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26.01.02 Ein Konzert für die ostpreußischen Spatzen

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 26. Januar 2002


Ein Konzert für die ostpreußischen Spatzen
Ruth Geede erinnert sich an die Spatzen in Königsberg und an den ihnen gewidmeten Foxtrott 
von Erich Börschel

Wer hätte je gedacht, daß ausgerechnet der Spatz einmal zum „Vogel des Jahres“ erklärt würde? Aber dem ist nun so: Unser Sperling hat sich inzwischen so rar gemacht, daß er diesen Ehren- und Schutztitel erhalten hat. Und das ohne melodischen Gesang, ohne sichtbaren Nutzen für die Menschheit, im Gegenteil: „Dreckspatz“ - und das war milde geschimpft. Damals, als er überall gegenwärtig war, auf den Straßen, in den Höfen, auf den Feldern, in den Gärten und wo es einen gedeckten Tisch gab. Ein Stromer, ein Bettler, ein Futterdieb im struppigen graublauen Federkleid, ein schriller Störenfried am frühen Morgen, der gegen Drosselgesang und Finkenschlag lautstark antschilpte.

Dabei gehören sie doch auch zu den Finkenvögeln, der Passer domesticus, unser Hausspatz, und sein Vetter, der Passer montanas, der Feldsperling. Aber ihm fehlt nicht nur die Gabe des melodischen Gesangs, sondern auch die Sorgfalt der Pflege des Federkleides und seines Nestes. Immer wirkt er etwas struppig und zerzaust, und aus seinem Nest unter Dachpfannen und in Mauernischen hängen unordentlich Halme und Fäden heraus.

Ja, aber wo finden wir heute noch Spatzennester? Auf alten Höfen, in den Dörfern wohl ja, in den Städten kaum noch. In der Millionenstadt Hamburg leben etwa noch 30.000 Brutpaare. Betonfassaden und Flachdächer bieten keine Nische mehr für Spatzennester. Und außerdem herrscht Futtermangel, seit auch das letzte Pferd aus dem Straßenverkehr gezogen wurde und die Komposthaufen von den Höfen verschwanden. Die großen Abfallcontainer schlucken alles hermetisch, was ein Spatzenmagen begehrt.

Dabei ist der kleine Kerl mit dem kegelförmigen Schnabel aber nicht nur ein Pracher, der von den Brocken lebt, die von des Menschen Tische fallen, er ist auch ein guter Insektenvertilger, der seine Jungen vor allem mit kleinen Raupen füttert. Aber auch die sind in der Großstadt rar geworden. Und folglich schrumpft das Spatzenvolk, dessen letzte Vertreter sich in die Vororte zurückgezogen haben, vor allem dorthin, wo es Ausflugslokale und Reiterhöfe gibt. Gerade die letzten sind mit ihrem Pferdeapfelsegen ein wahres Dorado für die Spatzensippen.

Das war auch in meiner Kinderzeit unser altes Königsberg, denn da gab es noch Pferdedroschken, Fuhrwerke und Klingerschlitten. Das Land streckte seine Arme breit hinein, zwischen Großstadt-häusern gab es den „Ausspann“, und dessen Höfe boten den Spatzen reiche Pfründe wie auch die Brauereien mit ihren Remisen und Ställen. Der Tisch war in unserer Pregelstadt für das Spatzenvolk reich gedeckt. Auch im Winter! Wie heißt es doch in dem Poem „Herbstgesang eines Königsbergers“, der Sonnenwärme und Sommertagen nachtrauert: „Auch die Schwalben und die andern sieht man jetzt bald fortplachandern. Man der Spatz bloß bleibt und leckert, was die Pferde hinjekleckert.“

Und das ging so bis in das Frühjahr hinein, denn das kam ja spät in unserer Pregelstadt. Wunderschön ausgedrückt in dem Gedicht „So war der Frühling“ von Tamara Ehlert: „... die Spatzen hockten am Weg und froren wie Wollknäuel, die jemand verloren und dann nicht aufgelesen.“

Sie hockten wirklich wie zerplieserte Wollknäuel auf dem Fensterbrett und warteten auf das Futter, verhubberte graue Bällchen, die lautstark zu schimpfen begannen, wenn die Meisenkonkurrenz auftauchte. Aber beim Ausnehmen der Weihnachtsgans - die man in Ermangelung eines Kühlschrankes vor das Verandafenster gehängt hatte, denn es herrschte ja Dauerfrost - waren sich die gefiederten Wintergäste einig: gemeinsam futterten sie unbemerkt das Fett aus dem Bauch der Gans und verschonten auch die leckere Haut nicht, wobei die Meisen dank ihrer Klammerkünste eindeutig im Vorteil waren. Mutters Entsetzen über den so ramponierten Gänserumpf war dann auch dementsprechend.

