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23.02.02 Bundesland Preußen: »Kein anderer Name kommt dafür in Frage«

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 23. Februar 2002


Bundesland Preußen: »Kein anderer Name kommt dafür in Frage«

Die Idee des Brandenburger Sozialministers Alwin Ziel, das geplante gemeinsame Bundesland Berlin-Brandenburg »Preußen« zu nennen, hat eine breite Diskussion ausgelöst. So neu ist der Gedanke freilich nicht - zumindest nicht für die Landsmannschaft Ostpreußen und die von ihr herausgegebene Zeitung. Als Beispiel dokumentieren wir Auszüge aus der Rede von Prof. Wolfgang Stribrny auf dem Festakt der LO zum 300. Jahrestag der preußischen Königskrönung von 1701.

Preußen hat Vergangenheit, vielleicht auch Zukunft, aber leider keine Gegenwart … Preußen ist uns fremd geworden, vielleicht auch lästig - ein Thema für Feuilletonisten und das Nachtprogramm.

Der Zugang zu Preußen wird uns erschwert durch Vorstellungen von Pickelhauben und Säbelgerassel. Daß diese Vorstellungen wenig mit preußischer Realität zu tun haben, mindert nicht ihre Wirksamkeit.

Aber obwohl Preußen immer wieder gescholten und schließlich gar verboten wurde, bleibt die Faszination dieses Landes, das vom Großen Kurfürsten bis zu König Wilhelm I. eine Dialektik von Disziplin und Freiheit, von Strenge und Toleranz, von Kriegsbereitschaft und Friedfertigkeit entwickelt hat. Preußen läßt in seiner Deutung und Beurteilung bis auf den heutigen Tag beinahe alles zu - nur nicht Gleichgültigkeit.

Als Bayer von Geburt und Neigung liegt mir Preußenverherrlichung fern. Gerade als Bayer aber denke ich daran, daß wir ohne Preußen und ohne den Einsatz Friedrichs des Großen gegen den annexionswilligen Kaiser Joseph II. schon seit zweihundert Jahren Österreicher wären - gewiß nicht das schlimmste aller Lose, aber doch der Verlust der bayerischen Identität.

Und was wäre aus Deutschland geworden ohne Preußen? Sicher nicht die Großmacht, die - nach vierzig Jahren des Friedens - in den Ersten Weltkrieg zog, aber gibt es wirklich Grund zu der Annahme, ein nicht von Preußen geeintes Deutschland hätte ein ruhigeres zwanzigstes Jahrhundert erlebt?

Schließlich muß man bei jeder Betrachtung Preußens und Deutschlands, sei sie wohlwollend, sei sie ablehnend, immer noch im Blick behalten, daß es auch noch einen Rest der Welt gibt: Preußen ist eben nicht nur ein schwieriges Subjekt, sondern auch ein Objekt der Geschichte …

Was an Preußen kritikwürdig war - und niemand hat Preußen schärfer kritisiert als die Preußen, die es liebten, wie etwa ein Theodor Fontane -, soll gern vergangen sein, aber insgesamt bot Preußen doch mehr: eine eigene, unverwechselbare und faszinierende Idee von Pflichten, von Tugenden und vor allem von Rechtsstaatlichkeit. Und diese Idee lebt fort.

(Aus dem Grußwort des CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten zum LO-Festakt „300 Jahre Preußen“)

 

Aus heutiger Sicht ist es negativ, daß in Preußen militärische Kriterien und Formen in das zivile Leben übertragen wurden - wir nennen das Militarismus. Dabei hat Preußen weit weniger Kriege als seine Nachbarn geführt. In Preußen hat man oft die Macht verherrlicht. Dabei hat das alte Preußen bis auf Schlesien (1740) keine Eroberungspolitik getrieben. Seine Erwerbungen beruhten auf Erbschaften oder internationalen Verträgen. Oft fehlte den Preußen das Fingerspitzengefühl im Umgang mit anderen Menschen: Man verhielt sich hochnäsig. In den Jahren nach der Einführung der Verfassung von 1850 hat man es versäumt, die Verfassung zu modernisieren (etwa das Dreiklassenwahlrecht zu überwinden). Man war nicht selbstkritisch genug und berauschte sich an den Erfolgen von 1861 bis 1871. Preußen war so lange gut, wie es kritisch war, auch kritisch gegen sich selbst.

