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13.04.02 / Vertreibungsdekrete - Gesetze, die Unrecht zu Recht machen wollen

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 13. April 2002


Vertreibungsdekrete - Gesetze, die Unrecht zu Recht machen wollen
Wie die polnische und die tschechische Botschaft auf eine Anfrage des Ostpreußenblattes/Preußische Allgemeine Zeitung reagierten

Polen und Tschechien wollen - möglichst schon innerhalb der nächsten zwei Jahre - der Europäischen Union beitreten; damit müßten sie sich auch europäischen Rechtsnormen unterwerfen. In beiden Ländern gelten aber immer noch gesetzliche Regelungen, die eklatant gegen diese Normen verstoßen: die Vertreibungsdekrete, in denen die Vertreibung der Ost- und Westpreußen, der Schlesier, der Pommern, der Sudetendeutschen legalisiert und alle in diesem Zusammenhang begangenen Verbrechen, bis hin zum Völkermord, der Strafverfolgung entzogen werden. Begründung: die "Kriegsschuld" der Deutschen und die vom Hitler-Regime begangenen Verbrechen.

Jahrzehntelang war die Thematik - Stichwort "Benesch-Dekrete - fast nur in Kreisen der direkt Betroffenen präsent. Nun aber haben Fernsehen, Nachrichtenmagazine und Literatur-Nobelpreisträger das Thema "Flucht und Vertreibung" entdeckt. Und damit wurden auch die polnischen und tschechischen Vertreibungsdekrete zum Gegenstand öffentlicher Diskussion, vor allem in Hinblick auf die EU-Osterweiterung.

Viele, die sich nun an dieser Diskussion beteiligen, kennen allerdings den genauen Inhalt dieser Dekrete nicht. Um diese Wissenslücke zu schließen, dokumentieren wir auf dieser Doppelseite den Wortlaut der wichtigsten Vertreibungs- und Amnestiegesetze. Zugleich haben wir die Botschaften Polens und Tschechiens um Stellungnahmen gebeten. Prags Vertretung in Berlin ist in kooperativer Weise auf unsere Anfrage eingegangen, auch wenn die Stellungnahme inhaltlich zum Teil auf energischen Widerspruch der Betroffenen stoßen wird. Die polnische Botschaft hingegen entzog sich einer Stellungnahme - nach dem Motto "Durch konsequentes Ignorieren erledigt!" Telefonische Nachfragen verloren sich in Warteschleifen der Botschafts-"Hotline". Unser Kommentar: Keine Antwort ist auch eine Antwort. Was wiederum einiges über die Europa-Reife Polens besagt. H.J.M./R.B.

Fototext: Auf der Flucht: Nur das Allernötigste - und zum Teil noch nicht einmal das - konnten die aus ihrer Heimat vertriebenen Deutschen retten. Die neuen Besitzer ihrer Heimat allerdings sprachen (und sprechen zum Teil immer noch) von "Umsiedlung", die nur eine gerechte Strafe für die "Kriegsschuld" und die Verbrechen der Deutschen sei. Foto: Archiv

 

 

Polen: Dekret vom 8. März 1946 über das verlassene und ehemals deutsche Vermögen. (Dz.U.R.P.nr.13, Pos.87)

Auf Grund des Gesetzes vom 3. Januar 1945 über die Erlassung von Dekreten mit Gesetzkraft wird folgendes vom Ministerrat beschlossen und vom Präsidium des Landes-Nationalrates bestätigt: Teil I Allgemeine Vorschriften

Art.1.1 Verlassenes Vermögen im Sinne dieses Dekrets ist jedes Vermögen (bewegliches und unbewegliches), dessen Eigentümer im Zusammenhang mit dem am 1. September 1939 begonnenen Kriege den Besitz ihres Vermögens verloren und ihn später nicht wieder erlangt haben.

1.2 Als verlassen wird auch ein Vermögen (bewegliches oder unbewegliches) angesehen, welches sich auf Grund eines Vertrages, der mit dem Eigentümer geschlossen wurde, die seine Interessen wahrnehmen, im Besitz Dritter befindet, sofern dieser Vertrag den Zweck hatte, den Verlust dieses Vermögens durch Krieg oder Besatzung zu verhindern.

