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23.03.02 / Ein Blick in die wirre Welt der "Bildungsreformer" (Teil II)

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 23. März 2002


Tollhaus Schule: Gut fühlen, schlecht lernen
Ein Blick in die wirre Welt der "Bildungsreformer" (Teil II)
von Uwe Greve

Überlaut bei allen drängenden Reformen ist jetzt der Ruf nach einer besseren finanziellen Ausstattung unseres Bildungswesens. Wer den Zustand so manchen Schul- oder Universitätsgebäudes, das Fehlen moderner technischer Einrichtungen oder überalterte und verschlissene Lehrbücher im Auge hat, wird nicht leugnen können, daß in Deutschland zu wenig Geld für Bildung ausgegeben wird.

Dennoch ist die finanzielle Frage beim Thema Bildung nicht von vorrangiger Bedeutung. Denn als die Schüler und Studenten in den Jahren 1945 bis etwa 1960 unter zum Teil sehr schlechten Bedingungen lernen mußten - es sei erinnert an hohe Klassenfrequenzen, wenig Lehrmaterial, provi- sorische Gebäude - wurden trotz allem gute Ergebnisse erzielt. Nichts zeigt dies mehr als die Tatsache, daß die junge Bundesrepublik Deutschland in Lehre und Forschung schnell wieder in vielen Sparten zu den Weltbesten zählte. Obwohl die USA sich 1945 das einzigartige Know-how des Deutschen Patentamtes als Reparation gesichert hatten, gehörte die Bundesrepublik schon 15 Jahre später wieder zu den Nationen mit der besten Patentbilanz. Trotz schlechter Lehr- und Lernbedingungen.

Entscheidend war, daß die Menschen hoch motiviert waren. Es herrschte ein für heutige Lehrer kaum nachvollziehbarer Leistungswille, aus Krieg, Zerstörung und Not wieder zu Wohlstand zu gelangen. Eben dieser Leistungswille ist weitgehend erloschen. Ihn wiederzuerwecken ist eine der Hauptlehren aus der PISA-Studie. Denn Leistung bedeutet eben nicht zwangsläufig: Druck der Lehrer, Repression, Angst vor der Schule. Sie kann auch aus Vorbildern, selbstgesteckten Zielen und Freude am Erfolg wachsen.

Alle Ratschläge, Ideen und Versuche, die durch die PISA-Studie endgültig sichtbar gewordene Bildungsmisere in den Griff zu bekommen, kranken von vornherein daran, daß dieselben Kräfte, die das deutsche Bildungswesen in den Niedergang getrieben haben, jetzt für dessen notwendigen Wiederaufstieg verantwortlich zeichnen. Ein Manager, der ein von ihm geleitetes Unternehmen konkursreif gewirtschaftet hat, würde bestimmt nicht vom Unternehmensinhaber für eine Sanierung herangezogen. In der Bildungspolitik ist eben das Realität.

Und was wird da nicht alles an Reformen und Veränderungen vorgeschlagen. Aus vielen Ecken kommt der Ruf nach der Ganztagsschule. Ein zweischneidiges Schwert! Einerseits ist die Einrichtung einiger Ganztagsschulen als Angebot - insbesondere in Großstädten mit hohem Anteil an Alleinerziehenden - eine Lösung. Ganztagsarbeit für das jeweils erziehende Elternteil ist möglich. Das Kind hat auch am Nachmittag einen festen Platz mit Hausaufgabenbetreuung. Ganztagsschule als Regelschule ist auf jeden Fall abzulehnen, weil auch erziehungswilligen und -fähigen Eltern die Kinder ganztägig entzogen würden. Das würde allenfalls einige Ideologen freuen, denen zuviel elterlicher Einfluß ein Dorn im Auge ist, wenn sie Kinder in eine ideologische Richtung prägen wollen.

Aus Nordrhein-Westfalen wurden Stimmen laut, die nicht etwa die Leistungsdefizite abstellen, sondern die "leistungsfreie sozialpädagogische Lebensschule" am liebsten flächendeckend einführen möchten. Dieser insbesondere von den Grünen propagierte Schultyp läuft auch unter dem Schlagwort "autonome Schule". Solche Schulen, die im bevölkerungsreichsten Bundesland derzeit erprobt werden, haben das Recht zu einer weitgehenden inneren Selbstverwaltung. Lehrpläne, Lehrmethoden, Bildungs- und Erziehungsziele, die Aufstellung von Leistungskriterien und Leistungsbewertungen bestimmen die Schulen selbst.

