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06.04.02 / Ortelsburg: FußballspieleN mit dem Leutnant

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 06. April 2002


Ortelsburg: FußballspieleN mit dem Leutnant
Am Ostermontag vor 60 Jahren, am 1. April 1942, nahm die Heeres-Unteroffizier-Schule in der Jägerkaserne Graf York ordnungsgemäß den Dienstbetrieb auf

Schon lange vor der Gründung des Deutschen Reiches gab es Unteroffizierschulen, in denen die Armee junge Männer für das Unteroffizierkorps ausbildete. Für ihr hohes Alter bekannt waren die Schulen in Potsdam, Jülich, Wetzlar, Ettlingen und Marienberg in Sachsen. Nach dem Ersten Weltkrieg untersagte der Versailler Vertrag dem Deutschen Reich den Unterhalt dieser Schulen. Erst nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht wurden die ersten Unteroffizierschulen wieder eröffnet, so geschehen 1936 in Potsdam, sowie 1938 in Sigmaringen und Frankenstein.

Nach einem mindestens einjährigen Besuch einer Heeres-Unteroffizier-Vorschule erfolgte die ein halbes Jahr dauernde Ausbildung an einer Unteroffizierschule. Nach der Grundausbildung an der Unteroffizierschule folgte die Weiterbildung an einer Waffenschule des Heeres von mindestens einhalbjähriger Dauer. Die Absolventen dieser Schulen mußten sich für zwölf Jahre als Berufssoldaten verpflichten.

In den ersten Jahren des Zweiten Weltkrieges hatte die Wehrmacht große Verluste an Offizieren und Unteroffizieren. Das Oberkommando des Heeres sah sich daher genötigt, verstärkt Schulen zur Heranbildung von Unterführernachwuchs einzurichten. In den Jahren 1942/43 gab es im Reichsgebiet rund 28 Unteroffizierschulen des Heeres, davon 20 Schulen für die infanteristische Ausbildung. Ausgerechnet in Ostpreußen, der Provinz, die schon der kaiserlichen Armee, der Reichswehr und der Wehrmacht im Verhältnis zur Bevölkerungszahl die meisten Berufssoldaten gestellt hatte, gab es keine Heeres-Unteroffizierschulen, sieht man von Marienwerder ab, das ja eine ursprünglich westpreußische Stadt ist.

Es ist einem ostpreußischen Offizier, dem damaligen Oberst Friedrich Rexilius, zu verdanken, daß die erste und einzige Heeres-Unteroffizierschule auf ostpreußischem Boden am 1. April 1942 in Ortelsburg eröffnet wurde. Rexilius war am 1. September 1939 als Kommandeur des Jägerbataillons ins Feld gerückt und wegen einer schweren Magenerkrankung später als Abteilungs-Chef in das Oberkommando des Heeres versetzt worden. Als es unter seiner Leitung um die Neugründung von Unteroffizierschulen ging, erbat er sich eine dieser Schulen in seine alte Jäger-Garnison, in der er die von ihm erarbeitete Konzeption als Kommandeur unter Beweis stellen wollte.

Unter den Offizieren des Aufstellungsstabes dieser Schule, die zunächst im "Berliner Hof" wohnten und in dessen Vereins-zimmer - genannt "die Bleikammer" - gemeinsam aßen und sich zu Besprechungen versammelten, waren acht aktive Infanterie-Leutnante der Geburtsjahrgänge 1920/21 und zwei Panzerjäger-Leutnante, die ebenso wie die Kompaniechefs und der Adjutant im ersten Halbjahr des Ostfeldzuges nachhaltig verwundet worden und bis auf weiteres nicht feldverwendungsfähig waren.

In den Monaten Februar und März 1942 fand unter Leitung und Aufsicht des Obersten Rexilius, der seit Friedenszeiten mit seiner Familie eine Wohnung in der Wiener Straße bewohnte, die Ausbildung der Zugführer sowie der Unteroffizier- und Mannschaftsdienstgrade durch die Kompaniechefs statt, die noch eine solide Friedensausbildung genossen hatten. Die Zugführer-Offiziere wurden vom Komman- deur eindrucksvoll herangenommen zu Unterricht und Aussprachen über einen Themenkomplex, der mit "Haltung, Auftreten und Pflichten des Offiziers" zu umschreiben wäre. Gerade hier zeigte sich das großartige fachliche und menschliche Format des ausnahmslos verehrten Kommandeurs.

In die letzte Phase der Tätigkeit des Aufstellungsstabes fiel der Aufbau der Schulkomponente. Zur Fortsetzung des Schulunterrichts erteilten Lehrkräfte Unterricht in Deutsch, Geschichte, Erdkunde und naturwissenschaftlichen Fächern. Der Lehrkörper bestand aus "Heeres-Oberlehrern", bewährten Pädagogen, die die Uniform der gehobenen mittleren Beamten mit dunkelbraunen Litzen als Laufbahnabzeichen trugen.