Art. 2.1 Kraft Gesetzes geht in das Eigentum des Staates über jegliches Vermögen:

a) des Deutschen Reiches und der ehemaligen Freien Stadt Danzig;

b) von Angehörigen des Deutschen Reiches und der Freien Stadt Danzig mit Ausnahme von Personen polnischer oder einer anderen, von den Deutschen verfolgten Nationalität;

c) von deutschen und Danziger juristischen Personen mit Ausnahme von juristischen Personen des öffentlichen Rechts;

d) aller durch deutsche oder Danziger Staatsangehörige oder aber durch die deutsche oder Danziger Verwaltung kontrollierten Gesellschaften;

e) aller zum Feinde übergelaufenen Personen.

In Polen sind zur Zeit insgesamt vier weitere Vertreibungs- und Entrechtungsdekrete in Kraft.

Stellungnahme der polnischen Botschaft: Keine!

 

 

Tschechien 1.) Dekret des Präsidenten der Republik vom 21. Juni 1945 über die Konfiskation und beschleunigte Aufteilung des landwirtschaftlichen Vermögens der Deutschen, Madjaren, wie auch der Verräter und Feinde des tschechischen und des slowakischen Volkes. Slg.Nr.12

Um dem Rufe der tschechischen und slowakischen Bauern und Landlosen nach einer konsequenten Verwirklichung einer neuen Bodenreform entgegenzukommen und geleitet vor allem von dem Streben, ein für alle mal den tschechischen und slowakischen Boden aus den Händen der fremden deutschen und madjarischen Gutsbesitzer wie auch aus den Händen der Verräter der Republik zu nehmen und ihn in die Hände des tschechischen und slowakischen Bauerntums und der Landlosen zu geben, bestimme ich auf Vorschlag der Regierung:

§ 1.1 Mit augenblicklicher Wirksamkeit und entschädigungslos wird für die Zwecke der Bodenreform das landwirtschaftliche Vermögen enteignet, das im Eigentum steht:

a) aller Personen deutscher und madjarischer Nationalität, ohne Rücksicht auf Staatsangehörigkeit.

§ 1.2 Personen deutscher und madjarischer Nationalität, die sich aktiv am Kampf für die Wahrung der Integrität und die Befreiung der tschechoslowakischen Republik beteiligt haben, wird das landwirtschaftliche Vermögen nach Absatz 1 nicht konfisziert.

§ 2.1 Als Personen deutscher oder madjarischer Nationalität gelten Personen, die sich bei irgendeiner Volkszählung seit 1929 zur deutschen oder madjarischen Nationalität bekannten oder Mitglieder nationaler Gruppen, Formationen oder politischen Parteien wurden, die sich aus Personen deutscher oder madjarischer Nationen zusammensetzten.

2.) Dekret des Präsidenten der Republik vom 19. September 1945 über die Arbeitspflicht der Personen, welche die tschecho-slowakische Staatsbürgerschaft verloren haben. SLg.Nr.71

Auf Vorschlag der Regierung bestimme ich:

§ 1.1 Zur Beseitigung und Wie-dergutmachung der durch den Krieg und die Luftangriffe verursachten Schäden, wie auch zur Wiederherstellung des durch den Krieg zerrütteten Wirtschaftslebens wird eine Arbeitspflicht der Personen eingeführt, die nach dem Verfassungsdekret des Präsidenten der Republik vom 2. August 1945, Slg. Nr. 33, über die Regelung der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft der Personen deutscher und madjarischer Nationalität, die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verloren haben. Die Arbeitspflicht erstreckt sich auch auf Personen tschechischer, slowakischer oder einer anderen slawischen Nationalität, die sich in der Zeit der erhöhten Bedrohung der Republik um die Erteilung der deutschen oder der madjarischer Staatsangehörigkeit beworben haben, ohne dazu durch Zwang oder besondere Umstände gezwungen zu sein.

