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16.03.02 Nichts scheint abwegig genug: Ein Blick in die wirre Welt der »Bildungsreformer«

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 16. März 2002


Tollhaus Schule: Analphabeten für den Frieden
Nichts scheint abwegig genug: Ein Blick in die wirre Welt der »Bildungsreformer«
von Uwe Greve

Die PISA-Studie hat wie eine Bombe in die bildungspolitische Landschaft in Deutschland eingeschlagen. Dabei sind die eklatanten Defizite durch Studien der letzten Jahre bereits belegt gewesen. In seiner „Ruck“-Rede hatte der damalige Bundespräsident Roman Herzog schon vor Jahren die bildungspolitischen Versäumnisse in unserem Lande ins Visier genommen. Doch die Wirkung in der Medienöffentlichkeit war gering. In einer dreiteiligen Serie analysiert Das Ostpreußenblatt die Ursachen der Bildungskrise und zeigt auf, wo die notwendigen Korrekturen anzusetzen sind.

Bildung ist für ein dichtbesiedeltes, rohstoffarmes Land wie Deutschland der zentrale Zukunftsfaktor. Unser Land lebt von der Spitzenstellung bedeutender Industriezweige, insbesondere Automobil-, Flugzeug- und Maschinenbau, Elektronik und Computertechnik, Chemie und Pharmazie. Wohl kein Bereich ist jedoch in den letzten Jahrzehnten bei uns so stark einer orientierungslosen, zumeist ideologisch motivierten „Reformitis“ ausgesetzt gewesen wie die Bildung.

Bei den meisten Reformen fehlte Augenmaß und Sensibilität. Reformen wurden praktisch Selbstzweck. Selten wurde ausreichend geprüft, ob das neue auch besser ist als das alte. Wer übereilige und undurchdachte Reformen ablehnte, wurde als „ewig-gestrig“ und zukunftsfeindlich gebrandmarkt. Ein gutes Beispiel ist die Rechtschreibreform.

Das Erlernen einer komplizierten Sprache ist noch immer das beste Gehirntraining für junge Menschen in einem Leistungsstaat. In Japan wurden bewußt deshalb Hunderte verschiedener Schriftzeichen beibehalten und Vereinfachungsformen abgelehnt. Da hierzulande ideologiegeprägte Sprachreformen, wie die totale Kleinschreibung, nicht durchsetzbar waren, erkämpften die Befürworter eine Pseudoreform, die allenfalls der Schulbuchindustrie und den Duden-Verlagen einen Boom brachten, aber Lehrer, Schüler und Eltern gleichermaßen verunsichert. Eine Reform - überflüssig wie ein Kropf.

Ein anderes modernes Beispiel ist der sogenannte „offene Unterricht“, in dem der Schüler praktisch selbst entscheiden kann, ob er im Moment lernen will oder nicht. Das Ergebnis, in Ländern mit hoher ideologisch geprägter Experimentierlust wie Hamburg ablesbar, sind keinesfalls bessere Leistungen. Nur eine kleine Gruppe von hochmotivierten, leistungsstarken Schülern profitiert vom „offenen Unterricht“. Der Rest der Leistungsschwächeren verliert die Orientierung, wenn Pflichten nicht klar und eindeutig vorgegeben sind. Das kümmert die Reformutopisten jedoch nicht. Die staatlichen Stellen in den linksorientierten Ländern, wo solche Experimente stattfinden, reagieren auf Kritik mit Abschirmung oder Aggression. Obwohl viele Bildungswissenschaftler sich eindeutig gegen den „offenen Unterricht“ ausgesprochen haben, machen Wolkenschieber in Landtagen und auf den Sesseln der Kultusbürokratie nach wie vor, was sie wollen. Eine Debatte über Anspruch und Wirklichkeit dieser Unterrichtsform wird weitgehend verhindert.

In welch unverantwortlichem Maße praxisfremde Weltverbesserer in der Bildungspolitik dilettieren, war vor drei Jahren auch in Heidelberg zu beobachten. Auf einem Kongreß „Schule neu erfinden“ - nur Bayern und Sachsen hatten sich geweigert, diese Veranstaltung als Lehrerfortbildung zu genehmigen - konnten sich als Referenten Marxisten und andere Sozialschwärmer mit den abstrusesten Vorstellungen austoben. Thesen wie: die heutige Schule sei eine „Mischung aus Seuche und Abwehrinstitution“, sie arbeite nach der „Nürnberger Trichter-Methode“, „Wissen und Lernen“ seien „natürliche Feinde“, die Schule müsse aus dem „Klammergriff der Gesellschaft“ befreit werden, beherrschten die Diskussion. Und besonders wichtig: die Gesellschaft müsse über die Schulen von der „Kriegs- zur Friedensgesellschaft“ befreit werden, beherrschten die Diskussion. Ein Referent namens Simon sprach schon im Titel seines Vortrags aus, welche Zielsetzung er hatte: „Lernen und wie man es erfolgreich verhindert.“ Ein weiterer Referent äußerte die Überzeugung, daß „Vorträge normalerweise den Anspruch hätten, wissenschaftlich und objektiv zu sein“. Diese Forderung mißachte er bewußt, denn Objektivität sei ein „Hirngespinst“. 800 Lehrerinnen und Lehrer nahmen an diesem „Kongreß“ teil, der „eine andere Schulwirklichkeit“ beschreiben sollte.

