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04.05.02 / Warum? - Deutschland nach der Tat von Erfurt

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 04. Mai 2002


Hans-Jürgen Mahlitz:
Warum? - Deutschland nach der Tat von Erfurt

Als Christa Meves, diese kluge und mutige Mahnerin in Sachen Jugend und Familie, mir das Manuskript für den Beitrag sandte, der auf Seite 24 dieser Folge beginnt, konnten wir beide nicht ahnen, auf welch schreckliche Weise die Aktualität dieses Textes unterstrichen werden sollte. Seit über drei Jahrzehnten warnt die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin vor den Folgen der 68er-Kulturrevolution, nicht auf der Basis abstrakter Theorien, sondern gestützt auf die bitteren Erfahrungen in ihrer Praxis. Oft wurde sie als "ewiggestrig", altmodisch, weltfremd belächelt oder beschimpft. Daß sie weitgehend recht hat, zeigt die Bluttat von Erfurt.

Politiker aller Parteien rückten in gemeinsamer Trauer und Fassungslosigkeit enger zusammen (als ob es eines solch schrecklichen Anlasses bedürfte, um endlich einmal wieder glaubwürdige Politiker zu erleben!). Eine Frage bewegt das ganze Volk: Warum?

Warum staut sich in einem jungen Menschen so viel Haß und Zerstörungswut auf? Warum kann ein junger Mensch so ungehindert Zugang zu gefährlichen Waffen haben? Warum hindert niemand junge Menschen daran, sich mit Gewaltvideos und Computerspielen in einen solchen Blutrausch zu versetzen? Warum hat niemand diese Tat verhindern können?

Doch hüten wir uns vor vorschnellen Antworten, vor Patentrezepten, vor Verallgemeinerungen! Der Amoklauf von Erfurt ist der traurige - und, wie ich fürchte, nur vorläufige - Gipfelpunkt einer jahrzehntelangen gesellschaftlichen Fehlentwicklung. Wer da meint, mit der Ursachenforschung schon nach wenigen Stunden fertig zu sein, macht es sich entschieden zu leicht.

Es kann jetzt zunächst einmal nur darum gehen, einige Eckpunkte aufzuzeigen, die in der Gesamtproblematik von Belang sind. Welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, von den Politikern, aber auch von jedem einzelnen, muß dann gründlich bedacht werden.

Die Autoren, die in dieser Ausgabe zum Thema Erfurt zu Wort kommen, sind ausgewiesene Fachleute: die eine als langjährig tätige Beraterin und Betreuerin seelisch kranker oder gefährdeter Heranwachsender, der andere als wahrhaft glücklicher Familienvater mit zehn Kindern.

Nur zwei Eckpunkte sollen an dieser Stelle besonders hervorgehoben werden. Zum einen ist es mit Sicherheit zutreffend, daß die seit den 60er Jahren systematisch betriebene Wertezerstörung überhaupt erst die Voraussetzungen geschaffen hat, unter denen solche Täter heranreifen können: Jugendliche, die von klein auf keinen Halt in der Familie finden, die nicht liebevoll betreut, sondern viel zu früh in Kinderkrippen, Kindergärten oder sonstige Betreuungseinrichtungen abgeschoben werden. Natürlich wird nicht jedes Kind, dem ein solches Schicksal widerfährt, "automatisch" zum Verbrecher; aber langfristig wird hier der Boden der Gewaltbereitschaft vorbereitet.

Zum anderen ist es genauso schlimm, wenn Kinder vor die Mattscheibe abgeschoben werden. Unabhängig vom Inhalt der Programme kann allein schon die Tatsache, daß solche "Fernseh-Kinder" kaum noch fähig sind, zwischen TV-Scheinwelt und wirklichem Leben zu unterscheiden, zu gefährlichen Verhaltensweisen führen.

Auf einer Expertentagung zum Thema "Gewalt" hörte ich kürzlich folgende schier unglaubliche Zahl: Bis zum Erreichen der Volljährigkeit hat ein Heranwachsender bei durch- schnittlichem Fernsehkonsum etwa 12.000 (in Worten: zwölftausend!) getötete Menschen gesehen, wobei Nachrichtensendungen mit Kriegs- und Katastrophenberichten ausdrücklich nicht mitgezählt sind. Daß dies entscheidend zur Verharmlosung von Mord, Totschlag und Gewalt beiträgt, kann überhaupt nicht bezweifelt werden.

Doch so unbestreitbar es auch ist, daß unsere Gesellschaft und insbesondere die Jugend ungeheuren Gefährdungen - zum Beispiel durch Fernsehen, Video- und Computerspiele, Internet, aggressive Musik, Alkohol und Drogen - ausgesetzt ist, so muß doch auch festgehalten werden: Das alles ist wichtig und will wohl bedacht sein, um ein weiteres Anwachsen der Gewalt zu verhindern. Eine Entschuldigung oder gar Quasi-Rechtfertigung aber darf daraus nicht folgen. und vielleicht werden wir ja auch mit den Tätern besser fertig, wenn wir wieder mehr an die Opfer denken.