§ 2.1 Der Arbeitspflicht unterliegen Männer vom vollendeten 14. bis zum vollendeten 60. Lebensjahr und Frauen vom vollendeten 15. bis zum vollendeten 50. Lebensjahr.

§ 2.2 Von der Arbeitspflicht sind befreit:

a) körperlich oder geistig untaugliche Personen, solange dieser Zustand dauert;

b) schwangere Frauen, vom beginn des vierten Monates der Schwangerschaft

c) Wöchnerinnen, für die Zeit von sechs Wochen nach der Niederkunft und

d) Frauen, die für Kinder unter sechs Jahren zu sorgen haben.

3.) Dekret des Präsidenten der Republik vom 25. Oktober 1945 über die Konfiskation des feindlichen Vermögens und die Fonds der nationalen Erneuerung. Slg.Nr. 108

Auf Vorschlag der Regierung und im Einvernehmen mit dem Slowakischen Nationalrat bestimme ich:

Teil I Konfiskation des feindlichen Vermögens.

§ 1 Umfang des konfiszierten Vermögens.

§ 1.1 Konfisziert wird ohne Entschädigung - soweit dies noch nicht geschehen ist - für die Tschechoslowakische Republik das unbewegliche und bewegliche Vermögen, namentlich auch die Vermögensrechte (wie Forderungen, Wertpapiere, Einlagen, immaterielle Rechte), das bis zum Tage der tatsächlichen Beendigung der deutschen und madjarischen Okkupation im Eigentum stand oder noch steht:

1. des Deutschen Reiches, des Königreiches Ungarn, von Körperschaften des öffentlichen Rechtes nach deutschem oder ungarischem Recht, der deutschen nazistischen Partei, der madjarischen politischen Parteien und Personenvereinigungen, Fonds und Zweckvermögen dieser oder der mit derer Formationen, Organisationen, Unternehmungen, Einrichtungen, Personenvereinigungen, Fonds und Zweckvermögen dieser oder der mit ihnen zusammenhängenden Regime, wie auch anderer deutscher oder ungarischer juristischer Personen, oder

2. physischer Personen deutscher oder madjarischer Nationalität mit Ausnahme Personen, die nachweisen, daß sie der Tschechoslowakischen Republik treu geblieben sind, sich niemals gegen das tschechische und slowakische Volk vergangen haben und sich entweder aktiv am Kampfe für deren Befreiung beteiligt oder unter dem nazistischen oder faschistischen Terror gelitten haben

4.) Gesetz vom 8. Mai 1946 über die Rechtmäßigkeit von Handlungen, die mit dem Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zusammenhängen. Slg.Nr.115.

Die vorläufige Nationalversammlung der Tschechoslowakischen Republik hat folgendes Gesetz beschlossen:

§ 1 Eine Handlung, die in der Zeit vom 30. September 1938 bis zum 28. Oktober 1945 vorgenommen wurde und deren Zweck es war, einen Beitrag zum Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zu leisten, oder die eine gerechte Vergeltung für Taten der Okkupanten oder ihrer Helfershelfer zum Ziele hatte, ist auch dann nicht widerrechtlich, wenn sie sonst nach den geltenden Vorschriften strafbar gewesen wäre.

§ 2.1 Ist jemand für eine solche Straftat bereits verurteilt worden, so ist nach den Vorschriften über die Wiederaufnahme des Strafverfahrens vorzugehen.

§ 2.2 Zuständig ist das Gericht, vor dem das Verfahren erster Instanz stattgefunden hat oder, falls ein solches Verfahren nicht stattgefunden hat, das Gericht, das jetzt in erster Instanz zuständig sein würde, wenn die Rechtswidrigkeit der Tat nicht nach § 1 ausgeschlossen wäre.

§ 2.3 Trifft mit einer in § 1 genannten Tat eine Straftat zusammen, für die der Angeklagte durch dasselbe Urteil verurteilt wurde, so fällt das Gericht für diese andere Tat durch Urteil eine neue Strafe unter Berücksichtigung des bereits erfolgten Schuldspruches.

§ 3 Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Kundmachung in Kraft; es wird vom Justizminister und vom Minister für nationale Verteidigung durchgeführt.

