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18.05.02 / "Mein Leipzig lob ich mir"

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 18. Mai 2002


"Mein Leipzig lob ich mir"
In der alten Messestadt wirkten auch viele große Dichter und Denker des 18. Jahrhunderts
von Silke Osman

Mein Leipzig lob ich mir! Es ist ein klein Paris und bildet seine Leute", läßt Goethe einen der Zechgesellen in Auerbachs Keller schwärmen, nachzulesen in "Faust, erster Teil der Tragödie". Besucht man heute den 1525 gegründeten historischen Faßkeller in der Mädlerpassage, fällt zunächst die Figurengruppe vor dem Eingang auf, Faust, Mephisto und die Zechkumpane darstellend. Wie oft wird der spätere Dichterfürst dort geweilt haben? Wie viele Humpen der Student der Jurisprudenz dort gehoben haben?

Johann Wolfgang von Goethe war 1765 nach Leipzig gekommen, um dort zu studieren. In seiner autobiographischen Schrift "Dichtung und Wahrheit" erinnert er sich: "Als ich in Leipzig ankam, war es gerade Meßzeit, woraus mir ein besonderes Vergnügen entsprang: denn ich sah hier die Fortsetzung eines vaterländischen Zustandes vor mir, bekannte Waren und Verkäufer, nur an anderen Plätzen und in einer anderen Folge. Ich durchstrich den Markt und die Buden mit viel Anteil ... Diese lebhafte Begegnung war jedoch bald vorüber, und nun trat die Stadt selbst mit ihren schönen, hohen und unter einander gleichen Gebäuden entgegen. Sie machte einen sehr guten Eindruck auf mich, und es ist nicht zu leugnen, daß sie überhaupt, besonders aber in stillen Momenten der Sonn- und Feiertage, etwas Imposantes hat ... Leipzig ruft dem Beschauer keine altertümliche Zeit zurück; es ist eine neue, kurz vergangene, von Handelstätigkeit, Wohlhabenheit, Reichtum zeugende Epoche, die sich uns in diesen Denkmalen ankündet. Jedoch ganz nach meinem Sinn waren die mir ungeheuer scheinenden Gebäude, die, nach zwei Straßen ihr Gesicht wendend, in großen, himmelhoch umbauten Hofräumen eine bürgerliche Welt umfassend, großen Burgen, ja Halbstädten ähnlich sind. In einem dieser seltsamen Räume quartierte ich mich ein, und zwar in der ,Feuerkugel' zwischen dem Alten und Neuen Neumarkt ..."

Goethe hörte in Leipzig neben seinen juristischen Vorlesungen auch solche von Christian Fürchtegott Gellert, der seit 1751 eine außerordentliche Professur für Poesie und Rhetorik innehatte, und solche von Johann Christoph Gottsched, seit 1734 ordentlicher Professor der Logik und Metaphysik und der führende Vertreter der deutschen Frühaufklärung.

Der 1700 im ostpreußischen Juditten geborene Gottsched war 1724 auf der Flucht vor den Werbern des Soldatenkönigs nach Leipzig gelangt und wohnte dort bis zu seinem Tode 1766 im "Goldenen Bären". Dort besuchte ihn Goethe 1765 mit einem Freund; in nicht gerade schmeichelhaften Zeilen hielt er später im 7. Buch von "Dichtung und Wahrheit" diese Begegnung fest. Durch ein Versehen des Dieners waren die beiden in ein falsches Zimmer geführt worden. "Wir traten hinein zu einer sonderbaren Szene: denn in dem Augenblick trat Gottsched, der große, breite, riesenhafte Mann, in einem gründamastenen, mit rotem Taft gefütterten Schlafrock zur entgegengesetzten Türe herein; aber sein ungeheures Haupt war kahl und ohne Bedeckung. Dafür sollte jedoch sogleich gesorgt sein: denn der Bediente sprang mit einer großen Allongeperücke auf der Hand (die Locken fielen bis an den Ellenbogen) zu einer Seitentüre herein und reichte den Hauptschmuck seinem Herrn mit erschrockener Gebärde. Gottsched, ohne den mindesten Verdruß zu äußern, hob mit der linken Hand die Perücke von dem Arme des Dieners, und indem er sie sehr geschickt auf den Kopf schwang, gab er mit der rechten Tatze dem armen Menschen eine Ohrfeige, so daß dieser, wie es im Lustspiel zu geschehen pflegt, sich zur Türe hinaus wirbelte, worauf der ansehnliche Altvater uns ganz gravitätisch zu sitzen nötigte und einen ziemlich langen Diskurs mit gutem Anstand durchführte."

Gottsched hat mehr als vier Jahrzehnte in Leipzig gelebt; er war mehrfach Rektor der Universität und gilt als der einflußreichste Sprachwissenschaftler des 18. Jahrhunderts, wenn auch seine Ansichten oft auf Widerspruch trafen, so unter anderem bei Gotthold Ephraim Lessing, der 1746 ein Theologiestudium in Leipzig aufgenommen hatte, im Sommer 1748 ein Medizinstudium begann, vor allem aber literarisch arbeitete. Sein erstes Lustspiel "Der junge Gelehrte" wurde im gleichen Jahr von der Schauspieltruppe der Neuberin aufgeführt.

Friederike Caroline Neuber, geboren 1697 in Reichenbach im Vogtland, war vor 275 Jahren nach Leipzig gekommen. Die Schauspielerin hatte sich mit ihrem Mann der Haak-Hoffmannschen Gesellschaft angeschlossen, deren Leitung sie 1727 übernahm. Mit Gottsched zusammen bemühte sie sich, das verwilderte Theater der Wandertruppen zu reformieren - weg vom Possenspektakel hin zum lehrhaften Theater. Zotige Stegreifspiele wichen Aufführungen klassizistischer französischer Stücke, ins Deutsche übersetzt von Gottsched und seiner "deutsch-übenden Gesellschaft", später "Deutsche Gesellschaft", oder solcher von deutschen Autoren. 1737 verbannte die Neuberin ganz im Sinne Gottscheds den Harlekin von der Bühne, indem sie eine Puppe im Hanswurstkostüm verbrennen ließ. 1741 allerdings kam es zu einem Zerwürfnis zwischen der Prinzipalin und dem Professor, nachdem sie ihn auf der Bühne als "Tadler", der mit der Laterne Fehler sucht, verhöhnt hatte. Auch Lessing wandte sich gegen Gottsched; er warf ihm vor, ein französisierendes Theater dem deutschen vorzuziehen, ohne zu untersuchen, ob dieses der deutschen Denkungsart überhaupt angemessen sei. Dennoch gilt der Ostpreuße aus Juditten noch heute als wichtiger Reformator im Kampf gegen die Roheit der Zeit. - Goethe, Gottsched, Lessing und die Neuberin - sie alle haben Spuren in der deutschen Literaturgeschichte hinterlassen, sie alle wirkten in einer Stadt, die am 22. und 23. Juni die Ostpreußen zu ihrem Deutschlandtreffen begrüßen wird, in Leipzig.