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26.01.02 Genforschung: Wem gehört der Mensch?

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 26. Januar 2002


Genforschung:
Wem gehört der Mensch?
Die Woche der Entscheidung
von Prof. Rüdiger Ruhnau

In den relevanten Kreisen der Bundesrepublik wird zur Zeit eine scharfe Diskussion über Risiken und Chancen der Gentechnologie geführt. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht die renommierte Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) mit ihrem Präsidenten Professor Dr. Ernst-Ludwig Winnacker, führender Biochemiker in Deutschland und Gründer des Gen-Zentrums in München.

Es geht um die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Forschung im allgemeinen und um die Genforschung an embryonalen Zellen im besonderen. Die Gendebatte hat sich als Selbstläufer inzwischen so erhitzt, daß ein Kardinal Leute wie Winnacker als „Menschenfresser“ beschimpft und Hubert Markl, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, die ihrerseits der DFG angehört, erklärte, daß sich die „Lebenswissenschaftler bald nur noch in Begleitung eines Verfassungsjuristen und Moraltheologen ins Labor trauen“. Winnacker hat insofern zur Verwirrung beigetragen, als er noch vor einiger Zeit gegen die Anwendung von embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) für Therapiezwecke war.

Der Präsident der DFG hat zwischenzeitlich erkannt, wie erfolgversprechend die Forschung an embryonalen Zellen sein kann. Seit etwa zwei Jahren geht man davon aus, daß mit Hilfe der ES-Zellen defekte Gewebeteile des Menschen nachgebildet werden können. Da sich diese „Wunderzellen“ in verschiedene Typen der menschlichen Organe umwandeln lassen, sieht man in ihnen ein äußerst positives Heilmittel der Zukunft. In vielen Laboratorien des Auslandes sind Stammzellenforscher intensiv damit beschäftigt, den Geheimnissen auf die Spur zu kommen. In Deutschland dagegen bereitet dies Schwierigkeiten.

Eigentlich sollte man meinen, daß den Wissenschaftlern jede erdenkliche Hilfe von offizieller Seite zuteil werden würde, dem steht aber das Embryonenschutzgesetz entgegen. Es besagt, daß eine „verbrauchende oder fremdnützige Embryonenforschung“ absolut verboten ist. In der zukunftsträchtigen Stammzellenforschung winkt aber nicht nur wissenschaftlicher Ruhm, auch die ökonomische Seite ist vielversprechend. Wer zuerst die Verwertungsmöglichkeiten embryonaler Stammzellen zum Patent anmeldet, kann hohen materiellen Gewinn erwarten.

Verständlicherweise wollen auch deutsche Wissenschaftler an der neuen Gentherapie teilnehmen, unter ihnen sind Stammzellen-Experten der Bonner Universität weit fortgeschritten. ES- Zellen werden bei der künstlichen Befruchtung im Reagenzglas erhalten. Dieser Vorgang ist dann gesetzlich zulässig, wenn das befruchtete Ei, der Embryo, in die Gebärmutter der Frau implantiert wird. Es entstehen aber auch „überzählige“ Embryonen, die entweder tiefgekühlt konserviert für erneute Implantation bereitgehalten werden oder aber der Forschung zur Verfügung stehen. Aber dieser letzte Vorgang ist verboten. Er ist deswegen verboten, weil bei der Manipulation die Embryonen abgetötet werden, also keimendes Leben vernichtet wird.

Nicht verboten ist dagegen der Import von ES-Zellen aus dem Ausland, wie es die Wissenschaftler der Bonner Universität vorhaben. Doch auch dagegen erhebt sich Widerstand, vor allem aus ethischen Gründen. Für die katholische Kirche setzt der Beginn des Lebens mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle ein, dies entspricht auch dem Forschungsstand der naturwissenschaftlichen Anthropologie. Aber auch hier treten - seit der Reagenzglasbefruchtung („in vitro Fertilisation“) - unterschiedliche Meinungen auf. Ist der „Reagenzglas-Embryo“ schon ein schützenwertes Leben, oder tritt der Lebensschutz erst dann ein, wenn das befruchtete Ei in die Gebärmutterschleimhaut eingebettet ist?