Diese "Wohlfühl-Schulen", so meinen ihre Befürworter, entsprächen den Notwendigkeiten moderner Bildungspolitik. Überall, wo "Leistungsdruck" herrsche, seien die Kinder in der Schule unglücklich. Das sei besonders in Japan sichtbar, wo die Selbstmord-rate der Kinder in den letzten Jahren gestiegen sei.

In solchen, von den Kritikern oft ironisch als "Kuschelschulen" bezeichneten Lehranstalten gibt es keinen Stundenplan mit festen Unterrichtszeiten mehr. Der Lehrer entscheidet - nach dem pädagogischen Modell am besten zusammen mit den Schülern - was wie lange gemacht wird: Schreiben, lesen, rechnen, malen, Fußball, Basketball. Um den Kindern nicht den "Spaß" zu nehmen, gibt es in den ersten drei Schuljahren keine Noten. Jahrgangsübergreifende Klassen sind möglich. Der Religionsunterricht - und dafür kämpfen grüne Politiker in Nordrhein-Westfalen mit besonderer Hartnäckigkeit - soll einem Fach "Lebensgestaltung - Ethik - Religionskunde" nach brandenburgischem Muster weichen.

Trotz PISA-Studie, trotz Lehrermangel und gegen den erbitterten Widerstand der CDU-Opposition versuchen die linken Bildungsideologen an Rhein und Ruhr ihren Kurs zur "Schule der Zukunft" weiterzufahren. Wenn er nicht gebremst wird, ist es ein Kurs in den noch tieferen Abstieg unseres Schulwesens.

Die "Kuschelschul"-Idee ist nicht allein auf dem Mist europäischer linker Ideologen gewachsen. Sie wird seit geraumer Zeit auch bereits in einer Reihe amerikanischer Schulen praktiziert. Ergebnis dort: Die Kinder fühlen sich einzigartig wohl und finden sich selbst herausragend gut - nur ordentlich schreiben, lesen und rechnen können sie nicht.

Eines der wichtigsten Ziele dieser abstrusen pädagogischen Ansätze ist eine möglichst vollständige Toleranz, für die nur vier Ausnahmen gelten: Rassismus, Nationalismus, Naturzerstörung und Frauendiskriminierung sind zu bekämpfen. All diese neuen Modelle, offen gerichtet gegen die Lernschule, sind lediglich geeignet, unser Land in den Ruin zu treiben.

Zu den "kreativen Lösungsversuchen", aus der PISA-Studie Lehren abzuleiten, gehört auch der Vorschlag, die "Chance der Zweisprachigkeit schon im Kindergarten zu nutzen". Für hochbegabte Kinder mit Sicherheit ein gutes Angebot, frühzeitig ihre sprachlichen Talente weiterzuentwickeln. Für weniger Begabte, die noch nicht einmal die eigene Sprache richtig beherrschen, eine Überforderung. Und für türkischsprachige Kinder, die mühsam Deutschkenntnisse erlangen, eine Katastrophe. Denn die Zweitsprache ist in der Regel das Englische. Da kann man ahnen, welches Kauderwelsch herauskäme, wenn türkisch sprechende Kinder auch noch mit dem Englischen konfrontiert würden.

Vielfältig sind in diesen Monaten die Rufe nach neuen Organisationsmodellen. So will der niedersächsische Ministerpräsident Gabriel zum Beispiel die Orientierungsstufe abschaffen. Die Schüler sollen einfach zwischen den Schulformen wechseln können. Die Klassen eins und zwei sollen nach seinen Vorstellungen "gemeinsam unterrichtet" werden. Nach einem Jahr können begabte Schüler dann in die dritte Klasse wechseln. Die Schulpflicht soll künftig bereits für Fünfjährige gelten. Doch nur Träumer können glauben, die Krise unseres Bildungswesens sei in erster Linie ein organisatorisches Problem. Wenn der Geist einer Institution nicht stimmt, könnten sogar Tag und Nacht neu eingeteilt und strukturiert werden. Das Ergebnis wird gleich schlecht bleiben.

