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11.05.02 / Waffengesetz: Die Falschen im Visier

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 11. Mai 2002


Waffengesetz: Die Falschen im Visier
Eberhard Wenzel über die Konsequenzen aus der Erfurter Bluttat

In der Woche drei nach Erfurt konzentrierte sich die öffentliche Diskussion um Konsequenzen aus der Bluttat eines 19jährigen Schülers im wesentlichen auf die Forderung, das deutsche Waffenrecht weiter zu verschärfen. Es ist gewiß keine Mißachtung der Opfer, wenn Besonnene darauf hinweisen, daß die Kriminalstatistik keinesfalls die Begründung dafür liefert, rund vier Millionen meist gesetzestreue Bürgerinnen und Bürger erneut zu politischer Manövriermasse zu degradieren. Legal erworbene Schußwaffen spielen nur zu einem verschwindend geringen Teil bei kriminellen Taten eine Rolle. Das ist keine Entwarnung, legt aber die Vermutung nahe, daß die Forderung nach Verschärfung des Waffengesetzes auch nur Ausdruck von Hilflosigkeit ist. Und obendrein die Falschen trifft.

Seit den 70er Jahren werden alle legalen Schußwaffen in Deutschland behördlich regi-striert. Die sogenannten Berechtigten - das sind Sportschützen, Jäger, Reservisten, Sammler, Sicherheitsdienste und andere - erhalten seither eine Waffenbesitzkarte (WBK), in die alle erworbenen Gewehre, Pistolen und Revolver ab einer gewissen Leistungsgrenze einzutragen sind. Sie ist aber kein Waffenschein, sondern nur Beleg darüber, daß ihr Halter die tatsächliche Gewalt über die eingetragenen Waffen ausüben darf. Erst eine bestandene Sachkundeprüfung gestattet ihm, die Waffen unter strengen Auflagen zu führen, auf dem Schießstand etwa oder auf der Jagd.

So wissen die Behörden recht sicher, daß es bundesweit rund vier Millionen "zuverlässige Bürgerinnen und Bürger (gibt), die im Rahmen geltenden Rechts und staatlich überprüft, also ganz legal, Waffen unterschiedlichster Art besitzen" (Horst Engel, innenpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen). Auf diese Berechtigten sind rund zehn Millionen Waffen zugelassen.

Eine vordergründig erschrekkend hohe Zahl, die gerade in den zurückliegenden Tagen Kommentatoren auch schon mal zu Vokabeln aus der Zeit des Klassenkampfes greifen ließ: Die private Verfügung über Waffen, so verstieg sich eine Autorin der Frankfurter Rundschau, "ist kein Ausweis bürgerlicher Freiheit, sondern ein Relikt aus vordemokratischer Zeit. Der freie Bürger bedarf der Waffen nicht".

Da wäre allein in unseren Wäldern und Fluren der Teufel los, könnten die 360.000 Jäger in Deutschland nicht mehr regulierend in Wildbestände eingreifen. Und die gut 2,5 Millionen Schützen etwa, viele davon im jugendlichen Alter, hätten sicher wenig Gefallen an Alternativen wie Kaninchenzucht oder Briefmarkensammeln, zumal der weitaus größte Anteil das Schießen mit Luftdruck- und Kleinkaliberwaffen pflegt. Das weltbekannte Schützenfest in Hannover gäbe es ebensowenig wie den Olympia-Kader.

So weit kommt es wohl auch nicht. Wenn politische Entscheidungsträger nicht völlig ignorant sind, werden sie sich dem Urteil maßgeblicher Sicherheitsexperten nicht verschließen können. Die haben, wie Wolfgang Dicke von der Gewerkschaft der Polizei (GdP), schon den Entwurf des neuen Waffengesetzes als Lachnummer bezeichnet - nicht wegen etwaiger Lücken, sondern weil "der private Waffenbesitz aus polizeilicher Sicht überhaupt nicht das Problem" ist. Die illegal umlaufenden Schußwaffen sind es, deren Gesamtzahl auf rund das Dreifache dessen geschätzt wird, was legal in privaten Safes steht. Insbesondere seit die europäischen Ostgrenzen durchlässig wurden, sind in der "Szene" Makarovs und Kalaschnikows für eine Handvoll Euro zu bekommen. Diesen kriminellen Sumpf aber können keine noch so strengen Gesetze trockenlegen.

