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16.03.02 „Haus der Wirtschaft“ in Stettin: Skandal um Vorzeigeobjekt

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 16. März 2002


„Haus der Wirtschaft“ in Stettin: Skandal um Vorzeigeobjekt
Deutsche Handelskammer kündigt Partnerschaftsvertrag
von Hagen Nettelbeck

Oft und gern war das „Deutsch-Polnische Haus der Wirtschaft“ in Stettin als Muster einer erfolgreichen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit vorgestellt worden, doch nun kam überraschend das Ende.

Nach Zerwürfnissen über den Betrieb des Hauses hat die Industrie- und Handelskammer (IHK) Neubrandenburg den Partnerschaftsvertrag mit der polnischen Wirtschaftskammer Nord aufgekündigt. Von März an steige die Kammer in den Mietvertrag mit der Stadt Stettin ein und führe das Projekt zunächst allein weiter, sagte die IHK-Hauptgeschäftsführerin Petra Hintze in Neubrandenburg.

Viele Unternehmer mochten ihren Ohren nicht trauen, denn die IHK Neubrandenburg war ihren polnischen Partnern wieder und wieder entgegengekommen. Auch bei der Frage der Freizügigkeit von Arbeitnehmern und Betrieben wich man von der Linie der anderen Grenzlandkammern ab, die sich für Übergangsfristen aussprachen und somit den offiziellen Kurs der deutschen Politik unterstützten.

Die Neubrandenburger setzten den Akzent auf eine möglichst schnelle Liberalisierung, was von ihren polnischen Partnern in Stettin gern gehört wurde. Doch dieses Entgegenkommen wurde zumindest von der polnischen Wirtschaftskammer nicht gewürdigt. Statt dessen sahen sich die unbedarften Deutschen plötzlich mit Feindseligkeit und nationalistischen Sprüchen attackiert; zwei Mitarbeiter des Wirtschaftshauses wurden sogar als „deutsche Spione“ beschimpft.

Da man in Neubrandenburg der Ansicht war, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, wurden die Reibungen unter den Teppich gekehrt und man freute sich über das „Vorzeigeobjekt“. Doch nun haben sich die „Meinungsverschiedenheiten“ derart angehäuft, daß die IHK die Flucht nach vorn antrat.

Eine Problem war die Miete: Die Wirtschaftskammer Nord, in der sich ungefähr 200 polnische Firmen auf freiwilliger Basis zusammengeschlossen haben, bezahlte seit Oktober 2001 nicht mehr - wie vereinbart - die Gesamtmiete für die Räume im „Haus der Wirtschaft“, einer Villa im Besitz der Stadt Stettin.

„Das waren monatlich läppische 250 Zloty“, stellt Petra Hintze fest. Eine eher symbolische Summe angesichts der Tatsache, daß die bundesdeutsche Seite - die IHK ist geschäftsführende Kammer in dem Projekt - seit der Gründung des Hauses im Oktober 2000 rund 180 000 Euro für die Einrichtung sowie die Gehälter der Mitarbeiter einzahlte.

Obendrein sei die Miete die einzige finanzielle Verpflichtung des polnischen Partners gewesen, klagte Hintze. Die Personalkosten, die Ausstattung und den laufenden Haushalt hätten die IHK und weitere hiesige Partner getragen, darunter das Land Mecklenburg-Vorpommern und die IHK Rostock. Im Jahr 2001 habe die deutsche Seite insgesamt 120 000 Euro aufgebracht, 66 Prozent davon die Neubrandenburger Handelskammer.

„Was in Stettin seit Herbst vergangenen Jahres ablief, ist für uns noch immer unfaßbar", stöhnt die Hauptgeschäftsführerin. Dabei war noch vor wenigen Wochen eine Erfolgsbilanz über die Arbeit des Hauses der Wirtschaft präsentiert worden: Rund 1200 Auskünfte und Geschäftskontakte für deutsche und polnische Firmen habe man im Vorjahr vermitteln können, hieß es.

Doch seit dem Besuch von Bundeskanzler Gerhard Schröder Mitte August letzten Jahres „rumorte es hinter den Kulissen“, gesteht Hintze. So sei seinerzeit ein Geschäftsführer einer polnischen Brauerei von den Chefs der Wirtschaftkammer Nord aufgefordert worden, 20 000 Zloty (etwa 5000 Euro) als „Eintrittsgeld“ zu berappen, um zum Treffen mit Schröder vorgelassen zu werden.

Als der Mann sich weigerte, auf die Erpressung einzugehen, sei er vom Gelände des Hauses verwiesen worden, berichtet die IHK-Chefin. Ein anderer Geschäftsmann sollte ihren Angaben zufolge 2000 Zloty und einen Laptop als „Einschreibegebühr“ hinterlegen, um seinen Namen auf die Gästeliste gesetzt zu bekommen.

Später habe man in der Stettiner Öffentlichkeit versucht, ihr für diese „unerhörten Praktiken“ die Schuld in die Schuhe zu schieben, empört sich Hintze. Doch damit nicht genug. Die Lohnkosten für eine polnische Mitarbeiterin des Hauses habe die IHK aus steuerlichen Gesichtspunkten auf ein Konto der Wirtschaftskammer Nord gezahlt.

Aber schon das Dezember-Gehalt sei von dort nicht mehr weitergeleitet worden. Statt dessen stellte die polnische Seite immer neue Forderungen. Dies alles brachte, so Hintze, das Faß schließlich zum Überlaufen.

Die deutschen Projektträger - neben der IHK sind dies auch mehrere Sparkassen, eine Handwerkskammer, die Ingenieurkammer Mecklenburg-Vorpommern und die Schweriner Staatskanzlei - trennen sich deshalb vom bisherigen Partner in Stettin und suchen nach einem neuen. Zwei Interessenten gibt es nach Angaben von Hintze bereits. Mit ihnen solle nun verhandelt werden, wie das „Haus der Wirtschaft“ weiterbetrieben werden könne.

Auch von seiten des Stettiner Stadtpräsidenten gebe es „positive Signale“, daß die deutsche Industrie- und Handelskammer künftig allein in den Mietvertrag einsteigen könne.

Juristische Probleme sieht Petra Hintze dabei nicht. „Der Kooperationsvertrag mit der Wirtschaftskammer Nord beruht ausdrücklich auf deutschem Recht.“ In dem Vertrag seien die Kündigungsgründe klar beschrieben.

Sollte das „Deutsch-Polnische Haus der Wirtschaft“ in Stettin auf dieser Grundlage weiterarbeiten können, bliebe wenigstens ihre Funktion als grenzüberschreitende Kontaktstelle ungeschmälert erhalten.

Bis allerdings die psychologischen Folgen der Affäre vergessen sind, dürfte in der seit Jahrzehnten unter Skandalen und Mißwirtschaft leidenden pommerschen Hauptstadt noch viel Wasser die Oder hinunterfließen.