In sieben Punkten hat Preußen zur Entwicklung des freiheitlichen Rechtsstaates in der Welt entscheidende Beiträge geliefert und seine Werte herausgestellt.

• Preußen war - im Sinne des Leitsatzes „Jedem das Seine“ - der erste moderne Rechtsstaat auf dem Kontinent. Preußen hat auch als erstes Land der Welt 1740 die Folter - dank Friedrich dem Großen - abgeschafft. Das Allgemeine Landrecht von 1794 stellt eine Art Verfassung dar.

• Preußen war das erste Land der Religionsfreiheit. Das ist weit mehr als Toleranz. Mit der Annexion Schlesiens (1740) wurden viele Katholiken Preußen. Dank Friedrich dem Großen galt der Satz: „Die Religionen müssen alle toleriert werden und muß der Fiscal (= Staat) nur das Auge darauf haben, daß keiner der anderen Abbruch tue; denn hier muß ein jeder nach seiner Fasson selig werden.“ Dem König ist Religion keineswegs gleichgültig, sondern er tritt für die Freiheit einer jeden Konfession ein, die ihr wichtigen Dinge frei zu ordnen. Hier ging es übrigens um den Religionsunterricht in der Schule. Symbol der preußischen Religionsfreiheit ist die katholische St. Hedwig Kirche (Kathedrale) im Zentrum Berlins. Keine andere europäische Hauptstadt sonst hat in ihrem Zentrum (dank Friedrich dem Großen) die repräsentative Kirche einer Minderheitenkonfession. Das gleiche gilt für die große Synagoge in Berlin.

• Preußen war das erste Flächenland der Welt, in dem die allgemeine Schulpflicht für Mädchen und Jungen galt. 1717 aus praktischen, aber auch aus religiösen Gründen von Friedrich Wilhelm I. angeordnet und - dank Friedrich dem Großen - um 1750 landesweit bis in die kleinsten und abgelegensten Dörfer Ostpreußens durchgeführt, hat sich die Schulpflicht als entscheidender Schritt in die Moderne erwiesen (Frankreich erhielt übrigens 1880, England 1882 die allgemeine Schulpflicht).

• Die erste moderne Universität, in der Forschung und Lehre vereint waren, entstand 1809 in Berlin. Friedrich Wilhelm III. sagte am 10. August 1807 in Preußens schlimmer Erniedrigung durch Napoleon: „Der Staat muß durch geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen (materiellen) verloren hat.“

• Der preußische Staatsgedanke ist übernational. Immanuel Kants Großvater war Gerichtsdolmetscher für die litauische Sprache in Memel. Meine Familie gehörte zu einer Gruppe evangelischer Flüchtlinge aus Böhmen, die erreichten, daß Friedrich der Große sie gemeinsam ansiedelte, um ihre tschechische Sprache und eigene Konfession zu pflegen. Mein Urgroßvater predigte als evangelischer Pfarrer in Schlesien jeden Sonntag deutsch und polnisch. Erst im April 1848 kam es in Posen zu den ersten Blutopfern unter Polen und Deutschen im Zeichen des aufkommenden Natio- nalismus.

• Das weithin von Preußen geprägte Kaiserreich von 1871 bis 1918 war die erste Großmacht mit dem demokratischen Wahlrecht: allgemein, frei, gleich und geheim. Frankreich erhielt es erst 1875, Großbritannien 1918.

• Aus christlicher Verantwortung und preußischer Tradition wurde, so die Begründung in der entsprechenden Erklärung Kaiser Wilhelms I., Deutschland seit 1881 der erste Sozialstaat der Welt. Hier zuerst wurde vom Staat für Witwen und Waisen, für alte und schwache Arbeiter gesorgt.