In Zahlen, die das Bundeskriminalamt (BKA) regelmäßig veröffentlicht, heißt das: Im Jahr 2000 (die Daten für 2001 liegen noch nicht vor) betrug bei Straftaten unter Verwendung von Schußwaffen der Anteil erlaubnispflichtiger legaler Waffen 3,4 Prozent. Bezogen auf alle im Jahr 2000 begangenen Straftaten wurden in nur 0,013 Prozent aller Fälle legale Schußwaffen verwendet.

In 2001 wurden 48 Sport-, 57 Jagd- und fünf Sammlerwaffen gestohlen - und nicht "jährlich ca. 6.000", wie Bundestags-Informationen immer wieder behaupten. Fakt ist auch, daß nur 60 von zehn Millionen in legalem Besitz befindliche Waffen bei Straftaten eine Rolle spielten, und zwar meist bei Beziehungstaten, die kein Gesetz der Welt verhindern kann.

Trotzdem haben sich Beamte diverser Ministerien, die nach eigenem Eingeständnis oft wenig bis gar keine Sachkenntnis mitbringen, in jahrelanger Arbeit darangemacht, in das Waffengesetz von 1972 neue Fallstricke einzuarbeiten. Nach unzähligen Anhörungen in diversen Ausschüssen, nach Beratungen mit betroffenen Verbänden, nach deutlichen Mahnungen zum Schutz privaten Eigentums durch so unterschiedliche Autoritäten wie den ehemaligen Leiter des Goethe-Instituts, Professor Hilmar Hofmann, und die Schießsportgruppe des Bundesrechnungshofes, nach kritischen bis ablehnenden Stellungnahmen ganzer Landtagsfraktionen gewann der mehrfach nach- und ausgebesserte Entwurf Gestalt: Am 26. April beschloß der Bundestag in zweiter und dritter Lesung das neue Waffengesetz.

Am 26. April auch ermordete der 19jährige Schüler Robert Steinhäuser in Thüringen 16 Menschen und tötete sich selbst. Seither versucht sich die veröffentlichte Meinung an der Frage, ob die Tat unter einem schärferen Waffengesetz ebenso möglich gewesen wäre. Derlei Untaten könnten in einem Land mit einem der restriktivsten Waffengesetze der Welt, befanden etwa der britische Daily Telegraph und die New York Times nach Erfurt, auch durch noch strengere Bestimmungen wohl nicht verhindert werden.

Leider wahr. Die kriminelle Energie des jungen Mannes, mit der er die Tat offenbar wochenlang geplant hatte, ließ ihn Schlupfwinkel erkennen - und nutzen. Wie es scheint, kommen noch einige Abteilungen Thüringer Behörden in arge Bedrängnis. Nach Informationen, die der Redaktion von Das Ostpreußenblatt/Preußische Allgemeine Zeitung vorliegen, war dem Schützen von einem der Vereine, in denen er Mitglied war, das Bedürfnis für eine Flinte bestätigt worden. Flinten sind gewöhnlich ein- oder zweiläufige Langwaffen, aus denen Schrot verschossen wird.

Das Merkwürdige: Das Schießen mit einer solchen Waffe war in dem Club gar nicht möglich. Der Verantwortliche war deshalb nach eigenen Aussagen davon ausgegangen, daß Steinhäuser die Waffe zum Training in einem anderen Verein nutzen würde, fand die Fachzeitschrift Visier heraus.