In Bremen war bis zur Bildung der SPD/CDU-Koalition ein „autonomes“ Schulsystem im Gespräch, das alle Schulformen, das Fächersystem, die Abschlüsse und die staatliche Schulaufsicht infrage stellte. Nach den Vorstellungen von Hans-Günther Rolff, einem der Vordenker solcher „Schulreform“, gehörte zu den Zielen, „den Herrschenden die Institution Schule und damit deren Träger die Schüler zu entziehen“, um so auf eine „revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft hinzuarbeiten“. Wichtigstes Teilziel sei dabei die Abschaffung von Prüfungen. Die Schüler müßten „sich selbst überprüfen“ können. Hauptsächlich der CDU-Partner in der großen Bremer Koalition verhinderte, daß solche Zielsetzungen über die praktische Politik umgesetzt werden konnten. Es ist aber höchste Zeit, solchen zerstörerischen und nihilistischen Kräften eine konsequente und lautstarke Erwiderung entgegenzustellen.

Es gilt nach all den erfolglosen und nivellierenden Experimenten zu erkennen, daß für einen Staat unserer Prägung Qualität und Leistung oberstes Gebot aller Bildungseinrichtungen sein müssen. An den Schulen müssen junge Menschen als erstes die Kulturtechniken erlernen: Lesen, Schreiben, Rechnen. Hinzugefügt werden muß dann verstärktes Wissen in Fremdsprachen und wirtschaftliches und ökologisches Wissen. Und schließlich gehört dazu, daß der Nachwuchs an die tragenden Normen und Werte unseres Gemeinwesens herangeführt wird. Das heißt, Vermittlung von Geschichtsbewußtsein und Wertebewußtsein. Neu hinzugefügt werden muß ein Gesundheitsunterricht, der frühzeitig lehrt, daß der Mensch ein Teil der Natur ist und der vermittelt, daß er, je stärker er sich in Ernährung und Lebensgewohnheiten von der Natur entfernt, um so anfälliger gegenüber Krankheiten wird.

Nur eine anerzogene gesundheitliche Selbstverantwortung kann unser Gesundheitswesen vor dem finanziellen Kollaps retten.

Selbstverständlich gehört zum modernen Unterricht auch die Anwendung der neuen medialen Möglichkeiten. Aber die Schüler haben mit dem Kopf rechnen zu lernen, bevor sie den Taschenrechner benutzen. Denkarbeit hat gerade bei jungen Schülern vor Computerarbeit zu stehen. Letztere nimmt an Bedeutung zweifelsohne zu, darf aber die Entwicklung eigenständigen Denkens nicht hemmen.

In unserem differenzierten und gegliederten Schulwesen müssen für die einzelnen Schularten klare Profile, Eigenvoraussetzungen und Abschlußanforderungen vorhanden sein. Noten sind dafür unverzichtbar und sollten nicht durch erklärende, umschreibende Formulierungen ersetzt, sondern lediglich ergänzt werden. Verbindliche Lehrprogramme und Stundenpläne sind kein Luxus, sondern unentbehrliche Bestandteile eines funktionierenden Schulwesens.

Die Berufsschulen müssen in der Ausstattung stärker der modernen technischen Entwicklung angepaßt werden. Verstärkt werden muß bei den Berufsschülern die Fähigkeit und der Wille zum lebenslangen Weiterlernen. Angesichts der dynamischen Vermehrung des Wissens und immer schnellerer Fortentwicklung der verschiedenen Techniken ist ständige Fortbildung zu einem überlebenswichtigen Faktor geworden.

Was für die Schulen gilt, gilt ebenso für die Hochschulen. Auch hier ist solange reformiert worden, bis das Unterste zuoberst gekehrt war. Entscheidungsfindung für wirklich notwendige Reformen an zahlreichen Universitäten ist durch die Zerstörung der Ordinariatsstrukturen und die „Demokratisierung” in den Führungsgremien kaum noch möglich. Untereinander heillos zerstrittene Fraktionen blockieren sich gegenseitig. Die Einsparungen für die Hochschulen in zahlreichen Bundesländern tun das ihre, um die negative Entwicklung zu zementieren. Allein in der Hauptstadt Berlin werden zwischen 1996 und 2003 100 Millionen Euro in diesem Sektor gespart. Zahlreiche Seminarbibliotheken haben kaum noch Geld für notwendige Neuanschaffungen, wissenschaftliche Hilfskräfte werden weggespart, Fakultäten geschlossen.