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16.02.02 Gedanken zur Zeit: Das europäische Tollhaus

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 16. Februar 2002


Gedanken zur Zeit: Das europäische Tollhaus
Anmerkungen zum blauen Brief
von Wilfried Böhm

Das vielzitierte „Gemeinsame Haus Europa“ entwickelt sich mehr und mehr zum Tollhaus, zumindestens in den Räumlichkeiten, die von der EU bewohnt werden. Seit Jahrzehnten zahlt dort Deutschland klaglos die weitaus höchste Miete. Andere Staaten hingegen wohnen praktisch mietfrei, denn die hohen Zuschüsse zu ihren Lebenshaltungskosten, die sie aus der Gemeinschaftskasse erhalten, übersteigen ihre Beiträge in diese Kasse bei weitem. Für sie gilt: „Aus Deutschland Bares auf die Hand, so lebt sich’s gut in Euroland!“

Die „Kommission“ genannte EU-Hausverwaltung, die mit hohen Gehältern aus dieser Gemeinschaftskasse äußerst komfortabel ausgestattet ist, wedelt nun unter großem Getöse mit einem blauen Brief. Den sollen nicht etwa die erhalten, die nach vielen Jahren immer noch kräftig abkassieren, sondern ausgerechnet Deutschland, das dank der miserablen rot-grünen Wirtschafts- und Finanzpolitik ein Haushaltsdefizit aufweist, das dabei ist, den sogenannten Stabilitätspakt zu verletzen. Mit dieser Zauberformel hatte seinerzeit Helmut Kohl versucht, den Deutschen die Opferung ihrer D-Mark für den Euro schmackhaft zu machen. Nun kehrt sich dieser Pakt ausgerechnet gegen Deutschland. Ob Kohl diese Risiken und Nebenwirkungen seines Geniestreiches wohl bedacht hat? Schließlich konnte er nicht damit rechnen, daß Deutschland für alle Zeiten eine marktwirtschaftlich ausgerichtete und damit erfolgreiche Wirtschafts- und Finanzpolitik betreiben würde.

Die hohe Schuldenlast, die Schröder und Fischer den Deutschen aufladen, entsteht nicht zuletzt auch, damit Deutschland als größter Nettozahler der EU immer schön pünktlich seine Beiträge an die Gemeinschaftskasse entrichten kann. Die anderen wollen ihre Zuschüsse schließlich pünktlich erhalten.

Angesichts des blauen Briefes zeigte Kanzler Schröder prompt Nerven, was im Wahljahr verständlich, aber trotzdem peinlich ist. Entrüstet ob des Brüsseler Zeigefingers an den bisherigen Musterschüler erbat Schröder Streicheleinheiten für den größten Nettozahler in der EU: „Es ist meine Aufgabe als Bundeskanzler, darauf hinzuweisen, daß man die Kuh auch einmal streicheln muß, die am meisten Milch gibt.“

Wenn er die Nerven verliert, kommen die vom gegenwärtigen deutschen Kanzler gebrauchten Bilder der Realität sehr nahe und verletzen zugleich die politisch korrekten Sprachregelungen, was ihm vom grünen Koalitionspartner sogleich die Rüge einbrachte, er handele „undiplomatisch“ und „unklug“ und laufe „Amok“. Die „Milchkuh Deutschland“ ist immerhin genau so einprägsam wie die „kränkelnde Frühgeburt“, mit der Schröder den Euro verglich. Ist doch die europäische Realität gekennzeichnet vom Ende der Souveränität bei der Wechselkursgestaltung aller zur Währungsunion gehörenden National- staaten und damit des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs ihrer jeweiligen Wirtschafts- und Finanzpolitik, die an den gewachsenen wirtschaftlichen, sozialen und daraus entwickelten politischen Strukturen orientiert war. Die gleichzeitige Installierung einer einheitlichen Zentralbankpolitik, die auf nationale Erfordernisse keine Rücksicht nehmen kann, ist überdies von einer Art Finanzausgleich begleitet. Diese Umverteilungsmaschinerie bewirkt zur Zeit einen EU-Finanztransfer von Nord nach Süd (und nach Irland), der in weitaus größtem Umfang von Deutschland finanziert wird. Die bürokratisch angelegte Kommissionszentrale in Brüssel hat überdies ein schier unentwirrbares Netzwerk von Finanztöpfen und Projekten geschaffen, innerhalb dessen sich ebenso unüberschaubare Mittlerorganisationen tummeln und offensichtlich gut davon leben. Selbst „Europaspezialisten“ finden sich darin nicht mehr zurecht. Das Europäische Parlament, das als eine Art Wanderzirkus zwischen Brüssel und Straßburg hin- und herpendelt, dient mehr dem demokratischen Tarnanstrich dieses Systems, als daß es praktische legislative Rechte, geschweige denn finanzielle Entscheidungsrechte hat.

Das System EU wurde in Westeuropa in den Zeiten des kalten Krieges zur Abwehr des auf atomare Raketen gestützten kommunistischen Weltherrschaftsstrebens entwickelt und erwies sich als erfolgreich. Es wuchs aus dem Schumannplan über die Europäische Gemeinschaft zur heutigen EU. Neben dem militärischen Arm der westlichen Verteidigung, der Nato, und der Westeuropäischen Union (WEU) wurde angesichts der starken kommunistischen Parteien und ihrer teilweise beachtlichen Wahl-erfolge in Italien, Spanien, Portugal und Griechenland und nicht zuletzt in Frankreich der wirtschaftlich-soziale Arm dieser westlichen Verteidigung aufgebaut. Dieser liegt dem gesamten Finanzierungssystem der heutigen EU noch immer zugrunde, obwohl sich die politischen Gegebenheiten in Gesamteuropa seit dem Zusammenbruch des Kommunismus vor über zehn Jahren wahrlich vollkommen verändert haben. Doch nach dem Sinn und Unsinn des Finanztransfers angesichts der neu hinzukommenden östlichen Dimension wird nicht gefragt.

Trotz der hohen finanziellen Leistungen Deutschlands bei der Überwindung der Folgen des Sozialismus in der früheren „DDR“ (fälschlicherweise als „Kosten der Einheit“ bezeichnet) hatte Deutschland in diesem letzten Jahrzehnt über 233 Milliarden an Nettozahlungen in die Brüsseler Kassen zu leisten. Diese von den Freunden in West- und Südeuropa kassierten Beträge entsprechen ungefähr zehn Prozent der gesamten deutschen Schulden in dieser Zeit. Ein Vergleich: Für den Abzug der Roten Armee aus Deutschland wollte Kohl zunächst ganze sechs Milliarden D-Mark zahlen. Schließlich waren es zwölf Milliarden, die auf Druck von Gorbatschow bezahlt wurden. Das ist die Hälfte von dem, was die westliche Wertegemeinschaft namens EU allein im Jahr 2.000 von Deutschland erhielt. Von harten Verhandlungen zur Neuordnung dieses Finanzsystems im Interesse des deutschen Steuerzahlers ist nichts bekannt.

Statt dessen träumen Europaromantiker vom politischen Bun- desstaat mit einer Europa-Verfassung. Den Nationalstaaten soll immerhin die Zuständigkeit für „Traditionen in Zivilisation und Kultur (einschließlich der kommunalen Selbstverwaltung)“ verbleiben. Doch niemand fragt, wer Europa bezahlen soll.