Am 1. April des Jahres 1942 war es soweit. Die Heeres-Unteroffizierschule Ortelsburg nahm ihren regelrechten Ausbildungsbetrieb auf. Die bisherigen Jungschützen, die auszubilden waren, kamen mit geringen Ausnahmen geschlossen von der Heeresunteroffizierschule XXI Kosten im Warthegau. Es waren Jungen im Alter von 16 und 17 Jahren, die zum Besten gehörten, was man in diesem Jahr noch in Uniform sehen konnte.

In den Jahrzehnten von Liberalität und Pluralismus wird die Form der "Kadettenausbildung" verteufelt und verächtlich gemacht. Das kann nur der Unwissende, den seine Komplexe auch noch mit der Abneigung gegen Eliten jeder Art ausstatten. Wer um Wahrheit bemüht ist, vergleicht derartige Erziehungs- und Ausbildungsbahnen nur mit denen, die zur selben Zeit zur Verfügung standen. Dabei bleibt zu beachten, daß die Heeres-Unteroffi- ziervorschulen Absolventen der vierklassigen Grundschulen aufnahmen, denen sie zusammen mit den Heeres-Unteroffizierschulen dann das Schulwissen vermittelten, das der Mittleren Reife entsprach. Auswahl und Förderung brachten junge Menschen auf den Weg, die zu dieser Zeit kaum ihresgleichen hatten. Es bleibt zu beachten, daß ihnen die Irrwege typisch nationalsozialistisch gesteuerter Elitenheranbildung erspart blieb.

Reizvoll war ihre gleichmäßige Mischung aus allen deutschen Landschaften. Der militärische Ausbilder konnte sich keine besseren und dankbareren Schüler wünschen als diese frischen, fröhlichen und dienstbereiten Jungen. Es war ein Geschenk, mit ihnen zusammen an einer gemeinsamen Aufgabe arbeiten zu dürfen. Es wäre verfehlt, sich unter ihnen von Jugend an eingeschüchterte, auf Kadavergehorsam gedrillte Jugendliche vorzustellen. Es war keinesfalls nur eine Folge der horrenden Kriegsverluste, daß eine gehörige Anzahl der jeweils Überlebenden rasch Karriere machte und auch als Offizier noch Vorzügliches geleistet hat.

Gerade dieser erste Lehrgang wurde Anlaß zu einer besonders eindrucksvollen Vereidigungsfeier mit ausgeliehenem Musikkorps bei prachtvollem Frühlingswetter am 20. April 1942.

Die Ausbildung der Schüler verlief damals "dual", einerseits durch die Angehörigen der Unterrichtsabteilung und andererseits durch die militärischen Vorgesetzen. Diese vermittelten die Ausbildung der Schützenkompanien einerseits auf dem Kasernenhof und - dem Wetter angepaßt - in der Exerzierhalle, andererseits auf dem Standortübungsplatz oberhalb des Großen Sylvensees zwischen den Ortschaften Lehmanen und Ulrichsee. Die Schießausbildung fand auf einem entlegenen Jäger-Schießplatz statt. Zur Steigerung der Marsch-Leistungsfähigkeit wurde die zauberhafte masurische Landschaft des Kreises nachhaltig durchschritten. Unter der Leitung des Heeres-Sportlehrers, dem die Zugführer als Hilfssportlehrer zur Seite standen, fand ein ausgesprochener Sportbetrieb statt. Mit Ballspielen und Leichtathletik beteiligten sich die Schüler erfolgreich an örtlichen Jugend-Sportfesten. Geschwommen wurde in der Militär-Badeanstalt am Großen Haussee; dort wurde beispielsweise für den Grundschein der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) ausgebildet und zusammen mit dem Sportlehrer abgenommen.

So kam es, daß sich die Marschkolonne der Schüler oft feld- marschmäßig oder im Sportzeug durch die Stadt und die nahegelegenen Ortschaften bewegte. Der vorzügliche Eindruck, den sie dabei hinterließ, wurde unterstrichen durch gute Leistungen im Marschgesang. Schnell bildete sich heraus, daß die Kompanien nach bestimmten "Kenn-Liedern" zu unterscheiden waren. Wenn auf der Wiener Straße aus frischen Kehlen "Es klappert der Huf am Stege", "Jetzt kommen die lustigen Tage", "Die Gedanken sind frei", "Immer wenn Soldaten singen" oder das aus Südtirol stammende "Wie ist die Welt so schön und weit" erschallte, wußten Kundige - und das waren nicht nur Soldaten im Kasernement, sondern auch Ortelsburger beiderlei Geschlechts -, wer da nach dem Vormittagsdienst herannahte. Zur Erntezeit leisteten die Schüler bei den Landwirten im Kreisgebiet Erntehilfe.

