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27.04.02 / Balkan: Srebrenica - kein Einzelfall

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 27. April 2002


Balkan: Srebrenica - kein Einzelfall
R. G. Kerschhofer über Europas unbewältigte Mitvergangenheit

Eine niederländische Kommission veröffentlicht ihren Bericht, und die Regierung tritt zurück - ist doch recht anständig, oder? Wenn das Untersuchte fast sieben Jahre zurückliegt, kann man allerdings fragen: Warum erst jetzt? Oder auch: Warum gerade jetzt? Oder: Warum überhaupt? Denn was sich im Juli 1995 vor den Augen der Weltöffentlichkeit abgespielt hatte, war ohnehin sonnenklar. Und zu Massakern kommt es trotzdem immer wieder, sogar dieser Tage.

Warum erst jetzt? Die niederländische Regierung unter dem Sozialisten Wim Kok ist seit 1994 im Amt, und man hätte daher auch ohne Nachhilfe durch eine gewiß nicht unterdotierte Kommission zurücktreten können. Aber Parteidisziplin verlangt eben Sesselkleben, und Experten, denen es nur um Wahrheitsfindung geht, nicht um Materialbeschaffung für Opferanwälte, arbeiten etwas langsamer. Und gewiß waren die Verantwortlichen selber sich ihres damaligen Fehlverhaltens weniger stark bewußt, saßen sie doch im selben Boot mit Leuten, denen neben Versagen sogar Vorsatz anzulasten ist.

Warum aber gerade jetzt? Nun, Genosse Zufall ist nicht immer linientreu, und da kann es passieren, daß er die weniger zufälligen Genossen in Bedrängnis bringt - vor allem, wenn er sich höheren Interessen beugen muß. Man sollte nämlich nie übersehen, daß das Weltgewissen funktioniert wie das Kurzzeitgedächtnis. Man muß daher nur ein paar alte Verbrechen hineinstopfen - es können sogar immer wieder die gleichen sein -, und prompt fallen die aktuellen in den Papierkorb. So lassen sich kleine Unachtsamkeiten, die bei Zensur, Propaganda oder Leichenbeseitigung passieren, meist wieder ausbügeln. Wir werden daher in nächster Zeit verstärkt mit Material gefüttert werden, über das wir uns ausgiebig entrüsten können. Muß ja nicht einmal etwas Historisches sein: Auch die "Umwelt" ist stets brauchbar. Oder auf lokaler Ebene Porno-Affären oder Finanz-Skandale. Die Wehrmachtsausstellung nicht zu vergessen. Und vielleicht gibt es noch ein paar Uralt-Nazis als strategische Reserve, damit man zum richtigen Zeitpunkt einen Schauprozeß machen kann.

Apropos Schauprozeß: Es hätte gute Gründe gegeben, den holländischen Endbericht bis nach dem Urteil über Milosevic hinauszuzögern. Entsprechende "Anregungen" sind zwar (noch) nicht durchgesickert, aber zur Sicherheit wurde der anfängliche Medien-Rummel um den Prozeß durch weitgehendes Totschweigen abgelöst: Milosevic hatte sich nämlich vor dem Bildschirm viel zu erfolgreich in Szene gesetzt, und in manchen Staatskanzleien herrscht großes Zähneklappern, daß er "auspacken" könnte. Tatsächlich ist dies seine strategische Reserve, und genau darum muß der Prozeß möglichst lange dauern, so daß keiner mehr zuhört und vielleicht ein Herzversagen das Risiko endgültig aus der Welt schafft.

Fest steht, daß die blauäugigen Blauhelme, diese in Kannabis-geschwängerten Multi-Kulti-Illusionen aufgezogenen holländischen Soldaten, am Balkan fehlplaziert waren - aber ihre Schuld ist das nicht! Statt die Schuld von Einzelpersonen überzubewerten, sollte man vielmehr schonungslos aufzeigen, warum sich Milosevic bis 1995 nahezu alles und danach immer noch ziemlich viel erlauben konnte: Es lag daran, daß er sich der Rückendeckung durch zahlreiche Staaten sicher sein durfte.

Da war und ist die "Internationale" aller Mächte, die andere Völker unterdrücken und daher Grenzänderungen ablehnen, damit nur ja nicht Gleiches mit Gleichem im gleichen Staat vereinigt wird. Da waren die "sozialistischen Bruderländer" - und zwar nicht nur als Embargo-Brecher. (Daß etwa ein bestimmter Trakt der chinesichen Botschaft in Belgrad von US-Bomben getroffen wurde, war kein "bedauerlicher Irrtum", sondern schaltete dem Milosevic-Regime dienenende "Einrichtungen" aus.) Da waren die Sozialisten und Gewerkschafter Westeuropas, die jahrzehntelang bei "Freundschaftsbesuchen" Fellpflege mit titoistischen Apparatschiks betrieben hatten. Und da war der fortlebende Geist der Entente! Zuweilen wirkten gleich mehrere Faktoren zusammen, wie etwa in der Regierung von François Mitterrand, der den Mauerfall nicht verhindern konnte und sich dafür anderweitig zu rächen suchte. (Vgl. dazu Folge 29/2001 - "Haltet den Dieb!")

Wird sich etwas ändern, wenn ab Juli ein neues internationales Strafgericht seine Tätigkeit aufnehmen darf? Nun, was vor Juli geschah, fällt nicht in seine Kompetenz, und jene Groß- und Kleinstaaten, die über das größte Vernichtungsarsenal verfügen, sind der neuen Konvention vorsorglich gar nicht beigetreten! So werden auch künftig Schafe über Schafe richten und die Wölfe ungeschoren lassen. Und so wie Taten, die einst durch Kriegsrecht und Konventionen gedeckt waren, rückwirkend zu unverjährbaren Kriegsverbrechen gemacht wurden, bleibt dafür gesorgt, daß manches neue Kriegsverbrechen schon verjährt ist, ehe es begangen wird.