Doch was wäre unsere Stadtwohnung ohne die riesige Efeuwand auf der Hofseite gewesen, mit der die triste Brandmauer des Nachbarhauses so tröstlich kaschiert wurde? Dann tschilpten die Spatzen von Sonnenaufgang bis zur Dämmerung. Ein „Spatzenkonzert“ nonstop, das zum Sommer gehörte, wenn die Veranda zur Wohnstube wurde.

Aber in Ostpreußen gab es ja noch ein ganz besonderes „Spatzenkonzert“, das alle liebten: Erich Börschel, der wohl bekannteste Orchesterleiter des Reichssenders Königsberg, hat es in den 30er Jahren komponiert. Ein Foxtrott, der noch ohne Text war, als Börschel ihn seinem Freund Peter Igelhoff auf dessen Gastspiel in Königsberg vorspielte. Der Wiener setzte sich hin und schrieb spontan die Verse. Und weil in diesen das Spatzenvolk kräftig tschilpt und piept, fügte als dritter Mann Rudolf Burkhard einen Okarinasatz hinzu. Schon im Erscheinungsjahr wurde das „Spatzenkonzert“ zum meistgespielten Stück der deutschen Tanzmusik.

Erich Börschel hatte mit diesem Foxtrott einen „Hit“ geschaffen, der ihn auf Schritt und Tritt verfolgte. Denn kaum ein Konzert, das Börschel irgendwo dirigierte, bei dem nicht sein „Spatzenkonzert“ gespielt wurde, auch wenn es nicht auf dem Programm stand. Es wurde lautstark als Zugabe gefordert, und Börschel spielte es, wenn es ihm auch manchmal nicht in den Kram paßte - er liebte sowieso nicht den Auftritt vor großem Publikum, sondern mehr die Intimität des Sendesaals. Aber es trug zu Börschels großer Popularität erheblich bei.

Das in Königsberg komponierte „Spatzenkonzert“ wurde zum festen Programmtitel in den Unterhaltungskonzerten aller deutschen und vieler ausländischer Sender, es wurde auf Konzerten gespielt, auf Bällen und anderen Festen tanzte man den Foxtrott. Auch nach dem Krieg, als Erich Börschel beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt Orchesterleiter war, blieb das „Spatzenkonzert“ seine am meisten gespielte Komposition neben der damals von ihm komponierten „Glockenserenade“, und von seinen rund 100 Kompositionen die bekannteste - bis heute.

In Erinnerung ist seiner Witwe Ruth Börschel noch eine Fernsehsendung mit Gisela Schlüter im bayrischen Rundfunk. Die „Lady Schnatterly“ mit dem rasanten Mundwerk hatte einige Komponisten eingeladen, die ihre bekanntesten Werke vortrugen. Karras war mit seinem „Dritten Mann“ dabei, dann stand das sehr populäre „Fräulein Gerda“ auf dem Programm, und Erich Börschel spielte und sang sein „Spatzenkonzert“. In dieser lok- keren Runde machte es ihm richtig Spaß.

Immer wieder wird bei Ruth Börschel nach dem „Spatzenkonzert“ gefragt, auch die Redaktion des Ostpreußenblattes bekommt Anfragen, es wird im In- und Ausland gespielt. Ein Evergreen, besonders für uns Ostpreußen, weil wir mit ihm Erinnerungen an unsere unbeschwerten Tage in der Heimat verbinden. Und jetzt, wo der Sperling zum „Vogel des Jahres 2002“ erklärt wurde, sollte Börschels Komposition eigentlich zum klingenden Symbol für unseren Spatz werden, denn wo und wie hat man ihn sonst so liebevoll besungen? Ruth Geede

Was ist heute für Geschrei in dem Vogelstaat, ach, sagen sie bloß, was ist denn los, daß alle Spatzen heute so lustig sind … Foto: privat

Erich Börschel: Der Komponist des „Spatzenkonzerts“ Foto: privat