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20.04.02 / Serie: Preußen und Polen (III) / Bismarcks Kampf für das Deutschtum im Osten

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 20. April 2002


Serie: Preußen und Polen (III)
Bismarcks Kampf für das Deutschtum im Osten
von Rüdiger Ruhnau

Ein Umschwung in der preußischen Polenpolitik trat ein, nachdem Otto von Bismarck-Schönhausen 1862 zum preußischen Ministerpräsidenten ernannt wurde. Ein Jahr zuvor, am 18. Oktober 1861, dem Jahrestag der Völkerschlacht von Leipzig, hatte sich Wilhelm I. in der Königsberger Schloßkirche die Krone aufs Haupt gesetzt. Zu dieser Demonstration preußischer Macht war alles aufgeboten, was den Staat repräsentierte, darunter die gesamte Generalität und Abordnungen aller Truppenteile mit Fahnen und Standarten der Armee. Wegen einer Heeresreform eskalierte schon bald der Streit zwischen König und Parlament so sehr, daß Wilhelm I. als letzten Ausweg Bismarck an die Spitze der Regierung berief. Der 47jährige Diplomat konnte seinen Herrn überzeugen, notfalls auch ohne Zustimmung des Abgeordnetenhauses den königlichen Willen durchzusetzen.

Bismarcks Einstellung zur Polenpolitik blieb während seines gesamten politischen Wirkens unverändert: Preußen kann auf die östlichen Provinzen nicht verzichten, sie sind "die Sehne am Bogen, den Ostpreußen und Schlesien bilden." Da es sich nicht um rein polnische Gebiete handele, "dürfen Millionen Deutsche nicht der Willkür der Polen überantwortet werden", schreibt er in einem Brief an seine Gattin. Ein zweiter Gesichtspunkt betraf das angestrebte gute Verhältnis zu Rußland, das bei gleicher Beurteilung und Behandlung der polnischen Frage beiden Mächten zum Vorteil gereichen würde.

Bismarcks erster außenpolitischer Erfolg als Ministerpräsident war der Abschluß der "Alvensleben'schen Konvention" vom 8. Februar 1863. Er hatte den General Gustav von Alvensleben nach Petersburg entsandt, der die Konvention mit Rußland abschloß. Sie besagte, daß beide Mächte sich ihren gegenseitigen Besitzstand ga-rantierten und die polnischen Aufständischen auch auf dem Territorium des anderen Staates verfolgt werden durften. Die Polen hatten wieder einmal zum Aufstand gegen die russischen Besatzer in Kongreßpolen aufgerufen, der für Zar Alexander II. auch deswegen unangenehm war, weil gewisse liberale Elemente im russischen Offizierskorps mit den Aufständischen sympathisierten. Bismarck aber hatte sich mit der Alvensleben'schen Konvention Rückendeckung verschafft, die er brauchte, um sein deutsches Eini-gungswerk durchzuführen.

Die Entstehung eines starken Deutschen Reiches in der Mitte Europas nahm das Ausland mit einigem Mißtrauen auf. Bismarck wußte, das neugegründete Reich war das Äußerste, was dem Ausland "zugemutet" werden konnte. Er trieb deshalb nach 1871 eine ausgesprochene Friedenspolitik und lehnte jede weitere Ausdehnung Deutschlands ab. Diese Bemühungen haben auch alle europäischen Diplomaten anerkannt. Besonders zeigte sich das auf dem Berliner Kongreß 1878, als es der Staatskunst des Reichskanzlers gelang, einen möglichen Krieg zwischen den großen Mächten zu verhindern. Bismarck selbst empfand seine Schiedsrichterrolle als die eines "ehrlichen Maklers", der aber das Zusammengehen mit Rußland stets als Grundlage seiner Außenpolitik betrachtete. Kaiser Wilhelm I. hatte den pommerschen Landedelmann zum Fürsten erhoben und ihm die Besitzung Friedrichsruh dotiert.

Bismarcks Friedenspolitik zerstörte allerdings die polnischen Hoffnungen auf einen europäischen Zusammenstoß, wie ihn sich Polens größter Dichter Adam Mickiewicz (1798 - 1855) gewünscht hatte. Mickiewicz ließ in seinen Büchern seine Landsleute beten: "Um einen allgemeinen Krieg bitten wir Dich, O Herr!" Das Beten um einen Krieg sollte den Polen die langersehnte Freiheit nach jahrelanger Nichtexistenz ihres Staats bringen. Überall, wo polnische Emigranten im Ausland zu Einfluß kamen, halfen sie kräftig mit, den Zwiespalt unter den Nationen zu schüren.

