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09.02.02 Polen - Adler im Sturzflug / Probleme vor dem EU-Beitritt

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 09. Februar 2002


Gedanken zur Zeit:
Polen - Adler im Sturzflug
Probleme vor dem EU-Beitritt
von Alfred Theisen

Die Hiobsbotschaften für die polnische Wirtschaft reißen nicht ab. Träumte man in Warschau vor zwei Jahren noch von Wachstumsraten über fünf Prozent - Karikaturisten zeichneten damals schon einen stattlichen polnischen Adler neben einem deutschen Pleitegeier -, so befinden sich heute beide Nachbarvölker auf wirtschaftlicher Talfahrt. Null bis ein Prozent Wirtschaftswachstum soll es in diesem Jahr in der Republik Polen geben. Die Arbeitslosigkeit ist auf Rekordhöhe gestiegen. Über drei Millionen Polen sind offiziell arbeitslos. Die Dunkelziffer wird wesentlich höher liegen. Mit offiziell landesweit 17,4 Prozent hat die Arbeitslosigkeit den höchsten Stand seit 1989 erreicht. Eine solide Regierungspolitik, die dem Land wieder zu einer stabilen Wirtschaftsentwicklung verhelfen würde, ist nicht erkennbar.

Während die Politiker streiten, wachsen Armut und Kriminalität, denn ein dem deutschen Sozialstaat vergleichbares soziales Netz gibt es nicht: Ein Arbeitsloser erhält im heutigen Polen maximal ein Jahr lang 550 Zloty (zirka 150 Euro) und anschließend nichts mehr, auch keine Sozialhilfe. Die Renten älterer Menschen reichen oft nicht aus, Wohnung und Heizung zu bezahlen. Wehe dem, der da noch teure Medikamente benötigt. Die Bevölkerung auf dem Lande klagt, daß der Lebensstandard heute niedriger sei als zu kommunistischen Zeiten.

Das riesige Milliardenloch läßt der Regierung ohnehin kaum Spielraum für notwendige Konjunkturprogramme. Zugleich finden in den kommenden Wochen die entscheidenden Verhandlungen zwischen Warschau und Brüssel über die EU-Osterweiterung statt. Schon jetzt wird heftig um Zölle und Beihilfen gezankt. Die EU weigert sich aus finanziellen Gründen, den polnischen Bauern nach dem Beitritt die gleichen Agrarsubventionen zukommen zu lassen wie französischen und spanischen Landwirten. Auch die Verhandlungen über EU-Strukturfonds sollen ausgerechnet unter der EU-Ratspräsidentschaft Spaniens - die iberische Halbinsel ist seit 1981 größter Empfänger von EU-Strukturmilliarden und würde dies auch gerne bleiben - in den kommenden Monaten abgeschlossen werden, damit 2004 ein EU-Beitritt Polens erfolgen kann. So soll in einigen Wochen mit heißer Nadel eine Entscheidung ausgehandelt werden, ohne daß in den vergangenen Jahren grundlegende Weichenstellungen für eine mittelfristige Angleichung der Lebensbedingungen zwischen den ungleichen Wirtschaftsräumen erfolgt sind.

Wie soll das gutgehen? Was wird nach dem EU-Beitritt aus der polnischen Landwirtschaft, die heute noch etwa sechs Millionen Menschen Arbeit gibt? Wird der polnische Bauernstand als Folge der EU-Mitgliedschaft einen ähnlichen Niedergang erleben wie einst die deutschen Bauern? Ist ein EU-Beitritt Polens angesichts der derzeitigen Wirtschaftskrise überhaupt machbar? Wird die EU selbst auf den Beitritt so vieler neuer Staaten vorbereitet sein? Wird man sich in dem nun einberufenen Konvent zur Formulierung einer EU-Verfassung auf die dringend erforderliche Reform der Entscheidungsstrukturen verständigen können?