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11.05.02 / Geheimnis geplatzt

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 11. Mai 2002


Geheimnis geplatzt
Von Hannelore Patzelt-Hennig

Es war noch ziemlich früh, als Kurtchen zu seiner Kusine Erika herübergelaufen kam. Sie wohnten nicht weit voneinander entfernt, deshalb wuchsen sie sozusagen zusammen auf. Sie waren meistens bei den Großeltern, bei denen Erika lebte. Kurtchen fand Erika beim Erbsenpulen. Sie tat gern mit, wenn die Großmutter Arbeiten verrichtete, bei denen sie helfen durfte. Die Erbsen, die sie aus den Schoten streifte, verschwanden meistens in ihrem kleinen Mund.

Kurtchen sagte brav "Guten Morgen!", fragte die Kusine dann aber gleich, ob sie mal mit herauskommen dürfe. Er müsse ihr etwas erzählen.

"Kannst das nich hier?" wollte die Großmutter wissen. Kurtchen schüttelte den Kopf. "Das ist ein Geheimnis!" Bei dem Wort Geheimnis ließ Erika sofort die Schoten Schoten sein, und - wupp, waren die beiden zur Tür hinaus. Sie begaben sich zu ihrem Lieblingsplatz, der hinter der Scheune, nahe dem Roßwerk lag. Hier fühlten sie sich besonders in Fällen von Geheimem immer weit genug vom Haus entfernt. Erika setzte sich ins Gras. Kurtchen kniete sich neben ihr nieder. "Nu erzähl!" forderte Erika ihn gespannt zur Preisgabe des Geheimnisses auf.

"Paß auf! Du weißt doch, daß bei euch Sonntag Besuch kommt, nich?" - "Ja! Ein Fremder! Tante Rosemarie scheuert deshalb all die Stubendielen." - "Siehst!" - "Na und?" - "Das sag ich dir ins Ohr." Erika hielt es hin. Und Kurtchen verriet ihr nun, worum es sich handelte. Er hatte nämlich ein Gespräch zwischen seiner Mama und der Nachbarin, Frau Milkereit, belauscht, aus dem hervorging, daß die Tante Rosemarie und der Mann, der erwartet wurde, zusammen verkuppelt werden sollten. So drückte er sich aus. "Und meine Mama kriegt dann, wenn es klappt, einen Pelz!" schloß Kurtchen seine Ausführungen. "Und warum?" wollte Erika wissen. "Ich glaube, daß sie das Kuppeln ausgehandelt hat." - "Das Zusammenkuppeln?" - "Ja! Aber sie kriegt ihn bloß, wenn die beiden heiraten." - "Hat deine Mama das gesagt?"

"Nei, die Frau Milkereit. Die sagte zu meiner Mama so: Na, Frau Urbschat, wenn die beiden heiraten sollten, denn haben Sie allemal e Kuppelpelz verdient! - Und meine Mama sagte: Den laß ich mir auch nicht entgehn! Dann lachten die beiden und vereinbarten Stillschweigen. Und deshalb dürfen wir auch nuscht verraten."

Erika verfiel eine Weile ins Sinnieren. Dann wurde sie ganz traurig. "Wenn die Tante Rosemarie den Mann heiratet, zieht sie dann nich weg?"

"Das wird sie wohl!" sagte Kurtchen mit einer Stimme, aus der eindeutig darauf zu schließen war, daß er sich das auch nicht wünschte. Nun hielt Erika nichts mehr. Sie sprang auf und lief in die Küche, wo sie die Großmutter wußte. Dann aber kehrte sie um, stürmte in die gute Stube und fiel der Tante Rosi um den Hals. Schluchzend flehte sie: "Heirat den Mann nich, der morgen kommt! Ich will nicht, daß du wegziehst!"

Rosemarie fühlte ihr von der Arbeit erhitztes Gesicht noch glühender werden. "Was redest du da?" fragte sie entgeistert. "Kurt hat gesagt, du willst den Mann, der morgen kommt, heiraten, und dann bekommt Kurts Mama einen Pelz und du ziehst weg!"

Ohne ein Wort dazu zu sagen, machte Rosemarie sich von der Umarmung des Kindes frei, ließ es stehen und war so schnell wie nie zuvor bei der Schwägerin. Von der Auseinandersetzung, zu der es zwischen den beiden Frauen gekommen sein wird, erfuhren die Kinder allerdings nichts. Sie fanden sich jetzt nacheinander bei der Großmutter in der Küche ein. Und der fiel gleich auf, wie verstört sie waren. Sie fragte, was los sei. Da machte Erika ihrem kleinen Herzen zum zweiten Mal Luft. Aber die Oma wußte sie zu trösten. Sie sagte: "Sei man beruhigt, Kind! So schnell wird die Tante Rosi nicht heiraten. Erst werden die beiden sich verloben. Und der Mann, den sie heiraten will, ist Soldat wie dein Papa und Kurtchens Papa auch. Bis der aus dem Krieg kommt, wird es noch längere Zeit dauern. Und bis dahin wird die Tante Rosi sicher noch bei uns wohnen bleiben!"

Was die Großmutter Erika auseinandersetzte, erleichterte ihr kleines Herz. Aber befreit durchatmen konnte sie trotzdem noch nicht, denn noch bevor die Oma den letzten Satz ganz beendet hatte, flüsterte Kurtchen ihr ins Ohr: "Ich verrat dir nie wieder ein Geheimnis!" Das nahm sie ernst. Stumm wandte sie sich wieder den Erbsen zu. Und Kurtchen tat es ihr gleich.

Die Tante Rosi verlobte sich dann auch bald darauf. Aber geheiratet hat sie nie. Ihr Bräutigam fiel bei Stalingrad. Und da, wo sie wohnten, konnten sie alle nicht mehr lange bleiben. Alle gingen sie zusammen auf die Flucht. n

Schöne Heimat Ostpreußen: Kormorane über dem Mauersee Foto: Gerhard Bosk



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