Im Gegensatz zur erfolgreichen Außenpolitik ist die Innenpolitik des Reichskanzlers viel kritisiert worden. Der wichtigste innenpolitische Konflikt der siebziger Jahre bestand in der Auseinandersetzung mit der Katholischen Kirche. Der Streit, bekannt unter dem Namen "Kulturkampf", wurde ausgelöst durch die Schließung der "Katholischen Abteilung" im preußischen Kultusministerium. Diese schon 1841 eingerichtete Katholische Abteilung verdeutlichte das damalige Bemühen der preußischen Regierung, den polnischen kirchlichen Interessen Rechnung zu tragen. "Nach und nach entwickelte sich daraus, inmitten der preußischen Bürokratie, eine römische Behörde, die römische und polnische Interessen gegen Preußen vertrat", schreibt Bismarck in seinen "Gedanken und Erinnerungen". Man kann es der nationalbewußten polnischen Geistlichkeit nicht verdenken, wenn sie die Katholische Abteilung immer stärker zu einem Instrument der Polonisierung des gesamten Volksschulwesens in den Provinzen Posen und Westpreußen ausbaute. Zu Ortsschulinspektoren wurden polnische Priester ernannt, die auch deutschen katholischen Kindern den Religionsunterricht in polnischer Sprache erteilten. Den Eltern redete man ein, daß Polnisch und Katholisch dasselbe sei und gab Kindern rein deutscher Eltern polnische Vornamen. Nach Ausweis amtlicher Berichte sind Tausende von Deutschen und ganze Ortschaften, die in der vorigen Generation noch amtlich "deutsch" waren, infolge der Tätigkeit der Katholischen Abteilung polnisch erzogen und amtlich "Polen" geworden.

Bismarck konnte Wilhelm I. von der gefährlichen Wirkung der im preußischen Kultusministerium verankerten Abteilung überzeugen, 1871 erreichte er ihre Abschaffung. Inzwischen hatten die Kräfte des Katholizismus begonnen, sich auch politisch zu organisieren, um die Interessen der katholischen Bevölkerung im protestantisch geprägten Preußen-Deutschland zu vertreten. Mit der konfessionellen Zentrumspartei entstand dem Reichskanzler ein neuer Gegner, der sowohl im Reichstag wie auch im preußischen Abgeordnetenhaus mit der Polenfraktion zusammenarbeitete. Neben dem Mainzer Bischof Ketteler, der eine christliche Sozialpolitik forderte, trat als führender Kopf des Zentrums der ehemalige hannoversche Justizminister Windthorst hervor.

Mit der Verabschiedung des sogenannten "Kanzelparagraphen" wollte Bismarck den politischen Einfluß der Geistlichen auf gesetzlicher Grundlage unterbinden, wobei es ihm vor allem um die polnischen Gebiete Preußens ging. Das Schulaufsichtsgesetz aus dem Jahre 1872 unterstellte alle kommunalen und privaten Schulen in Preußen der staatlichen Aufsicht, um den Einfluß des Klerus auf die Jugenderziehung einzuschränken, während das Jesuitengesetz jede weitere Tätigkeit des Jesuitenordens auf deutschem Boden verbot. Eine Kabinettsorder betraf die Erteilung des Religionsunterrichts in deutscher Sprache an den höheren Schulen Posens und Westpreußens. Schließlich schrieben die "Maigesetze" den Theologen auch ein Studium in den Fächern Philosophie, Geschichte und deutsche Literatur mit staatlicher Abschlußprüfung vor; für die Besetzung geistlicher Ämter behielt sich der Staat ein Vetorecht vor. Außerdem führte man im Jahre 1874 die obligatorische Zivilehe ein, dieses preußische Gesetz wurde auch vom Reich unternommen. Bischöfe und Pfarrer, die den "Kanzelparagraphen" nicht befolgten, wurden strafrechtlich verfolgt.

Bismarck war zwar in konfessionellen Dingen tolerant, er weigerte sich allerdings, der katholischen Geistlichkeit ein Mitspracherecht in weltlichen Fragen zuzugestehen. Nach seiner Meinung klagte die römische Kirche immer dort über Verfolgung, wo sie nicht herrschen konnte. In der Provinz Posen mußte eine Anzahl Priester ins Gefängnis, sechs Klöster sowie die Priesterseminare in Posen und Gnesen wurden aufgelöst. Der Erzbischof Ledochowski von Gnesen-Posen, ein Jesuit, besaß noch bei seiner Einsetzung das Vertrauen Berlins. Er wies sogar die ihm unterstellte Geistlichkeit an, sich bei Wahlen nur für regierungstreue Kandidaten einzusetzen. Als er sich jedoch weigerte, die Kulturkampfgesetze anzuerkennen, verurteilte die Regierung ihn zu zwei Jahren Gefängnis und ein geistliches Gericht setzte ihn ab. 1876 wurde er ausgewiesen, und 1886 verzichtete er auf sein Erzbistum. Ledochowski ging nach Rom, wo er mit der Kardinalswürde bedacht wurde, der Gnesener Erzbischofstuhl blieb aber für längere Zeit unbesetzt.