Die Lehrgangsteilnehmer bildeten vier Schützenkompanien, die folgende Offiziersbesetzung hatten: 1. Kompanie Hauptmann Schwieck mit Leutnant beziehungsweise Oberleutnant v. Auer und Wernicke, 2. Kompanie Hauptmann Schlegel mit Leutnant beziehungsweise Oberleutnant Cleinow, Schnapka und Georgsohn, 3. Kompanie Haupt- mann Eichberg mit Leutnant beziehungsweise Oberleutnant Schneusing, v. Wasilewskie und Neugebauer, 4. Kompanie Hauptmann Hoffmann mit Leutnant beziehungsweise Oberleutnant Piramofski und Milenz.

Ein strammer Dienst und die Passion zum Wohle der Unteroffizierschüler hielten die Ausbildungsoffiziere in einer Weise ständig auf Achse, daß man über das heute getätschelte Schlagwort von der "Dienstzeitbelastung" nur verlegen lächeln kann. So war es doch selbstverständlich, daß außerhalb der festgesetzten Dienststunden mindestens ein Offizier je Kompanie sowohl für die Angehörigen des Stammpersonals als auch für die Schüler anzutreffen war. Das galt nicht nur für die "besonderen Vorkommnisse". Auch mit kleinen Problemen oder Fragen aus den Interessengebieten wurde der Leutnant aufgesucht, der zu raten und zu helfen versuchte.

Man muß sich vergegenwärtigen, daß die Leutnante nur rund fünf Jahre älter waren als die Schüler, mit denen sie durch ihre Herkunft aus der "Bündischen Jugend" und dem "Jungvolk" die "Gemeinsamkeit der Jugend" verband. So tat es der aufsehenerregenden Disziplin keinen Abbruch, wenn der Leutnant in der abendlichen Freizeit mit den Schülern den Fußball trat, Tischtennis spielte oder Probleme wälzte. Zu bedauern sind die jungen Offiziere der Bundeswehr, die sich solche vertrauenfördernde Verbundenheit unter der Wirkung des Zeitgeistes entgehen lassen müssen. Weiterhin ausgefüllt wurden Freizeitstunden durch sommerliches Schwimmen im Waldpusch- oder Schobensee, abendliche Radfahrten, gemeinsames Reiten, gesellschaftlichen Verkehr, Tennisspiel, fröhlichen Umgang im Kameradenkreis, Jagd, kulturelle Veranstaltungen im "Berliner Hof", Kino-Programme und was es dergleichen sonst so gab.

Der "Berliner Hof" spielte als Drehscheibe überhaupt eine wichtige Rolle. Ewig hungrige Leutnante, die hier markengünstig vom Ehepaar Albrecht behandelt wurden, trafen immer andere Angehörige der Schule an, aber auch der Zeit entsprechend den Bürgermeister, seltener den hervorragenden Landrat v. Poser und Groß-Naedlitz oder den geschätzten Forstmeister Gröning, aber auch zahl-

reiche maßgebliche Bürger der Stadt, die den Angehörigen der Unteroffizierschule wohlgesonnen waren.

Was ist aus den Soldaten der Heeres-Unteroffizierschule geworden? Soweit sie nicht gefallen sind, wurde nach dem Krieg soweit wie möglich Verbindung untereinander aufgenommen, und einige feierten ein herzliches Wiedersehen. Der Wert der gemeinsamen Ortelsburger Zeit lag in der vorbildlichen Kameradschaft zwischen allen Dienstgraden und Altersstufen der Ausbildergemeinschaft, im Erlebnis des Umgangs mit den prachtvollen, frischen, jungen Menschen, den nachwachsenden Kameraden im Soldatenberuf, in der festen Überzeugung, im Rahmen einer wohldurchdachten, für damalige Zeiten perfekten Einrichtung sinnvolle Arbeit zu leisten, deren Ergebnisse - den hohen Verlusten zum Trotz - auch über den Tag hinaus Bestand haben können, und nicht zuletzt in dem dankbaren Erleben der wunderschönen Welt Ostpreußens, Masurens und Ortelsburgs wie auch ihrer liebenswürdigen Bevölkerung. Fritz Milenz

Der Autor hat an der Heeres-Unteroffizierschule Ortelsburg ab dem ersten Jahre ihres Bestehens als Leutnant und Zugführer in der 3. Kompanie drei "Halbjahresklassen" im Rahmen einer infanteristischen Grundausbildung betreut.

Foto: Vereidigung des ersten Lehrganges: Der Kasernenhof am 20. April 1942 Foto: Zimmer