Die Globalisierer, sprich die Konzernlobby, wiederum nutzt die bildungspolitische Konfusion der Gegenwart, um ihre Ziele lautstark zu verkünden. Sie hat höchstes Interesse daran, Schule und Universität zu ökonomisieren. Das Motto: Weg mit kulturellem Ballast, hin zu Ausbildungsformen, die allein an der zukünftigen Tätigkeit in der Wirtschaft ausgerichtet sind. Auch aus dieser Ecke dringen laute Rufe, dem Staat die Einflüsse auf die Erziehungs- und Bildungsaufgabe möglichst weitgehend zu entziehen. Schulpflege und Schulinspektion sollen vermehrt durch "professionelle Schulentwickler" ausgeübt werden.

Anhänger des europäischen Zentralismus sehen eine günstige Stunde, die regionalen und nationalstaatlichen Hoheiten über die Bildungspolitik auszuhebeln. Nicht nur aus Deutschland, sondern besonders aus Frankreich sind Stimmen zu hören, die für das vereinte Europa ein vereinheitlichtes Bildungswesen fordern. Die Krise wird genutzt, um das bereits im Jahre 2000 vom französischen Bildungsminister Jack Lang veröffentlichte Papier zur Europäisierung des Bildungswesens umzusetzen. Über die Bildungspolitik müsse jetzt ein "neues Gefühl der Zugehörigkeit" zu Europa erzeugt werden, heißt es darin, eine neue Geisteshaltung einer "europäischen Identifikation" müsse entstehen. Hauptziele in diesem Memorandum sind die Einführung der Mehrsprachigkeit bereits an den Grundschulen, Computerunterricht ab dem Kindergarten und Umschreibung der jeweiligen Nationalgeschichten auf eine europäische Dimension. So versucht also jede Gruppe, die Bildungs-diskussion nach der PISA-Studie in die eigene politische oder ideologische Richtung zu lenken.

Prof. Dr. Peter J. Brenner, Leiter des Instituts für Medienevaluation, Schulentwicklung und Wissenschaftsberatung in der Nähe von Bayreuth, hat recht, wenn er sagt: "Seit 30 Jahren ist die Schule, auch und vor allem die Grundschule, als ,Lebens- und Erfahrungsraum' deutsche Schulideologie und Schulpraxis. Ein erheblicher - und in Stundenausfallstatistiken nicht erfaßter - Teil der Unterrichtszeit wird für unterrichtsferne oder unterrichtsfremde Aktivitäten verwendet: Morgenkreise und Gesprächskreise, Projekttage und Projektwochen, Werkstattunterricht, Schullandheimaufenthalte, Exkursionen, Theater- und Ausstellungsbesuche, Eislaufen, sportlich ‚bewegte Schule'. Das alles ist im Lehrplan vorgesehen und verfolgt respektable Zwecke: Stärkung des Gemeinschaftsgefühls, Erziehung zur Demokratie, Lebensweltbezug, Sinneserfahrung, Auflockerung des Unterrichts, sportlicher Ausgleich. ‚Holt das Leben in die Schule', heißt einer der Leierkastensätze der neuen deutschen Schule. Das wird auch gemacht, und genau deshalb lernen die Schüler nichts - weder fürs Leben noch für die Schule."

Peter J. Brenners Forderungen: mehr Unterricht, klare Zielbestimmungen, wissensorientierte Lehrplankonzepte, stringente Klassenführung, disziplinierte Arbeitshaltung bei Lehrern und Schülern. Genau diese Zielsetzungen sind jedoch Kultusministern, Kulturbürokraten und Lehrern, die vom Geist der 68er Bewegung durchdrungen sind, ein Greuel.

Staatliche Ganztagsbetreuung - vielen Ideologen noch immer das beste Instrument gegen zuviel elterlichen Einfluß: Antiautoritärer "Kinderladen" Anfang der 70er. Hier sollte einst der "neue Mensch" geformt werden. Foto: dpa