 

Folgen: "Ins eigene Fleisch geschnitten"
Vertreibung war ein Verbrechen und zugleich eine wirtschaftliche Katastrophe

Aus den Reihen der deutschen Wirtschaft hat man bisher zum Verbrechen der Vertreibung kaum etwas gehört. Auch die Gewerkschaften, die Interessen und Rechte der Arbeitnehmer vertreten, hüllen sich in Stillschweigen, obwohl es doch eine schlimmere Verletzung von Arbeitnehmerrechten als eine Vertreibung vom angestammten und oft hart erarbeiteten Arbeitsplatz kaum geben dürfte. Diesen in der Bundesrepublik einflußreichen Gruppen kann die Lektüre des Aufsatzes der Wiener Historikerin Emilia Hrabovec über wirtschaftliche und soziale Folgen der Vertreibung der Sudetendeutschen empfohlen werden.

Selbst den Prager Vertreibern war klar, daß man wirtschaftlich bedeutende Arbeitskräfte und Spezialisten nicht sofort vertreiben konnte, da man in Versorgungsbetrieben und öffentlichen Einrichtungen zunächst noch auf sie angewiesen war, vor allem auch um die erwünschten "Neusiedler" anzulocken. Während man also die Masse der Deutschen aus ihrem Land trieb, verbot man gleichzeitig den Spezialisten die Ausreise.

Trotzdem ergaben sich zum Beispiel in der Landwirtschaft riesige Lücken, die Kohleproduktion sank in einem Jahr um die Hälfte. So wurden deutsche Kriegsgefangene und sudetendeutsche Zivilisten in großer Zahl in den Bergwerken und in der Land- wirtschaft zur Zwangsarbeit verpflichtet. Im Bergbau stellten die Deutschen bis Mitte 1946 30 Prozent aller Beschäftigten, in der Textilindustrie Ende 1945 sogar noch 44 Prozent.

Obwohl das "Monsterprojekt der Besiedelung des Sudetengebietes" (Hrabovec, S. 171) bis 1947 zwei Millionen tschechische "Neusiedler" in die deutschen Dörfer und Städte spülte, gelang es nicht, die Wirtschaftsleistung aufrechtzuerhalten. Die "Kolonisten" wollten vor allem ihren persönlichen Wohlstand mehren und ließen sich vorzugsweise in prosperierenden Gegenden nieder. Wenig fruchtbare und geographisch ungünstig gelegene Gebiete waren nicht gefragt.

Zudem kam es bald unter den bunt gemischten Gruppen (im mährisch-schlesischen Raum hatten zehn Prozent ein dickes Strafregister!) zu heftigem Streit über die Verteilung der deutschen Beute, der durch die auseinanderstrebenden politischen Ziele von Nationalisten und Kommunisten noch verschärft wurde.

Der Mangel an Arbeitskräften zwang die tschechoslowakische Regierung, bei den Spezialisten von vielen Diskriminierungen abzusehen - so von der Konfiskation von Wohnungen oder Einfamilienhäusern, von den willkürlichen Lohnkürzungen und anderem. Auch die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft wurde unter bestimmten Bedingungen wieder angeboten. Die Anerkennung als Spezialist erfolgte jedoch in einem umständlichen bürokratischen Verfahren, auf Vorschlag des Betriebes und nach Prüfung durch die "Staatsorgane". Diese Personen und Teile ihrer Familie wurden dann vom "Abschub" ausgenommen.

Die Gesamtzahl sollte aus nationalistischen Gründen begrenzt bleiben, obwohl die Prager Machthaber wegen des riesigen Arbeitskräftemangels sogar die Anwerbung von 100.000 Italienern erwogen! Schließlich setzte die Regierung die Zahl von 17.000 für den Bergbau und von 43.000 für die Industrie fest.

Insgesamt durften 180.000 Deutsche als unentbehrliche Arbeitskräfte verbleiben. Diese sollten dann auch Tschechen für die benötigten Arbeiten heranbilden. In der Landwirtschaft nahm man lieber einen Arbeitskräftemangel von 300.000 Personen in Kauf, verzögerte jedoch die Vertreibung der Deutschen in diesen Bereichen je nach Produktionsart und je nach der Gegend so lange wie möglich.

