifiziert wurde, bildete ein getreues Innenbild des aufgeklärten, absoluten preußischen Staates. Im Mittelpunkt stand die Erkenntnis, daß Macht kein Besitzmittel dessen ist, der Macht innehat, sondern ein Amt. Im Amte aber sind die Rechte nicht nur an die Pflichten gebunden, sondern leiten sich von diesen ab. Die Obrigkeit, so der Kernbestandteil dieses von Friedrich dem Großen noch in Auftrag gegebenen Gesetzwerkes, hat die Rechte lediglich zur Erfüllung ihrer Pflichten inne. Deshalb genießt die Pflicht den Vorrang, weil sie die Rechte erst begründet, Herrschaft legitimiert sich also in der Ausübung von Pflichten. Somit setzte sich der preußische Staat selbst Schranken seiner Macht. Die Schranken waren aber auch durch den strengen calvinistischen Glauben gesetzt in der Anerkennung von Gottes Geboten, seiner Gnade und seinem Gericht. Gottes Gebote letzthin wurden als Fundamente der Ordnung und der Autorität des Staates verstanden, denen sich auch der König zu unterwerfen hatte. Dadurch erhielten die preußischen Gesetze eine objektive Gültigkeit und prägten das Bild von Preußen vorbildhaft bis heute. Es ist mehr als bemerkenswert, daß in diesem Gesetzeswerk die ungeborenen Kinder in ihrem Lebensrecht genauso geschützt waren wie die geborenen. Preußen wurde also durch seine absoluten Monarchen bereits Rechtsstaat, als es noch keine Verfassung hatte.

Im Vergleich dazu ist das heu tige Strafrecht und das von den Westalliierten vorgegebene Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (nicht der Bundesrepublik!), das die Rechte vor die Pflichten, das Individualwohl vor das Gemeinwohl stellt, und das Selbstbestimmungsrecht der werdenden Mutter vor das Lebensrecht des ungeborenen Kindes, eine fast völlige Auf-den-Kopf-Stellung des preußischen Landrechts mit den allseits bekannten Folgen.

Der preußische Staat

Für die Einigung Deutschlands hat Preußen nicht nur Ströme von Blut vergossen, sondern sich selbst als Opfer gebracht. Die Größe dieser Leistung ist aus der Summe der Widerstände zu bewerten. Otto v. Bismarck wußte, daß Deutschland entweder preußisch zustande kommt oder aber staatenlos bleiben würde. Preußen schließlich konnte das Reich erneuern, weil, wie es der Historiker Heinrich v. Treitschke einmal bemerkte, nicht ein Genie diesen Staat gebaut hatte, sondern „der Charakter“. Der preußische Publizist Reinhold Wulle faßte dies 1935 in die unnachahmlichen Worte:

„Preußentum ist eine Haltung geworden, ein Lebensstil, eine Ausdrucksform des Deutschtums, ist ein ewiges Bereitsein, ein ewiges Gefährdetleben. Es ist ein Auftrag, der nie zu Ende geht, der jeden Tag neu geboren wird. Nicht der Erfolg der Arbeit als Ruhm und Genuß bestimmen das Leben, sondern der Rang. Der Lohn für Pflichterfüllung ist die Rangerhöhung, die Erhöhung der Verantwortung. Der Preuße nimmt die Arbeit als Auftrag und nicht als Last. Die Preußen tragen des Königs Rock. Welch eine Staatsauffassung liegt in diesem Wort. Diener des Staates sind alle, und der König ist der erste. Es ist eine Gemeinschaft, dieses Volk ein ,Wir’“ (Wulle, S. 171)

Preußen war nie bürgerlich und kapitalistisch, nie sozialistisch oder nationalsozialistisch, nie liberalistisch oder feudalistisch. Seine Ordnungsimpulse waren andere, dieser Vernunftstaat lebte aus dem immerwährenden Spannungsausgleich zwischen Individuum und Gemeinschaft, zwischen Freiheit und Gleichheit, zischen Befehl und Gehorsam, zwischen König und Bürger. Er hat eine Faszinationskraft gerade nach der Niederlage von 1806 besessen, als die besten Reformer von außerhalb, aus dem deutschen Ausland kamen, um diesen Kernstaat als Träger eines zu erneuernden Deutschland zu erneuern.