Mit dem eingetragenen Bedürfnis-Nachweis kaufte der 19jährige dann legal die "Pumpgun". Diese Vokabel wird von den Medien offenbar ganz bewußt wegen des martialischen Klangs verwendet. Eine Pumpgun ist eine einläufige Flinte, mit deren Vorderschaft sich die Schrotpatronen einzeln repetieren lassen. Die Waffe gehört in den USA zur Standardausrüstung diverser Polizeien.

In die Hände eines 19jährigen Schülers dürfte sie gleichwohl - wenn überhaupt - nur unter Fachaufsicht gehören. Die kann nur auf wenigen zugelassenen Schießstätten geführt werden. Aber es gibt sie, wachsweich allerdings definiert unter Punkt 3.0.2.2 der Sportordnung des Deutschen Schützenbundes (DSB). Damit dürfen Schützenvereine das Bedürfnis an Flinten allgemein bestätigen - eben auch an solchen.

Der junge Mann indes schien unangenehme Fragen zu ahnen und ließ sich den Kauf nicht, wie es das Gesetz vorschreibt, binnen 14 Tagen von der zuständigen Behörde abstempeln. Wenigstens einer Dienststelle hätte das auffallen und sie hätte nachhaken müssen, nachdem auch Händler über ihre Waffenhandelsbücher zur Weitergabe von Informationen verpflichtet sind.

Das Entscheidende allerdings: Der Täter hatte die Pumpgun zwar dabei, hat aber nicht mit ihr geschossen. Seine Opfer tötete er mit einer Pistole, die er ebenso legal, als Mitglied eines Schützenvereins, erwerben konnte. Die Munition für diese halbautomatische Waffe im Kaliber neun Millimeter, angeblich rund 500 Schuß, hatte er sich über einen gewissen Zeitraum zusammengekauft. Auch zu diesem Erwerb berechtigte ihn seine Waffenbesitzkarte.

Von den legalen Facetten der Tragödie irritiert, fand Innenminister Schily breite Zustimmung für sein Vorhaben, das Waffengesetz entsprechend zu erweitern und den Menschen erst ab 21 Jahren für reif genug zu erklären, großkalibrige Schußwaffen zu erwerben. Ein akzeptabler Vorschlag? Kritiker erinnern daran, daß die Gruppe der 18- bis 21jährigen, die hier in Verdacht geraten sei, andererseits sehr wohl den Umgang mit größerem Kaliber trainiert: bei Bundeswehr, Polizei, Bundesgrenzschutz. Mit der Option, die Waffe notfalls gegen Menschen erheben zu müssen.

Das Verbrechen von Erfurt war, bei aller Tragik des Geschehens, bei tiefstem Mitgefühl für die Opfer, ein Einzelfall. Er war möglich durch eine Verkettung von Ausnahmen. Er taugt nicht zu spektakulären Reaktionen. Was unser Land braucht, sind nicht schon wieder verschärfte Gesetze. Was wir allerdings brauchen, ist die Bereitschaft der Exekutive und der Justiz, bestehende Gesetze auch konsequent anzuwenden und durchzusetzen. Und standfeste Politiker, die nicht aus Populismus das Ende jeglicher Demokratie heraufbeschwören, wenn wirklich einmal - wie in München oder seit der letzten Wahl in Hamburg - hart gegen Kriminalität und Kriminelle vorgegangen wird.

Auch noch so scharfe Gesetze und Verordnungen aber können Harmonieprobleme und Erziehungsdefizite in der Familie nicht kompensieren. Kinder und Jugendliche brauchen nicht noch mehr Freiräume, sie brauchen klare und engere Grenzen. Und Eltern, die solche Grenzen aufstellen dürfen, ohne gleich Besuch vom Jugendamt zu bekommen. Hier liegt der wahre Nachholbedarf einer den Realitäten offenbar längst entrückten "Sozial"-Politik. In diesem Sinne darf Erfurt als Chance verstanden werden.