Der immer schärfere Züge annehmende Konflikt beschränkte sich nicht auf die unmittelbar Betroffenen, er weitete sich zu einem weltanschaulichen Streit zwischen den auf Seiten Bismarcks stehenden Nationalliberalen und der katholischen Bewegung aus. In der Reichstagsdebat-

te vom Mai 1872, wo es um die deutsche Gesandtschaft beim Vatikan ging, formulierte der Kanzler dann jenen Satz, der zum geflügelten Wort wurde: "Nach Canossa gehen wir nicht - weder körperlich noch geistig!" Er spielte damit auf die Unterwerfung von König Heinrich IV. an, der im Januar 1077, im Büßergewand vor Papst Gregor VII. stehend, um Aufhebung des Kirchenbanns bat.

Bismarck führte den Kampf gegen die kirchlichen Institutionen mit einer ungewöhnlichen Leidenschaft, er sah in der Auseinandersetzung den uralten Gegensatz zwischen staatlicher Gewalt und priesterlicher Herrschaft. Letzten Endes mußte er erkennen, wie schwer es ist, mit gesetzgebenden Mitteln gegen eine Weltanschauung vorzugehen. Als "Reichsfeinde" hatte der Kanzler Parteien und Gruppen bezeichnet, die gegen ihn Stellung bezogen: Zentrum, Sozialdemokraten, Freisinnige, Elsässer, Welfen, Dänen und Polen. Mit der 1878 erfolgten Wahl des neuen Papstes Leo XIII. beruhigte sich der eigentlich unentschieden ausgegangene Kulturkampf. Zwar hatte das Zentrum eine bedeutende Stärkung erfahren und ein Teil der Maigesetze wurde wieder aufgehoben, es blieben aber die Bestimmungen über den Kanzelmißbrauch, die staatliche Schul-aufsicht, die Einführung der Zivilehe und das Verbot der Jesuiten.

In den Provinzen Posen und Westpreußen hatte der Kulturkampf eine nationalpolnische Prägung angenommen. Die polnische Bevölkerung, in allen ihren Schichten tief religiös, empfand die von Berlin getroffenen Maßnahmen als gegen sie gerichtete aggressive Handlungen. Eine Mehrheit der Polen ist bis heute davon überzeugt, daß es einen göttlichen Auftrag nicht nur an Einzelmenschen, sondern an eine ganze Nation gibt. Die Neigung, sich selbst zu einem auserwählten Volk zu stilisieren, wird von der Kirche eifrig gepflegt. Bismarcks Gegnerschaft richtete sich nicht gegen das polnische Volk als solchem, vielmehr erblickte er im Adel und in der Geistlichkeit den eigentlichen Widersacher. Beide waren als Träger des Wiederherstellungsgedankens Polens besonders gefährlich, weil sie über internationale Beziehungen höfischer, klerikaler und revolutionärer Art verfügten. Der Kanzler war kein Anhänger von Germanisierungsbestrebungen. Arbeiter und Bauern polnischer Nationalität waren in seinen Augen treue Untertanen und namentlich gute Soldaten des Königs von Preußen. "Sie haben ihre Treue auf dänischen und böhmischen Schlachtfeldern mit dem Blut besiegelt", sagte er einmal.

Während mit dem Wiederentstehen des Reiches das ökonomische Schwergewicht nach dem Westen rückte, geriet das Deutschtum im Osten in die Defensive. Bismarck griff daher einen Gedanken des Bromberger Regierungspräsidenten v. Tiedemann auf, den schlechten Zustand der polnischen Güter zu benutzen, um sie billig zur Schaffung von Domänen und Bauernstellen zu erwerben. 1886 genehmigte der preußische Landtag das Ansiedlungsgesetz, das 100 Millionen Mark für die Ansiedlung deutscher Bauern und Arbeiter in Posen und Westpreußen zur Verfügung stellte. 1894 wurde zur Förderung des Deutschtums der "Ostmarkenverein" gegründet. Bis zum Jahre 1912 sind 420.000 Hektar aufgekauft worden, davon 29 Prozent aus polnischen Händen, der Rest war deutscher Besitz. Von den 1,7 Millionen Einwohnern Westpreußens im Jahre 1910 waren 65 Prozent deutsch und 35 Prozent polnisch oder kaschubisch. In der Provinz Posen waren etwa zwei Drittel der Bevölkerung nichtdeutsch. Aufschlußreich für die Staatsgesinnung der preußischen Einwohner sind die Wahl- ergebnisse. Diese ergaben bei den Reichstagswahlen stets weniger polnische Stimmen, als nach der sprachlichen Zusammensetzung der Bevölkerung zu erwarten gewesen wäre.

Bismarcks Einsatz für das Deutschtum im Osten hatte Erfolg gehabt. Den Grundstein hierfür legte das enge Vertrauensverhältnis zwischen ihm und Kaiser Wilhelm I., der einmal geäußert hatte: "Es ist nicht leicht, unter einem solchen Kanzler Kaiser zu sein".

Otto v. Bismarck: Als preußischer Ministerpräsident und Reichskanzler machte er auch Polenpolitik. Bild: Archiv