Ohne den „preußischen Stil“ (Moeller van den Bruck), ohne diese Staatsidee wäre die Einigung Deutschlands nicht zustande gekommen. Daß Preußen mit der Errichtung des Reiches, mit der Erhöhung des Königtums zum Kaisertum sich selbst begann abzuschaffen, zeigt die unausweichliche Tragik einer Bestimmung, seine Idee, so scheint es, war mit der Herstellung des kleindeutschen Nationalstaates Deutsches Reich vollendet.

Preußen hat nach 1871 im Reich zunächst seine gesammelte Vitalität entfaltet, denn das Reich lieferte den Beweis für die These vom Staat als der adäquaten politischen Form der Neuzeit mit der umfassenden Industrialisierung und der Bildungspolitik, die Deutschland unter Kaiser Wilhelm I. an die Spitze der Welt brachte. Der preußische Kameralismus wurde bruchlos in die moderne Volkswirtschaft überführt. So wuchs nach 1871 der Sache nach eine wirkliche Volksgemeinschaft heran, während in Frankreich und England Klassengesellschaften entstanden. Das Überhandnehmen des Materialismus und die sich ausbreitende Maßlosigkeit des wilhelminischen Kaiserreiches waren bereits unpreußisch, doch bestand der Staat die Bewährungsprobe im Ersten Weltkrieg, in dem er trotz der Niederlage nicht zerbrach, weil alle Stämme und Sozialschichten die preußische Staatsidee, das Reich, sich zu eigen gemacht hatten, auch in der Form der Republik, die durch ihren revolutionären Beginn, vor allem aber am Gift des Friedensdiktates von Versailles 1933 zugrundeging.

Preußens Werte heute,

preußische Perspektiven morgen

Dem preußischen Staat galt die Hauptgegnerschaft der Gegner Deutschlands in zwei Weltkriegen, deshalb wurden ihm seine stil- und lebensformprägenden Ostgebiete zerstört. Mit dem Verdikt von 1947 wurde Deutschland darüber hinaus seiner Seele und seines historischen Auftrags, der Reichsidee, beraubt. Die republikanischen Nachkriegsgründungen des Reiches in Bonn, Berlin (Ost) und Wien waren deshalb von Anfang an prononciert nicht nur antinational, sondern auch antipreußisch und antihabsburgisch ausgerichtet, auch wenn die DDR sich im äußeren Schein preußische Züge anzulegen versuchte.

Die Frage, wann Preußen untergegangen ist - 1871 im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles, 1918 mit der Flucht des Kaisers und der Ausrufung der Republik, 1932 mit dem „Preußenschlag“ der Regierung Papen, 1933 mit der Machtergreifung Hitlers, 1944 mit dem Widerstand vom 20. Juli, 1945 mit der Kapitulation der Wehrmacht oder 1947 mit dem schon erwähnten Kontrollratsgesetz -, ist müßig und führt nicht weiter in der Beantwortung der Frage, ob preußische Tugenden heute noch eine Lebensberechtigung haben.

Fest steht, daß Preußen als Staat nicht mehr existiert und anscheinend auch nicht mehr bestehen darf, wie es am Scheitern der Überlegungen des brandenburgischen Ministerpräsidenten Stolpe deutlich wurde, der ursprünglich sein Bundesland „Preußen“ nennen wollte, was er aber auf höheren Wink hin schnell zu unterlassen hatte.

„Le grand Electeur reçoit les refugiés dans ses Etats“: Die von Daniel Chodowiecki (1726-1801) mit seinem Kupferstich gewürdigte Flüchtlingspolitik Preußens unterschied sich von jener der Bundes- republik Deutschland darin, daß sie auch den Einheimischen nützte.