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18.05.02 / Im Gespräch: Thüringens Kultusministerin Dagmar Schipanski über Werte und Familie

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 18. Mai 2002


"Freiheit und Verantwortung"
Im Gespräch: Thüringens Kultusministerin Dagmar Schipanski über Werte und Familie
von Jürgen Liminski

Erfurt dürfe "nicht Wahlkampfthema werden", forderten die Kirchen drei Tage nach der Tat, aber da war es schon zu spät. Es war Thema, und es war im Wahlkampf. Die Politik zeigte nicht nur Betroffenheit, sie zeigte auch Entschlossenheit zum Handeln, etwa bei der Verschärfung der Waffengesetze. Beim Thema Gewalt in den Medien darf man Zweifel hegen, ob das Treffen des Bundeskanzlers mit den Intendanten der Rundfunk- und Fernsehanstalten mehr war als eine Polit-Show zur Besänftigung der Bürger oder zum Vortäuschen von lauterer Absicht auf seiten der Fernsehgewaltigen und starker Handlungsfähigkeit auf seiten des Kanzlers.

Nur am Rande der Politik ergriff die öffentliche Debatte auch Fragen der Werte. Vor allem die Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Wissenschaftsministerin in Thüringen, Frau Professor Dagmar Schipanski, hatte schon früh darauf hingewiesen, daß es ohne Werte nicht geht. In einem Gespräch mit dem Autor blieb sie auch die Antwort auf die Frage nicht schuldig, woher diese Werte kommen sollen. Zunächst, so die CDU-Politikerin, seien "wir in Deutschland dem Wertekanon des christlichen Abendlandes verpflichtet". Dort seien unsere Werte zu suchen. Ferner haben wir "Werte in den zehn Geboten festgelegt; wir haben Werte in unserer Gesellschaft über viele Jahre bewahrt. Die Widerstandskämpfer gegen das Nazireich haben sie bewahrt; diejenigen, die in der DDR dagegen waren, haben sie bewahrt. Ich glaube, auch diese Gesellschaft hat ihre Werte. Sie muß sich nur darauf besinnen." Das sei in der pluralistischen Gesellschaft zugegebenermaßen "eine schwierige Debatte". Nicht alle akzeptierten die Zehn Gebote oder auch nur die Werte des christlichen Abendlandes. Dennoch müsse man "diese schwierige Debatte führen und endlich beginnen, sich darauf zu besinnen, was uns wert-voll ist".

Für die Ministerin "ist Gewaltfreiheit bei der Lösung von Konflikten ein besonderer Wert". Ebenso, "daß ich Toleranz dem anderen gegenüber übe. Toleranz heißt für mich aber, und darauf möchte ich immer wieder hinweisen, nicht wegsehen, sondern genau hinsehen. Das heißt Anerkennen der Andersartigkeit der anderen, aber nicht anerkennen, wenn er sich über mich erhebt und sozusagen sich über mich mit meinen Wertvorstellungen lustig macht. Dann muß ich mich mit ihm auseinandersetzen." Auch müsse man den Wert der Gerechtigkeit neu in den Blick nehmen. Schipanski: "Was ist Gerechtigkeit? Ist Gerechtigkeit, daß wir in einer anonymen Umverteilungsmaschinerie jedem sein bestimmtes Stück am Kuchen des Bruttosozialprodukts zukommen lassen? Ist Gerechtigkeit das gerechte Handeln vieler einzelner?" So gebe es für sie eine ganze Reihe von Werten und Begriffen, "über die wir uns wieder Klarheit verschaffen müssen in unserer Zeit".

Frau Schipanski räumt ein, daß es auch bei vielen Bürgern Begriffsverwirrungen gebe, etwa bei dem Begriff der Freiheit. Für sie sei "Freiheit nicht, daß der einzelne jede seiner individuellen Freiheiten ausleben kann. Sondern für mich sind Freiheit und Verantwortung zwei einander ergänzende Grundsätze. Und Freiheit ohne Verantwortung entführt uns eben in maßlose Reiche oder entführt uns in Gewaltphantasien. Aber Freiheit und Verantwortung, das heißt für mich: Diese Demokratie begreifen als eine Chance für alle, die in der Demokratie leben. Und ich persönlich habe die Verantwortung als Politikerin, daß diese Demokratie lebenswert bleibt. Das heißt, ich muß auch einzelnen die Grenzen ihrer persönlichen Freiheit zeigen. Die Grenze der persönlichen Freiheit ist bei dem Täter von Erfurt überschritten worden in einer maßlosen Weise, die uns erschrocken hat. Wir werden darüber nachdenken müssen, warum er gerade diese maßlose Weise genutzt hat."

Werte sind eine Sache, ihre Vermittlung eine andere. Für die CDU-Politikerin fängt Wertevermittlung "im Elternhaus an. Es ist ganz wichtig, daß die Eltern vorleben, was sie sagen. Daß sie nicht belehren, sondern daß sie einfach mit den Kindern leben. Ich betone immer wieder: Fröbel kommt aus Thüringen. Er hat die ersten Kindergärten der Welt eingerichtet. Sein Motto war: Kommt, laßt uns mit unseren Kinder leben. Und so einfach dieses Motto ist, so einfach ist es meiner Meinung nach wirklich, schon im Kindesalter Werte zu vermitteln. Selbstverständlich gehören die Gesellschaft und die Schule mit dazu. Wir können es nicht nur den Kirchen überlassen, Werte zu vermitteln."

Zu der Vermittlung gehöre auch die Konfliktfähigkeit von Eltern, zum Beispiel den Kindern mal das Fernsehen oder bestimmte Computerspiele zu verbieten. "Aber ich weiß, daß das sowohl den Kindern als auch den Eltern teilweise schwerfällt. Aber für mich ist eigentlich das Wichtigste, daß man von sich heraus erkennt: Was ist wesentlich für mich und was kann ich vielleicht auch weglassen?" Das sei natürlich ein langer Prozeß bis zur Fähigkeit, etwas einzusehen, auch und gerade wenn es sich um ein Verbot handelt. Aber darin bestehe auch die Kunst der Erziehung, dies argumentativ und mit eigenem Beispiel in der Beziehung zu den Kindern zu zeigen. Unsere Gesellschaft komme eben nicht ohne Verbote aus, "sonst bräuchten wir kein Strafgesetz".

Hier stehe die Gesellschaft an einer Wegmarke. Verbote alleine nützen nicht viel. "Wir brauchen insgesamt eine Aufwertung der Erziehungsarbeit. Ich sage immer: Wir müssen uns in der Gesellschaft darüber bewußt sein, was uns die Arbeit wert ist, die überhaupt keinen Preis hat in unserer Gesellschaft, das ist die Erziehungsarbeit von Eltern. Sie ist außerordentlich wichtig. Sie ist wesentlich. Sie ist eigentlich die Grundlage für unsere Gesellschaft." Deshalb müsse "die Familie als Grundbaustein einer Gesellschaft wieder in den Mit- telpunkt" gerückt werden. "Wir neigen in Deutschland dazu, die Randgruppen in den Mittelpunkt zu rücken. Mir kommt es darauf an, daß wir der Familie, den Kindern, den Eltern den Platz in der Gesellschaft geben, der ihnen gebührt."