19.04.2024

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08.06.02 / Das Festland des Ewigen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08. Juni 2002


Das Festland des Ewigen
Zum 125. Geburtstag des Dichters Rudolf Borchardt

Frühling ist tot, und Sommer fährt herauf./ Mein Herz bleibt stehn, ich habe keine Luft,/ Es muß geschehn, daß ohne mich sein Lauf/ Sich schließt, wie er begann, mit diesem Duft", klagte einst Rudolf Borchardt. Dabei war der Dichter ein Kind des Sommers: "Ich bin am 9ten Juni 77 meinen in Moskau lebenden Eltern auf einer Heimreise meiner Mutter in Königsberg geboren worden", schrieb der vor 125 Jahren Geborene in seinen Erinnerungen. "Beide Eltern entstammten Königsberger Häusern. Obwohl ich meine Vaterstadt seitdem kaum wiedergesehen habe, fühle ich mich nach Familientradition und geistiger Anlage mit Stolz als Ostpreuße ..."

Aufgewachsen ist Borchardt in Berlin und Wesel, wo er seine Reifeprüfung ablegte. Er studierte zunächst Theologie, später klassische Philologie, Archäologie und Germanistik in Berlin, Bonn und Göttingen. Nachdem er sich studienhalber einige Zeit in England aufgehalten hatte, begab er sich 1903/04 nach Italien, wo ihn vor allem die Toskana faszinierte. Dort fand der Königsberger seine Wahlheimat, die er auch in literarischen Essays immer wieder schilderte. Am Ersten Weltkrieg nahm Borchardt als Freiwilliger teil, zuletzt als Offizier in einem Stab an der Front in Italien. Vier Jahre nach Kriegsende zog es ihn erneut nach Italien. Dort wurde er 1944 als Jude von der Gestapo verhaftet, konnte allerdings fliehen. In Trins bei Innsbruck, wo er sich mit den Seinen versteckt hielt, ereilte ihn am 10. Januar 1945 der Tod.

Die letzte Veröffentlichung zu seinen Lebzeiten war ein Vorabdruck aus seinem Buch "Der leidenschaftliche Gärtner" in der "Neuen Zürcher Zeitung" 1942. Zum großen Teil wohl 1938 geschrieben, war der Plan für dieses Buch bereits 1935 gefaßt worden. So berichtete Borchardt, der ein begeisterter Gartenfreund war, schon 1911 aus Siena: "Zum erstenmal Blumensamen gekauft, sechs Tüten à 20 ctms, in einem Gemischtwarenverschleiß am Sieneser Markt; einiges hat geblüht." Und 1913 schreibt er an seinen Freund Hugo von Hofmannsthal: "Jetzt erfrischt mich der Garten ... Gegen achtzig Blumensämereien werden in Kästen und Näpfen gewartet, heute ist der Küchengarten für Bestellung in Beete geteilt worden und ich habe stundenlang gesäet ... Nichts Märchenhafteres als dieses Spiel mit den Kräften der Natur ... um einen einzigen, nachlässig unbewußten ihrer Akte, die Hervorbringung eines Kelches aus einem Korn, bewußt ergreifend hervorzurufen."

Der Dichter als Gärtner. Auch seine Frau Marie Luise Borchardt schilderte ihren Mann als begeisterten Blumen- und Gartenfreund: "Ein Teil seiner Leidenschaft galt dem Garten und allem, was damit zusammenhängt. Ich erlebte einmal eine Unterhaltung unter italienischen Bauern, bei der einer von ihnen ganz enthusiastisch erzählte, der Poeta - womit er Borchardt meinte - trete jeden Morgen auf den Balkon seines Hauses, um die Schönheit der Landschaft zu bewundern. Dies sei notwendig, als Nahrung und Belebung seiner dichterischen Phantasie. Ich kann den Wortlaut der bildreichen Beschreibungen jenes Bauern nicht genau wiedergeben. Als ich die Geschichte Borchardt erzählte, war er sehr gerührt und meinte: ‚Eigentlich haben sie recht.'"

In dem Nachwort zu dem erstmals 1951 erschienenen Buch betont Borchardt, es sei keineswegs als ein "Beiwerk" entstanden. "Es ist in der entschiedenen Absicht geschrieben worden, zwischen dem menschlichen Garten und dem menschlichen Geiste eine Verbindung zu schaffen, die nicht besteht, eine andere Verbindung als sie in der meist umlaufenden, literarischen Propaganda für Gärten und Blumen, der sogenannten ,Gartenliteratur', vorgesehen ist." Also kein Gartenbuch im herkömmlichen Sinne und gewiß auch, wie bei Borchardt üblich, keine "leicht verdauliche Kost". Und so mögen denn die Zeilen, die er schon 1929 in seiner Autobiographie für seine Arbeiten fand, auch für dieses, sein letztes Buch gelten: "Ich habe mich nie daran gekehrt, ob meine Schriften augenblicklichen, oder überhaupt, Erfolg haben könnten. Sie finden kein Publikum vor, sondern sie müssen es sich bilden. Sie sind die Brücke für jeden, der auf meinem Lebenswege sich von der treibenden Scholle der Zeit auf das Festland des Ewigen retten will." Silke Osman

Der Dichter als Gärtner: Rudolf Borchardt im Garten der Villa Mansi, Monsagrati bei Lucca, 1913