19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
27.04.02 / Wie das Hoffmann-Haydnsche Lied die Deutschen auf dem Weg durch die Geschichte begleitete

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 27. April 2002


Gedanken zur Zeit: Einigkeit und Recht und Freiheit
Wie das Hoffmann-Haydnsche Lied die Deutschen auf dem Weg durch die Geschichte begleitete
von Wilfried Böhm

Vor genau 50 Jahren, am 29. April 1952, drängte Bundeskanzler Konrad Adenauer in einem Brief an den damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss diesen mit der "erneuten Bitte", "das Hoffmann-Haydnsche Lied als Nationalhymne anzuerkennen". Einleitend hatte Adenauer darauf hingewiesen, die Frage einer Nationalhymne sei "in den vergangenen zwei Jahren wiederholt zwischen uns besprochen worden".

In Deutschland herrschte seinerzeit eine Art von "Hymnennotstand". Hatten die Nationalsozialisten das Deutschlandlied auf seine erste Strophe verkürzt und zu einer Art Vorspann für ihr "Horst-Wessel-Lied" gemacht, so gab es in den ersten Nachkriegsjahren gar keine Nationalhymne, auch nicht nach der 1949 erfolgten Gründung der Bundesrepublik Deutschland.

Ressentiments gegen das Deutschlandlied hatten dazu geführt, daß man als "Ersatzhymne" Schillers "Freude schöner Götterfunken" oder das alte Turnerlied "Ich hab' mich ergeben" sang. Schließlich wurde bei Sportveranstaltungen der Karnevalsschlager "Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien" gespielt. Der Höhepunkt der Komik war erreicht, als alliierte Offiziere bei diesem Lied aufstanden und salutierten.

In der ihm eigenen Art versuchte Konrad Adenauer, vollendete Tatsachen zu schaffen. Am 18. April 1950 stimmte er nach einer großen Kundgebung in Berlin die dritte Strophe des Deutschlandliedes an. Er löste damit einen politischen Eklat aus, weil einige sozialdemokratische Politiker demonstrativ den Saal verließen, andere aber, wie Oberbürgermeister Ernst Reuter, Louise Schröder und Otto Suhr, im Saal blieben und mitsangen.

Ende April 1952 reagierte Theodor Heuss auf den Brief Adenauers sehr schnell. Schon drei Tage, nachdem ihn der Bundeskanzler geschrieben hatte, entsprach der Bundespräsident am 2. Mai dem Wunsch Konrad Adenauers, nicht ohne darauf hinzuweisen, daß er sich beim Versuch einer neuen "Symbolgebung" getäuscht habe. Hatte Heuss doch nach seiner Ansprache am Silvesterabend des Jahres 1950 über den Rundfunk eine neue Hymne erklingen lassen, deren Text Rudolf Alexander Schröder ("Land des Glaubens, deutsches Land, Land der Väter und der Erben") geschrieben hatte und der von Hermann Reutter vertont worden war.

Doch der von Heuss erwartete Widerhall im deutschen Volk war ausgeblieben. "Ich habe den Traditionalismus und sein Beharrungsvermögen unterschätzt", bekannte der Bundespräsident in seinem Antwortbrief an Konrad Adenauer.

Wiederum einige Tage später, am 6. Mai 1952, erklärte das Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, mit diesem Briefwechsel sei das Deutschlandlied "wieder als Nationalhymne anerkannt worden". Nach dem Wortlaut der Briefe sollten eindeutig alle drei Strophen des Deutschlandliedes die Hymne bilden. Doch Adenauer hatte seinen Brief mit der Formulierung beendet: "Bei staatlichen Anlässen soll die dritte Strophe gesungen werden."

Diese dritte Strophe hatte auch Reichspräsident Friedrich Ebert in den Mittelpunkt seiner Proklamation gestellt, mit der er am dritten Verfassungstag der Weimarer Republik, am 22. August 1922, das Deutschlandlied zur Nationalhymne erklärt hatte. Im voraufgegangenen Kaiserreich war die Hymne "Heil Dir im Siegerkranz" bei offiziellen Anlässen gesungen worden, nicht als Nationalhymne, sondern - dem Charakter des Staates entsprechend - als Kaiserhymne.