Um die strittigen Fragen zu klären, will der Bundestag kommende Woche über den Import der menschlichen embryonalen Zellen beraten. Eine mit Mitgliedern aller Fraktionen des Bundestages und Experten paritätisch besetzte Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ hat sich mit Mehrheit gegen die Einfuhr von ES-Zellen nach Deutschland ausgesprochen. Ganz im Gegensatz zur Bundesforschungsministerin Bulmahn, die sich des Beistandes von Kanzler Schröder sicher ist. Ebenfalls auf Regierungsseite steht die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die den Bonner Stammzellenforschern eine Rückendeckung nicht versagen kann. Präsident Winnacker, häufig als „Gentechnik-Papst“ tituliert und Berater von Frau Bulmahn, ist heute für die Genforschung an ES-Zellen, hält aber die Risiken einer genetischen Manipulation von Embryonen für viel zu hoch. Er lehnt es ab, daß man menschliche Embryonen nach erfolgreicher Veränderung wieder in die Gebärmutter der Frau implantiert.

Ernst-Ludwig Winnacker, 1941 als Sohn des späteren Vorstandsvorsitzenden der Farbwerke Hoechst AG in Frankfurt geboren, verwaltet einen DFG-Etat von über 2,3 Milliarden Mark. Dieses Geld, zu 99 Prozent von Bund und Ländern aufgebracht, dient der Wissenschaft in allen ihren Zweigen durch finanzielle Unterstützung von Forschungsvorhaben, wobei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses die besondere Aufmerksamkeit gilt. Noch im Februar 2001 sagte er in einem Interview, ES-Zellen sind kein Weg für einen Zellersatz, denn damit sei das Problem der Immunabstoßung nicht gelöst. Andererseits muß er natürlich Rücksicht auf die Geldgeber nehmen und die Meinungen anderer Kollegen ins Kalkül ziehen. Schon öfter beklagte sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft über Vorschriften in der Gentechnik, die nur hemmend für die Wissenschaft sind. Dabei ist mit der Entschlüsselung des Genoms, der Strukturaufklärung aller im Erbgut vorhandenen Gene, die Kenntnis von der genetischen Bedingtheit unserer Existenz enorm beschleunigt worden.

Während in Deutschland die ethische Dis- kussion wissenschaftliche und ökonomische Erwägungen in den Hin-tergrund verdrängt, geht man im Ausland viel unbekümmerter mit der Anwendung von Stammzellen um. In den USA, führend in der Forschung embryonaler Stammzellen, arbeiten Hunderte von Wissenschaftlern an der kommerziellen Auswertung der neuen Gentechno- logie. Erstmals gelang es 1998 dem amerikanischen Biologen James Thomson und seinen Mitarbeitern an der Universität Wis-consin, ES-Zellen im Labora- torium herzustellen. Thomson konnte aus „überzähligen“ Embryonen, die Paare „gespendet“ hatten, Stammzell-Linien (= Kette von Abkömmlingen) kultivieren. Diese Zellen können sich unendlich teilen, werden langfristig unverändert in Kultur gehalten und können gegen Bezahlung in jedes Forschungslabor der Welt geliefert werden. James Thomson erhielt dafür ein US-Patent zugeteilt.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) befürchtet nun, daß Deutschland wissenschaftlich und wirtschaftlich den Anschluß verpassen könnte. Er will deshalb den Import von ES-Zellen unterstützen, das Bonner Zentrum der Stammzellenforscher fördern und möglichst Nord-rhein-Westfalen als deutschen Biotech-Standort etablieren.

Auch in England ist die Gesetzgebung hinsichtlich der Genforschung wesentlich lockerer. Nicht nur das therapeutische Klonen ist zulässig, auch die „Präimplantationsdiagnostik“ ist dort in den ersten 14 Tagen vor dem Einnisten des Embryos legal. Bei der Präimplantationsdiagnostik (PID) wird der künstlich befruchtete Embryo vor der Implantation (Einpflanzen in den Mutterleib) auf genetisch bedingte Krankheiten untersucht. Lautet die Diagnose auf eine schwere Erbkrankheit, dann wird der Embryo vernichtet. Gegner der PID geben zu bedenken, daß diese Methode einzig und allein dazu dient, Embryonen nach bestimmten Kriterien zu auszuwählen. Für die Eltern dagegen steht der verständliche Wunsch nach einem gesunden Kind an erster Stelle. Zu unterscheiden von der PID ist Pränataldiagnostik, eine Untersuchung vor der Geburt. Es wird behauptet, diese Methode hätte sich von einer Ausnahme zur Regel entwickelt, zumal gegenwärtig weniger Kinder mit Erbschäden auf die Welt kommen. Zur Überprüfung der Auswirkungen der Pränataldiagnostik hat die CDU/CSU-Fraktion einen Gesetzesentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht; damit soll erreicht werden, daß die Zahl der Spätabtreibungen vermindert wird.

