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23.02.02 Zweiter Weltkrieg: Eine bizarre Gruselgeschichte

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 23. Februar 2002


Zweiter Weltkrieg: Eine bizarre Gruselgeschichte
»Beängstigend höflicher Deutscher«: Farce um ein erfundenes Verbrechen
von Hans-Joachim v. Leesen

Eine gar erschröckliche Geschichte konnte man am 19. Mai 2001 im Feuilletonteil der in Berlin erscheinenden Zeitung „Die Welt“ lesen. Unter der blumigen Überschrift „Eine bizarre Stille legte sich über das Stadion“ wird dort eine Geschichte kolportiert, die das Blut in den Adern erstarren lassen soll.

Da soll sich am 9. August 1942 „ein gespenstischer Zug“ in Kiew zum Zenit-Stadion „geschleppt“ haben. Überall hätten Wehrmachtsoldaten mit Schäferhunden gestanden. „Und mitten drin die SS ...“ Es ist von der deutschen Besatzung die Rede, „die seit knapp einem Jahr die Ukraine in Angst und Schrecken versetzte“. Und just diese Besatzung wollte mit einer Auswahlmannschaft aus einer Flakeinheit gegen eine ukrainische Elf ein Fußballspiel im Stadion Zenit austragen, wohin sich dieser „gespenstische Zug schleppte“.

Nicht zuletzt sollte dabei, so der „Welt“-Journalist Erik Eggers, „die angebliche Überlegenheit der arischen Herrenrasse“ bewiesen werden. Weil neben den vielen ukrainischen Zuschauern auch Tausende von deutschen Soldaten das Fußball-Stadion füllten, spürte jeder die „Gefahr, die der eigenen ukrainischen Mannschaft drohte“. Daher die „bizarre Stille“, die angeblich über der Arena lag.

Wie man es gewohnt ist, wenn heutzutage Zeitungen über Ereignisse des Zweiten Weltkrieges berichten, war der Schiedsrichter „Ein großer kahler Mann in SS-Uniform“, der aber „über geschliffene Manieren und ein perfektes Russisch“ verfügte, und „beängstigend höflich um Einhaltung der Regeln bat“.

Aber natürlich spielten die Deutschen mit ganz besonderer Brutalität. Heldenhaft hingegen verhielten sich die Ukrainer. Sie sollten auf Befehl der Besatzer „Heil Hitler“ schreien und anschließend verlieren, doch taten sie das als aufrechte Kommunisten - natürlich - nicht, sondern spielten statt dessen „in roten Trikots“, was der „Welt“-Journalist als „erstes Fanal“ wertete, denn nun wurde deutlich, „hier spielten nicht die ukrainische Mannschaft Start gegen die Flak-Elf, in den Augen der Zuschauer trat die Sowjetunion gegen Deutschland an, Bolschewismus gegen Faschismus“.

Aber „auch wenn die deutsche Elf foulte und der (SS-)Schiedsrichter kaum eine Attacke bestrafte, war der Siegeswille der (ukrainischen) Start-Truppe nicht zu brechen“. Die „technisch reiferen Ukrainer“ siegten drei zu eins. Auch das Revanchespiel ging für die brutalen faschistischen Deutschen verloren. Und so „wurden die elf Sieger zum leibhaftigen Symbol des Widerstandes“.

Es kam, wie es in solchen Zeitungsberichten kommen mußte: Die ukrainischen Spieler „wurden wenig später verhaftet und in das örtliche Gefängnis überführt“. Dort wurde einer von ihnen „von der Gestapo zu Tode gefoltert“, drei weitere wurden ein halbes Jahr später ums Leben gebracht, und das alles, weil sie die Deutschen nicht hatten gewinnen lassen.

Illustriert wurde diese Schmonzette von einem großformatigen Foto, das auf den ersten Blick authentisch wirkt, bis man auf den zweiten Blick namhafte amerikanische Schauspieler darauf entdeckt, nämlich beispielsweise Bobby Moore, Michael Caine und Brutalodarsteller Sylvester Stallone („Rambo“). Sogar das brasilianische Kicker-As Pelé ließ sich verpflichteten.

Da stehen also nun amerikanische Schauspieler, die die ukrainischen bolschewistischen Widerstands-Fußballer verkörpern, und daneben der typisch stumpfsinnig und brutal blickende, bullige deutsche Wachmann mit Maschinenpistole im Anschlag und einem deutschen Schäferhund mit aufgerissenem Maul an der Leine.

Ein Zeitungsleser müßte schon von der Propaganda völlig verblödet sein, um nicht eine nicht untypische Mischung von bolschewistischer psychologischer Kriegsführung und antideutscher Hollywood-Attitüde zu erkennen. Alle Stereotypen sind hier vereint: Der brutale und stumpfsinnige Deutsche, „der große kahle Mann in SS-Uniform“, zynisch, aber mit geschliffenen Manieren. Bürger der Sowjetunion, die wie ein Mann für den Bolschewismus und gegen Deutschland eingestellt sind. Das Foto in der „Welt“ stammt, wie am Schluß des Artikels vorsichtshalber erwähnt wird, aus einem Film, den John Houston 1981 über das Kiewer Fußballspiel unter dem Titel „Escape to Victory“ gedreht hat. Der „Welt“-Beitrag beruft sich auf ein im Vorjahr in England erschienenes Buch von einem britischen Publizisten namens Andy Dougan: „Dynamo. Defending the Honour of Kiew“.