Vor dem ersten Weltkrieg war das "Lied der Deutschen" als patriotisches Volkslied bekannt. Im Ersten Weltkrieg hieß es im Heeresbericht vom 11. November 1914: "Westlich Langemarck brachen junge Regimenter unter dem Gesang ‚Deutschland, Deutschland über alles' gegen die erste Linie der feindlichen Stellung vor und nahmen sie."

Nach dem Ende des Krieges nannte der zum Präsidenten der Weimarer Nationalversammlung gewählte Zentrumspolitiker Konstantin Fehrenbach das Lied einen Ausdruck "der Verehrung für das Land unserer Väter". Nach seiner Ansprache erhoben sich alle Parlamentarier von ihren Plätzen und sangen "Deutschland, Deutschland über alles".

1922 knüpfte Friedrich Ebert wieder an die schwarzrotgoldenen Traditionen der Revolution von 1948 und an Hoffmann von Fallersleben an. Wörtlich erklärte Ebert in seiner Proklamation: "Einigkeit und Recht und Freiheit! Dieser Dreiklang aus dem Liede des Dichters gab in Zeiten innerer Zersplitterung und Unterdrückung der Sehnsucht aller Deutschen Ausdruck; er soll auch jetzt unseren harten Weg zu einer besseren Zukunft beglei- ten ..."

Auch nach dem zweiten Weltkrieg waren "Einigkeit und Recht und Freiheit" Ausdruck des Wollens der großen Mehrheit der Deutschen. Ein Jahr, nachdem das Deutschlandlied in der westlichen Bundesrepublik Deutschland als Nationalhymne anerkannt worden war, erklang "Einigkeit und Recht und Freiheit" auch beim Volksaufstand in Ostberlin und anderen Städten der DDR.

Ebenso gibt es ergreifende Schilderungen von ehemaligen Kriegsgefangenen, die in sibirischen Lagern das Deutschlandlied sangen. Von Arbeitskommandos politischer Gefangener, die hin und wieder zu Rundfunkübertragungen von Fußballspielen geschickt wurden, in denen die Mannschaft der Bundesrepublik Deutschland spielte, wurde berichtet, daß Häftlinge beim Erklingen des Deutschlandliedes von ihren Plätzen aufstanden und bis zum Ende der Hymne stehenblieben.

Im Westen Deutschlands allerdings hörte man das Deutschlandlied immer seltener. Im Alltag der Bürger spielte es ebenso wenig eine Rolle wie im öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk und Fernsehen. Gerhard Löwenthal (ZDF-Magazin) bildete die rühmliche Ausnahme. Bürgerinitiativen, die anstrebten, der Nationalhymne in Deutschland den Platz zu verschaffen, der in anderen Demokratien selbstverständlich ist, fanden außer beim Bundespräsidenten Karl Carstens so gut wie keine staatliche Unterstützung und Umsetzung. Einige Bundesländer schlugen zwar hin und wieder mit den Flügeln, aber eine kontinuierliche politische Bildungsarbeit zur Erläuterung und Popularisierung staatlicher Symbole besonders in den Schulen fand nicht statt. Wenn die Nationalhymne überhaupt im Unterricht auftauchte, dann wurde sie "kritisch hinterfragt."