Die von Emilia Hrabovec durch intensive Archivstudien zutage geförderten Tatsachen sind in der Tschechischen Republik noch vielfach unbekannt. Selbst ansonsten gut informierte tschechische Gesprächspartner glauben mir die Mitteilung nicht, daß die Benesch-Regierung aus wirtschaftlichen Gründen von ihrer Totalvertreibungspolitik Ausnahmen machte und Sudetendeutsche zwangsweise im Lande festhielt. Nur dieser ökonomischen Zwangslage ist die heutige Existenz einer deutschen Restvolksgruppe von 60.000 bis 80.000 Menschen zu verdanken, denen aber noch immer nicht eine volle Gleichberechtigung zugestanden wird. Rüdiger Goldmann

Dieser Beitrag basiert auf:

Emilia Hrabovec, "Politisches Dogma kontra wirtschaftliches Kalkül" aus dem Band "Heimat und Exil" von Peter v. Heumos. CC-Veröffentlichung, Band 21, Seite 163 - 185, Oldenbourg Verlag, München 2001. Preis: 49,80 Euro.

 

Fototext: Meinungsäußerung: Mitglieder des Bundes Junges Ostpreußen (BJO) protestierten vor dem Berliner Reichstag. Sie forderten die Abschaffung der Vertreibungsdekrete, denn für diese sei in der EU kein Platz. Auf den verteilten Flugblättern mit Auszügen der Benesch-Dekrete konnten auch die mit dem Thema nicht vertrauten Passanten nachlesen, wie menschenunwürdig die Dekrete sind. Foto: Nehring

 

Botschaft der Tschechischen Republik

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich bedanke mich für Ihren Brief, in dem Sie um Informationen bitten, die sich auf die aufgeführten Dekrete beziehungsweise das erwähnte Gesetz beziehen.

Da wir keine hochdotierte wissenschaftliche Einrichtung sind, sondern nur ein kleines mit ein paar Beamten besetztes Amt, nur ein paar Bemerkungen.

Dekret 1 und 3

Mit den laut erwähnter Dekrete erfolgten Enteignungen handelt es sich um die eigentumsrechtlichen Folgen des von Deutschland verschuldeten Zweiten Weltkrieges (siehe auch Haupt IV des Potsdamer Abkommens über die deutschen Reparationen und das Pariser Abkommen über Reparationen vom 21. Dezember 1945).

Heutzutage sind die Dekrete "erloschen", das heißt sie regeln nach wie vor die nach dem Krieg stattfindenden, einmaligen und damals abgeschlossenen Umwälzungen (natürlich auch in denjenigen Fällen, wenn diese im Rahmen einer nach 55 Jahren angemeldeten Berufung noch einmal gerichtlich angefochten werden sollten), können aber keinesfalls neue rechtliche Beziehungen gründen. Das heißt beispielsweise, daß die nach der Wende in der Tschechoslowakei von VW erworbenen Skoda-Werke nicht auf deren Grundlage wieder enteignet werden können. Die Regierungen unserer beider Länder haben übrigens keine Probleme mit diesen Regelungen, und zwar angesichts der Tatsache, daß "jede Seite ihre Rechtsordnung verpflichtet bleibt und respektiert, daß die andere Seite eine andere Rechtsauffassung hat" (Deutsch-Tschechische-Erklärung).

Dekret 2

In ihrer Antwort auf die sogenannte Kleine Anfrage (des Abgeordneten Hartmut Koschyk) hat die Bundesregierung feststellen müssen (BT-Drucksache 14/6478, 2001), daß "die Heranziehung von Deutschen oder deutschen Volkszugehörigen durch dritte Hoheitsträger zur Zwangsarbeit als allgemeines Kriegsfolgenschicksal bewertet werden muß". Desweiteren wird zum Los des im ganz Europa auf diese Weise nach dem Krieg eingesetzten Deutschen festgestellt: "Der Bundesregierung ist bewußt, daß viele Deutsche während des Zweiten Weltkrieges und unmittelbar danach Opfer von Gewalt und Willkür wurden. So tragisch schmerzhaft und groß das Leid für die Betroffenen auch war und ist, es hatte seine Wurzeln im vorausgegangenen NS-Unrecht" (die Reaktion der Bundesregierung auf die schriftliche Frage Nr. 224 des schon einmal oben erwähnten Abgeordneten vom März 2001).

