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02.02.02 OLG Karlsruhe spricht Verbrechensopfer Schadenersatz zu

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 02. Februar 2002


Justiz:
Vater Staat muß zahlen
OLG Karlsruhe spricht Verbrechensopfer Schadenersatz zu

Es gibt doch noch Gerechtigkeit im Rechtsmittelstaat Deutschland. So sprach jetzt das Oberlandesgericht Karlsruhe einem achtjährigen Mädchen Schadenersatz zu, dessen Mutter von einem sogenannten Freigänger ermordet worden war.

Im Herbst 1994 war Lena K., seit elf Monaten stolze Mutter, nach einem Schwimmbadbesuch im badischen Bruchsal auf dem Parkplatz überfallen, entführt, vergewaltigt und brutal getötet worden. Der Täter, bereits dreimal einschlägig wegen Sexualstraftaten verurteilt, verbüßte zur Tatzeit in der nahen Justizvollzugsanstalt Bruchsal eine zwölfjährige Freiheitsstrafe wegen Vergewaltigung und versuchten Mordes. Er hatte Ausgang und war ohne Begleitung.

Die ersten Jahre dieser Strafe sitzt der Täter in der JVA Freiburg ab. Allen Therapieversuchen verweigert er sich; im Gegenzug verweigert die sogenannte Lockerungskommission ihm alle beantragten Hafterleichterungen wie Freigang oder Hafturlaub. Stets werden ihm „besondere Sexual- und Gewaltproblematik“ sowie auffällige Brutalität attestiert.

Dann geschieht das Unfaßbare: Am 3. August 1994 wird er auf eigenen Antrag (!) in die JVA Bruchsal verlegt. Die dortige Lockerungskommission ignoriert Vor- strafenregister, alle bisherigen Persönlichkeitsbeurteilungen und die anhaltende Weigerung, sich einer Sozialtherapie zu unterziehen. Großzügig wird dem als gefährlich eingestuften Verbrecher Ausgang gewährt, unbeaufsichtigt und unkontrolliert kann er sich oft stundenlang in Freiheit bewegen. Nach knapp einem Monat trifft er zufällig auf Lena K. und ermordet sie.

Der Täter wird später zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt; wie lange lebenslänglich in diesem Falle wohl dauern wird, weiß niemand. Die Mitglieder der Bruchsaler „Lockerungskommision“ bekunden „Bedauern“ über den „Unglücksfall“. Zu einem Eingeständnis ihres Fehlverhaltens mögen sie sich nicht aufraffen, erst recht nicht dazu, dafür auch die Verantwortung zu übernehmen.

Dabei wäre es wohl auch geblieben, wenn sich nicht die Rechtsanwältin Gabriele Schneider, unterstützt vom „Weißen Ring“, des Falles angenommen hätte. Sie verklagte im Namen der kleinen Stefanie K. und ihres Vaters das Land Baden-Württemberg, dem der Justizvollzug untersteht, auf Schadenersatz. Bislang gab es keine höchstrichterlichen Entscheidungen, inwieweit ein derart pflichtwidriges Verhalten bei der Entscheidung über Freigang und Hafturlaub überhaupt Schadenersatzansprüche begründen kann. Das OLG Karlsruhe aber stellte jetzt fest, bei solchen Entscheidungen dürfe nicht nur das „Recht des Täters auf Resozialisierung“ berücksichtigt werden, und räumte dem „berechtigten Schutzinteresse der Allgemeinheit“ Vorrang ein. Folge: Das Land muß der kleinen Stefanie Unterhalt zahlen.

So bemerkens- und begrüßenswert dieses mutige Urteil auch ist, dem Mädchen kann es seine Mutter nicht zurückgeben. Aber auch diese nur materielle Entschädigung kann - über das Einzelschicksal hinaus - einen großen Wert haben: Justizbedienstete werden künftig bei der Entscheidung, ob man Schwerverbrecher frei herumlaufen lassen soll, wohl etwas zurückhaltender sein. Und das kann Menschenleben retten. Hans-Jürgen Mahlitz