Offenbar hat es wirklich ein Fußballspiel zwischen einer Kiewer Mannschaft und der Elf einer deutschen Flakeinheit (Flugabwehreinheit) gegeben in jenen Tagen. Das ist aber auch das einzige, was an diesem Artikel und dem englischen Buch zu stimmen scheint. Das Sportmuseum in Leipzig besitzt ein Plakat, auf dem das Spiel angekündigt wird. Weiteres weiß darüber auch das Sportmuseum nicht.

Nun ist diese Greuelgeschichte nicht neu. Bereits am 5. Dezember 1973 erschien ein im Inhalt gleicher Bericht in der „Stuttgarter Zeitung“: Als etliche Jahre später einem aufmerksamen Leser der Bericht in die Hände kam, nahm der den Berichterstatter beim Wort und erstattete am 17. September 1985 bei der Staatsanwaltschaft bei dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg Anzeige wegen des angeblichen deutschen Kriegsverbrechens, nämlich wegen Ermordung der Fußballspieler.

Tatsächlich nahm die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen unter dem Aktenzeichen JPr 162/85 auf. Das Ergebnis teilte das Referat II am 30. September 1985 dem anzeigenden Bürger mit. Es heißt in dem Brief: „Ihr Schreiben ist der Pressestelle der Staatsanwaltschaft zuständigkeitshalber zugeleitet worden. Die Stuttgarter Zeitung berichtete am 5.12.1973 über ein Fußballspiel im Frühjahr 1942 in Kiew zwischen einer dort stationierten deutschen Luftwaffeneinheit und sowjetischen Kriegsgefangenen. Nach dem Fuß- ballspiel sollen vier Kriegsgefangene erschossen worden sein, weil die sowjetische Mannschaft gewonnen hatte. Die von der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hamburg daraufhin in dieser Sache geführten Ermittlungen führten zu keiner Klärung des Vorwurfs. Auch nach Maßgabe der von den sowjetischen Behörden erbetenen und von diesen auch geleisteten Rechtshilfe konnte weder ein Vorgang der behaupteten Art selbst noch ein - wie von der „Stuttgarter Zeitung“ beschriebenen - Sonderlager für sowjetische Kriegsgefangene, noch eine Luftwaffeneinheit, die für die behauptete Ausschreitung in Betracht kommen könnte, festgestellt werden. Die sowjetischen Behörden haben keinen Zeugen für die Tat benannt. Da weitere Beweismittel nicht zur Verfügung standen, mußte das Verfahren im März 1976 eingestellt werden.“

Es ist immer wieder er- schreckend, wie völlig kritiklos immer noch westliche Journalisten oder amerikanische Filmemacher der bolschewistischen Propaganda aus der Kriegszeit auf den Leim gehen. Es sind nicht nur die Herren Reemtsma und Heer, die sich angeblicher Quellen aus der psychologischen Kriegsführung der UdSSR bedienen, um angebliche Unmenschlichkeiten der Deutschen aus den Kriegszeiten zu propagieren. Sie haben zumindestens bei manchen Journalisten der deutschen Zeitungen und Fernsehanstalten, denen in der Regel jedes solide historische Wissen über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts fehlt, willige Vollstrecker gefunden, wie auch wieder dieser Artikel in der ansonsten angesehenen Zeitung „Die Welt“ beweist.

Wenn die Staatsanwaltschaft bei dem Hanseatischen Oberlandesgericht sogar die sowjetischen Behörden um Rechtshilfe gebeten hat und wenn beide zu dem Schluß kamen, es gebe keinerlei Belege für den in der „Welt“, im Hollywood-Film und in dem neuen englischen Buch geschilderten Vorfall, dann kann man davon ausgehen, daß die Greuelgeschichte von A bis Z erlogen war.

Die Lehre kann nur sein, allen Zeitungs- und Fernsehberichten über den Zweiten Weltkrieg zunächst zu mißtrauen, bis Belege für den Wahrheitsgehalt vorliegen. Man sollte auch die verantwortlichen Redakteure danach fragen - in Leserbriefen oder in Telefonanrufen.

Mancher wird überrascht sein, auf welche Unwissenheit und Naivität er dabei stößt, aber häufig auch auf Aggressivität, wenn die behaupteten Geschichten nicht bewiesen werden können. Und auch das ist lehrreich und schärft den kritischen Verstand.

 

1981, Jahre nach ihrer offiziellen Entkräftung, bedient sich auch Hollywood der Horror-Ballade. 2001 spinnt der britische Publizist Andy Dougan den Stoff in seinem scheinbar dokumentarischen Buch „Defending the Honour of Kiev“ noch ein bißchen weiter: Szene aus dem Streifen „Escape to Victory“ mit Michael Caine, Bobby Moore, Sylvester Stallone und Fußball-As Pelé Foto: PWE