Zum Schluß stellen wir uns die Frage: Hat Preußen, das es heute amtlich nicht mehr gibt, eine Zukunft?

In den nächsten Jahren werden sich die Länder Brandenburg und Berlin nach menschlichem Ermessen vereinigen. Die von der sowjetischen Militäradministration 1946 geschaffenen Länder Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt sind zu klein und wirtschaftlich schwach, um mit den anderen Ländern (wie es das Grundgesetz Artikel 29 fordert) vergleichbar zu sein. Ein Zusammenschluß dieser bisherigen vier Länder würde ein nach Wirtschaftskraft und Größe normales deutsches Bundesland ergeben. Kein anderer Name als Preußen kommt dafür in Frage.

 

Innerhalb der deutschen Medienlandschaft ist die „Frankfurter Allgemeine“, die in der ab 1866 preußischen Mainmetropole beheimatet ist, am stärksten auf Alwin Ziels Vorschlag angesprungen. In ihrer Ausgabe vom letzten Wochenende stellte sie die Frage zur Diskussion. Bemerkenswerterweise befanden sich die Vorschlagsgegner nicht in der Mehrheit. Noch bemerkenswerter ist allerdings, daß die Gegner in der Regel nicht argumentierten, daß der Titel „Preußen“ des Bundeslandes nicht würdig sei, sondern daß vielmehr häufig eingewandt wurde, das Land werde dem großen Begriff nicht gerecht. So moniert Eberhard Diepgen, daß für ein Bundesland Berlin-Brandenburg „der Name Preußen doch wohl eine Schuhnummer zu groß“ sei, und Günter de Bruyn kommt es „so vor, wie wenn sich ein kleiner Gernegroß mit einem großen Namen schmücken will“.

Selbst Wolf Jobst Siedler, von dem der Hauptbeitrag gegen diesen neuen Namen stammt, äußert im Grunde Kritik an den zu Benennenden und nicht am vorgeschlagenen Begriff, wenn er bezüglich Preußen schreibt: „Die Idee dieses Staates muß nicht nur für seine Nachbarstaaten, sondern auch für seine Bürger eine Faszination gehabt haben, die den Staat aus der Reihe der anderen Länder heraushob. Das kann man, weiß Gott, vom jetzigen Land Berlin und von jenem Rumpf-Brandenburg nicht sagen.“ Den logischen nächsten Schritt nach dieser Gegenüberstellung, die Forderung nach dem Namen „Preußen“, damit die preußische Staatsidee eine Chance erhält, diese Region wieder zu neuer Blüte zu führen, geht Siedler allerdings komischerweise nicht.

Bemerkenswert ist auch die auffallend unverkrampfte Sicht der zu Wort kommenden Ausländer. Sie stehen dem Vorschlag durch die Bank neutral bis wohlwollend gegenüber. So findet sich auch in Siedlers Anti-„Preußen“-Beitrag ein ausländisches Plädoyer für den Namen „Preußen“, wenn er schreibt, daß Besuch aus der russischen Botschaft sich darüber gewundert habe, daß die Deutschen „ihren neuen Bundesländern so sonderbare Namen wie Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, was doch niemand kenne“, gäben, wo doch das bekannte Preußen, abgesehen von Frankreich, in den letzten zwei Jahrhunderten keinen traditionellen Gegner gehabt habe.

Es ist schade, daß die „FAZ“ offenkundig Angst vor der eigenen Courage bekommen hat und nach dieser freimütigen Diskussion in der darauffolgenden Ausgabe mit der ultimativen Stellungnahme „Preußen ist ein Unding“ von Ernst Hinrichs quasi ex cathedra die Diskussion zu beenden versucht hat. M. R.

 

Bild-Text: Der Berliner Kongreß: Die Außenpolitik des preußischen Ministerpräsidenten Otto v. Bismarck war vorbildlich und Maßstäbe setzend in ihrem erfolgreichen Bemühen, ohne Selbstaufgabe und Selbstverleugnung eine Rolle im internationalen System zu spielen, die mit diesem nicht nur kompatibel war, sondern auch aktiv dem internationalen Frieden diente.