Gesetz Nr. 4

Zwei Tage vor der Abstimmung des Gesetzes, also am 6. Mai 1946, erklärte der Verfassungsausschuß der tschechoslowakischen Vorläufigen Nationalversammlung das Gesetz Nr. 115 in der Mitteilung Nr. 419 mit diesen Worten: Dieses Gesetz legalisiert nicht Straftaten, die in der Zeit vom 30. September 1938 bis zum 28. Oktober 1945, dem Tag der ersten Sitzung der Vorläufigen Nationalversammlung, gegen Deutsche aus Niedertracht begangen wurden. Ähnliche Einschränkungen gibt es übrigens auch in vergleichbaren ausländischen Gesetzen. In Frankreich wurden zum Beispiel in einem analogen Amnestiegesetz, in welchem für die Taten zwischen dem 10. Juni 1940 und dem 1. Januar 1946 Straffreiheit nur unter Bedingung eingeräumt, daß es sich nicht um Delikte handelte, "die den Interessen des Widerstandes völlig fremd waren". In Italien forderte ein fast identisches Gesetz, daß während der nazi-faschistischen Besetzung bis zum 11. Juli 1945 nicht solche Taten straffrei bleiben sollen, bei denen "aufgrund sicherer Beweise hervorgeht, daß diese gewöhnliche Strafdelikte sind".

Ich brachte nur dieses Beispiel aus Frankreich und Italien ein, man könnte sie aber auch z. B. durch Gesetze aus Österreich, oder aus den Niederlanden usw. ergänzen, um zu zeigen, daß das tschechoslowakische Amnestiegesetz aus dem Jahre 1946 vollkommen den juristischen Standards der Nachkriegszeit entsprach. Warum solche Gesetze fast in allen befreiten Ländern erlassen worden sind, kann ich hier aus zeitlichen Gründen nicht abhandeln. Es gab hierfür aber gute, handfeste und vor allem juristisch einsehbare Gründe.

Das tschechoslowakische Amnestiegesetz als solches war also völlig in Ordnung, andere Sache scheint seine juristisch einwandfreie Durchführung beziehungsweise Anwendung in der Nachkriegszeit gewesen zu sein. Die ließ offensichtlich manchmal - gelinde gesagt - viel zu wünschen übrig. Was also noch heute wirklich Sinn machen würde (anstelle des sinnlosen Anfechtens des in der Nachkriegszeit nach dem allgemein gültigen Muster konstruierten und korrekten tschechoslowakischen Gesetzes), wäre eine gemeinsame deutsch-tschechische Suche nach Beweisen der vergangenen, nicht gesühnten Verbrechen, die "im Namen dieses Gesetzes" (das heißt eigentlich gegen das Gesetz) verübt worden sind. Dies natürlich mit dem Ziel, die Täter der Justiz vorzuführen. (Wie dies aber in der Praxis des Einzelfalles nach all den Jahren gelingen sollte, wenn so oft nicht nur Opfer, sondern auch Zeugen nicht mehr da sind, mag ich an dieser Stelle nicht beurteilen. Trotzdem bin ich aber der Meinung, daß der Wille zu dieser "Abrechnung" in der tschechischen Gesellschaft von heute wirklich vorhanden ist, jedenfalls in höherem Maße, als dies zum Beispiel in der deutschen Gesellschaft der fünfziger Jahre in ähnlicher Situation, angesichts der nicht gesühnten Verbrechen der nationalsozialistischen Vergangenheit, der Fall war.)

Mit freundlichen Grüßen

Zdenek Aulicky, 1. Botschaftssekretär