28.03.2024

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08.06.02 / "Sieben Aufrechte"

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08. Juni 2002


"Sieben Aufrechte"
Christel Bethke auf einem landsmannschaftlichen Treffen

Die Bilanz des vergangenen Jahres wird verlesen, die monatlich stattfindenden Treffen aufgelistet, Ziele genannt, die nach auswärts führten, erklärt, wofür das Geld verwendet wurde, das durch "Teller-Sammlung" zusammen kam. Abschließend führt die Vorsitzende noch an, daß der Altersdurchschnitt der hiesigen Ostpreußengruppe 79,9 Jahre beträgt. Eine Person sei unter fünfundsechzig, achtzehn über neunzig. Verlegenes Lachen, obgleich allen zum Heulen ist. Wie schnell ist alles vergangen! Erna, die ihre Freundin überredet hatte, zum Treffen mitzukommen, tröstet sich mit ihren fünfundsiebzig Jahren. Gutes Mittelfeld also noch. Männer, hört man nun, gibt es nur noch zwei in der Gruppe. Die Freundin blickt sich um. Tatsächlich, an den gedeck-ten Tischen sitzen nur alte Frauen. Wohlfrisiert, in der Haltung etwas von früherer Gutsbesitzerin (wir hatten schon immer Personal), viel Bernstein auf Busen und an alten Händen mehr als nur ein Fingerring. Auch die Ostpreußen sind modebewußter geworden!

Täuschen wir uns nicht: Hier sitzt eine Generation, die ihre Ärmel hochkrempelte und nach Ka-tastrophen zupackte. Wenn verlangt, kann sie es noch heute. Darin sind sich beide Freundinnen einig.

Auf dem Programm steht heute ein Vortrag über das Glück. Die Vorsitzende mäkelt, daß nicht alle Mitglieder daran interessiert zu sein scheinen, und fügt witzig hinzu: "Glück und Glas, wie leicht bricht das." Beifälliges Nicken der frisierten Köpfe. Wie wahr! Das haben sie erfahren. Nun der Vortrag. Eine alte Dame tritt vor das Mikrofon, das nicht sehr weit trägt. (Man hätte einen der Urenkel mit der Elektronik beauftragen sollen!) Sie hat noch gar nicht recht begonnen, hagelt es schon Einwürfe: "Nichts zu verstehen", "lauter."

Dann aber doch beifälliges Murmeln, als man hört, was es zu lernen gilt im Alter und was man unter Glück zu verstehen hat. So soll man lernen, nein zu sagen, sich nicht immer einspannen zu lassen, aber auch, sich nicht unentbehrlich zu machen. Farbe soll ins Leben gebracht werden. Wozu immer alles so trist!? Und weg mit dem Ballast, weg mit dem Gekrassel und dem Brasel, der zu nichts mehr nütze ist und einen nur bedrückt.

Das ist Wasser auf Ernas Mühle, die sich freut, daß es der Freundin zunehmend besser gefällt. Auch soll man sich nicht mehr miesmachen lassen von irgendwelchen "bucklichten Männlein".

Wenn man etwas unternehmen will, soll man es tun. Wann, wenn nicht jetzt? "Für manchen ist das Glas immer schon halb leer", sagt die Vortragende eindringlich.

Die beiden Freundinnen nicken sich zu. Wie wahr! Lieber noch mal aufbegehren.

Und Bewegung sei gut, hören sie nun. Aber in die richtige Richtung sollte es gehen, nicht nur in das Wartezimmer des Arztes. Beifall, weil sich jede irgendwie erkannt fühlt, Beifall, weil der Vortrag zu Ende ist und die Pause mit Torte und Kaffee genossen werden will. Dabei geht der Teller rum, auf den jede das legt, was "nach Hause soll'". Dazu gehört der Erlös des heutigen Basars, bei dem es keine Nieten gibt, weil es unter den Ostpreußen auch keine geben soll, hatte die Vorsitzende scherzhaft gemeint.

Großartig der Einsatz dieser Frau. Überhaupt ist das Treffen dieser Landsleute, diese Treffen vom "Fähnlein der sieben Aufrechten" nicht hoch genug zu bewerten, denn, fügt sie abschließend hinzu: "Nach uns wird von den jungen Leuten keiner mehr ‚Land der dunklen Wälder' singen", das sie jetzt ohne Begleitung und Scheu anstimmt. Die anderen fallen ein, und als die beiden Freundinnen auf dem Nachhauseweg sind, sprechen sie noch über das Glück und was darunter zu verstehen ist.

Erna sagt: "Ich möchte dort noch mal einen Sommer verbringen. Stell dir vor, wir, das letzte Aufgebot, wie es damals hieß, als die Alten noch an die Front mußten, könnten uns dort einbringen, wie es heute so schön heißt. Zur Deutschen Minderheit gehören dort 280 Personen, einschließlich der Kinder, die inzwischen geboren wurden. Gehören wir nicht auch zu einer Minderheit hier?"

"Na", meint die Freundin, "das ist auch ein weites Feld" - legt aber in Gedanken schon ihre Hand auf das Bückengeländer von Konstantins Mühle und sagt leise: "Hier bin ich wieder."

Deutschlandtreffen 2002: Weitaus mehr als nur "sieben Aufrechte" werden auch in diesem Jahr in der Neuen Messe in Leipzig erwartet

Fotos: Blotkamp