Als am 9. November 1989 die friedliche Revolution die Öffnung der kommunistischen Mauer erzwang und die Nachricht davon den Deutschen Bundestag in Bonn erreichte, erhoben sich die Abgeordneten spontan - zunächst in den hinteren Reihen der rechten Seite des Hauses - und stimmten "Einigkeit und Recht und Freiheit" an. Doch nach einigen Monaten verschwand zusammen mit den von Hammer und Zirkel befreiten schwarzrot-goldenen Fahnen auch die Nationalhymne wieder in der Rumpelkammer. "Von Staats wegen" wurde die Reise ins Blaue mit dem Griff nach den goldenen Sternen Europas bevorzugt. Als angeblich größte Gefahr erschien den von der Selbstbefreiung der Deutschen zwischen Rügen und Thüringer Wald völlig überraschten westdeutschen Politikern die "Renationalisierung" Deutschlands. Der mit der Ausgestaltung der staatlichen Einheit Deutschlands befaßte führende CDU-Politiker Wolfgang Schäuble erklärte: "Wir haben absichtlich darauf verzichtet, das nationale Pathos anzusprechen. Das wäre für uns und unsere Partner nicht gut gewesen ..." Die bescheidene Rolle, die den staatlichen Symbolen bisher in der (westdeutschen) Bundesrepublik zugekommen war, wurde nun auf das wiedervereinigte Deutschland übertragen. Für alle anderen europäischen Staaten hingegen sind Fahne, Hymne und das mit ihnen verbundene legitime Pathos selbstverständlicher Ausdruck demokratischen Staatsbewußtseins. Das wiederum bringt immerhin mit sich, daß Deutschland nicht als einziges Land offiziell auf dessen Insignien verzichten kann. So wird denn, auch am Schluß von Parteitagen, die Nationalhymne eher wie eine Pflichtübung gesungen. Auch die Medien in Deutschland befleißigen sich, bei internationalen Siegerehrungen für deutsche Sportler die Hymne so schnell wie irgend möglich auszublenden.

1991 nach der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands hatte sich ein erneuter Briefwechsel zwischen Bundeskanzler und Bundespräsident auf die Briefe des Jahres 1952 bezogen. Dabei stellte Bundespräsident von Weizsäcker am 19. August 1991 fest, die dritte Strophe des Liedes habe "sich als Symbol bewährt". Sie werde im "In- und Ausland gespielt, gesungen und geachtet" und sie sei "die Nationalhymne für das deutsche Volk". Bundeskanzler Kohl antwortete am 23. August: "Der Wille der Deutschen zu Einheit und freier Selbstbestimmung ist die zentrale Aussage der dritten Strophe des Deutschlandliedes. Deshalb stimme ich Ihnen namens der Bun-desregierung zu, daß sie Nationalhymne der Bun-desrepublik Deutschland ist". Durch diesen Text wurde ausdrücklich nur die dritte Strophe zur deutschen Nationalhymne. Allerdings trägt dieser Briefwechsel im Bulletin vom 27. August 1991 die Überschrift "Das Deutschlandlied ist Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland".

Das Lied von Hoffmann von Fallersleben begleitet unser Volk seit 150 Jahren durch alle Höhen und Tiefen seiner Geschichte. Es wäre zu wünschen, daß der nunmehr 50 Jahre zurückliegende Briefwechsel von Heuss und Adenauer Anlaß für ein Bekenntnis zur deutschen Nationalhymne wird. Damals schrieb die "Frankfurter Allgemeine", Symbole seien stark und "Nationalhymnen mehr als ein dunkler Anzug, den man zu gesellschaftlichen Veranstaltungen im Ausland oder bei inländischen Festen anlegt." Wir Deutschen können unsere Nationalhymne guten Gewissens vorweisen. Sie hält auch angesichts der Texte anderer Nationalhymnen kritischen Blicken und Betrachtungen stand. Darum sollten wir ja sagen zu unserer Hymne, denn damit sagen wir ja zu uns selbst, zu unserem demokratischen Staat und zur europäischen Normalität.

 

Das Lied der Deutschen: Den Text schrieb Hoffmann von Fallersleben am 26. August 1841 auf Helgoland. ("Wenn ich dann so einsam wandelte auf der Klippe, nichts als Meer und Himmel um mich sah, da ward mir so eigen zumute, ich mußte dichten ...") Die Melodie war zu diesem Zeitpunkt schon 44 Jahre alt; Joseph Haydn hatte sie 1797 niedergeschrieben - als österreichische Kaiserhymne mit dem Titel "Gott erhalte Franz den Kaiser". Abbildungen: Hessisches Kultusministerium / Österreichische Nationalbibliothek

Historischer Briefwechsel: Konrad Adenauer legte 1952 in einem Schreiben an Theodor Heuss das Deutschlandlied als Nationalhymne fest.