Das deutsche Parlament wird sich demnächst mit diesen schwerwiegenden Fragen zu befassen haben. Aus diesem Grund hat Bundeskanzler Schröder den Nationalen Ethikrat ins Leben gerufen, der kürzlich in einem 34seitigen Dokument eine erste Stellungnahme abgegeben hat. Von den 25 Mitgliedern des Ethik-rates haben sich 15 für den Import der umstrittenen ES-Zellen ausgesprochen, allerdings unter strengen Auflagen und nur für eine begrenzte Zeit. Eine Mehrheit der Befürworter soll sogar für eine Erzeugung von Stammzellen in Deutschland plädiert haben.

Von den Gegnern des Zellimports wurde die Befürchtung geäußert, der Nationale Ethikrat ziele auf eine Abschaffung des Embryonenschutzgesetzes. Weiter heißt es, „manche Räte hätten ihre Moral geändert, weil sich eine vielversprechende medizinische Perspektive eröffne“.

Einer der Streitpunkte ist auch die Frage, ab welchem Entwick-lungsstadium das frühe Leben für die Forschung sakrosankt ist. Es gibt zwar eine eindeutige Aussage der klassischen Embryologie, die besagt: „Solange noch eine Zelle zu einem ganzen Embryo werden kann, ist sie ebenso zu schützen wie ein Embryo.“ Andererseits hält man daran fest, daß über allem die Forschungsfreiheit zu stehen habe und es keinem Gremium erlaubt sei, den Forschern den Gegenstand ihrer Untersuchung vorzuschreiben. Schließlich ist eine Mehrheit des Ethikrates der Meinung, daß sich aus dem Grundgesetz weder ein absoluter Lebensschutz noch ein Würde- schutz des frühen embryonalen Lebens ableiten läßt. Tatsache ist, daß die jetzige Regelung der Abtreibung das volle Lebensrecht des Embryos verneint, da Schwangerschaftsabbrüche in den ersten drei Monaten „de facto ohne Einschränkung zulässig sind“; sie sind zwar rechtswidrig, aber dennoch nicht strafbar.

In mühseliger Kleinarbeit haben die Genforscher die Einzelheiten unserer Existenz zu entschlüsseln versucht. Da erhebt sich die Frage, ist der Mensch in dem, was er tut, überhaupt noch ein Produkt seines freien Willens, oder ist er vorherbestimmt durch die Struktur seiner Gene? Ganz sicher ist der Homo sapiens mehr als die Summe seiner Gene, denn die Bedeutung von Erziehung und Umwelteinflüssen steht außer Frage. Während die Milieu-Theorie davon ausgeht, daß alle Menschen von Natur aus gleich sind und nur der sozialen Umwelt ihre Ungleichheit verdanken, haben Forschungsergebnisse der Psychologen Eysenck, Shockley und Jensen eindeutig bewiesen, daß die Erblichkeit den Menschen mehr bestimmt als sein Milieu.

Man nimmt heute an, daß Intelligenz zu 80 Prozent vererbt wird und nur zu etwa 20 Prozent die Umwelt an der Ausprägung beteiligt ist. Fest steht, daß die Menschen nicht gleich sind. Wer beabsichtigt, sie trotzdem gleich zu machen, müßte die Erbanlagen willkürlich ändern. Oder aber er versucht, die Umweltbedingungen für alle gleich zu machen, womit aber nur annähernd zu 20 Prozent die Intelligenz verändert werden kann.

Das Wissen von der Ungleichheit der Menschen ist in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg stark negiert worden. Heute herrscht in der „Wissenschaft vom Menschen“ Einmütigkeit über die Wechselwirkung biologischer und soziologischer Ursachen bei seiner Gesamtausrichtung.

Fragen wir nach den Grenzen der Gentherapie oder was machbar ist bei einer künstlichen Veränderung des Genoms, dann ist vielleicht Antwort zu finden bei dem Wegbereiter einer kritisch gesicherten Weltanschauung, in Immanuel Kants kategorischem Imperativ der Pflicht.

Den Erbkrankheiten auf der Spur: Forscher untersucht Gen-Stränge Foto: Impress