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08.06.02 / Zeitgeschichte: "Löwenherz" ging leer aus

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08. Juni 2002


Zeitgeschichte: "Löwenherz" ging leer aus
Wie mit kleinen Geschenken manchmal große Politik gemacht wurde
von Alfred Schickel

Die Türen zu den Dokumentenlagern in den Staats- und Privatarchiven sind für den Geschichtsforscher oft wie Tore in eine andere Welt. Wo zwar kein Leben mehr pulst und auch die Zeit stille steht, aber sich viele Größen der Geschichte erst von ihrer "menschlichen Seite" erkennen lassen.

Etwa beim Durchsehen ihrer archivierten Korrespondenzen. Wenn man da liest, was der "Substituto" der "Segretaria di Stato di Sua Santita" am 2. November 1944 "His Excellency The Personal Representative of the President of the United States to His Holiness the Pope" geschrieben hat. Nämlich, daß "Seine Heiligkeit Papst Pius XII. die Güte hatten", für den Präsidenten der Vereinigten Staaten einen "kom- pletten Satz der sehr raren Vatikanischen Briefmarken" ("a complete set of the very rare stamps postal of Vatican") bereitstellen zu lassen - und man schließlich an der Unterschrift einen nachmals weltbekannten Namen erkennt: "J. B. Montini". Damals noch "Untersekretär" im Staatsekretariat des Heiligen Stuhles, von 1954 bis 1963 Erzbischof von Mailand und am 21. Juni 1963 bekanntlich zum Nachfolger von Papst Johannes XXIII. gewählt, dessen Zweites Vatikanisches Konzil er als Papst Paul VI. zu Ende führte.

Als ob US-Präsident Roosevelt schon 1944 diese Karriere des damaligen Substituten im Vatikan vorausgeahnt hätte, bedankte er sich ("Many thanks for your courtesy") am 16. Dezember in einem persönlichen Brief beim "Dear Monsignor Montini" für "diese Briefmarken, die eine kostbare Ergänzung" für seine Sammlung gewesen seien ("These stamps are a treasured addition to my collection"). Immerhin ist es äußerst ungewöhnlich und vom diplomatischen Protokoll ganz und gar nicht vorgesehen, daß ein Staatsoberhaupt mit einem untergeordneten Regierungsmitglied eines anderen Staates in Briefverkehr tritt und die Schreiben persönlich abzeichnet. In diesem Falle noch mehr, da es damals zwischen den USA und dem Heiligen Stuhl noch gar keine diplomatischen Beziehungen gab, sondern in der Person des ehemaligen Stahlindustriellen Myron C. Taylor nur ein "Persönlicher Vertreter" des Präsidenten in Rom residierte.

Die strikte Trennung von Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten erlaubte bis dahin keine offizielle Anerkennung des Heiligen Stuhls als souveräner Staat. Ein solcher Akt hätte nach damals in den USA vorherrschender Meinung "eine Bevorzugung der katholischen Kirche" bedeutet. Da aber Präsident Roosevelt nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs größten Wert auf Kontakt mit dem Papst ("dem bestinformierten Mann der Welt") legte, bat er seinen persönlichen Freund Myron C. Taylor, ihn gleichsam "ehrenamtlich" bei Pius XII. zu vertreten.

Eine Besoldung war wegen der erwähnten fehlenden diplomatischen Beziehungen zwischen Washington und Rom nicht möglich und konnte auch vom Präsidenten nicht erwirkt werden. Der wohlsituierte Taylor war allerdings auch auf eine staatliche Bezahlung nicht angewiesen, sondern fühlte sich bereits durch seinen klangvollen Titel "ausreichend honoriert". Einem römischen Prälaten bekannte er einmal, daß seine "Titulatur so lang" sei "wie die Messen im Petersdom", die er so sehr liebe.

Tatsächlich konnten dem episkopalen Christen Taylor die feierlichen Hochämter nie zu lang werden, so gern mochte er die katholische Liturgie. Ein besonderes Erlebnis war ihm stets eine "Mass pontifical" mit "feierlichem Einzug des Heiligen Vaters" und abschließendem "Apostolischen Segen Urbi et Orbi", wie er einem Freund einmal schrieb. Selbstverständ- lich fand er auch Gefallen am gepflegten Umgang mit der Kurie und hielt sich penibel an die päpstliche Hofetikette.

Das wußten auch die damals (1944) an der Italienfront kommandierenden Generäle Mark Clark und Hume zu schätzen, die Myron C. Taylor bemühten, um an die begehrten Vatikan-Briefmarken heranzukommen. Die gewünschte Privataudienz bei Pius XII. hatte er ihnen bereits vermitteln können und damit zu einer Auszeichnung verholfen. Nun fehlten ihnen nur noch die "very rare stamps of Vatican" für ihre "stamp collection" zu Hause. Präsident Roosevelts "Personal Representative to His Holiness the Pope" konnte auch diesen Wunsch erfüllen und "two sets very beautiful presented" bei "His Excellency E. P. Galeazzi" besorgen.

Die erwiesenen Aufmerksamkeiten des Vatikans blieben nicht ohne Wirkung. Sowohl Präsident Roosevelt als auch seine siegreichen Generäle verschlossen sich in der Folge nicht den Bitten des Papstes, für die vom Krieg heimgesuchte Bevölkerung dringend benötigte Lebensmittel zur Verfügung zu stellen und nach Möglichkeit auch bei den Kampfhandlungen Rücksicht auf sakrale Bauten zu nehmen. Die Zerstörung des altehrwürdigen Benediktinerklosters auf dem Monte Cassino im Februar 1944 sollte sich in keiner Form mehr fortsetzen und auch auf weitere Städtebombardements in Italien verzichtet werden. Auch die Umstände des geplanten Kriegs-endes mit Deutschland fanden sich als Gesprächsthema auf der Wunschliste des Papstes.

Wie nachträglich festgestellt werden kann, blieben diese Anliegen keine ungehörten Wünsche, sondern erfuhren entsprechende Berücksichtigung. Sicher hatten daran auch solche Gesten ihren Anteil, wie sie von Montini und Taylor vermittelt wurden. Denn auch bei den Großen dieser Welt gilt der Satz menschlicher Erfahrung: "Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft" - beim Empfang von Vatikan-Briefmarken auf alle Fälle.

Ein weniger "häusliches" Geschenk hatte Roosevelt Anfang Februar 1945 für seinen Bundesgenossen Josef Stalin im Gepäck. Ihm ließ er auf der Konferenz von Jalta ein Album mit Fotos überreichen. Dazu noch ein Begleitschreiben, aber nicht mit einer freundschaftlichen Widmung für "Uncle Joe", wie der US-Präsident den Kremlherrn oft intern nannte, sondern mit dem eiskalten Hinweis auf die bisher durch die alliierten Bombardements in Deutschland angerichteten Schäden. Der "Marschall Stalin am 10. Februar 1945 präsentierte Band" ("volume presented to Marshal Stalin 2-10-45") enthielt nämlich "Luftaufnahmen, die unter der Bezeichnung ‚Angriffsziel Deutschland' die Ergebnisse der Bomberstrategie gegen bestimmte Ziele in Deutschland illustrieren" ("areal photographs entitled ‚Target Germany' illustrating results of our strategie bombing against certain targets in Germany"). Nach eigenem Bekunden wollte Roosevelt mit diesem "Foto-Album" aber nicht nur "die Erfolge" des "erbarmungslosen Luftkrieges gegen Deutschland anzeigen" ("indicating not only the success ... in our unremitting aerial warfare against Germany"), sondern auch um künftige Zusammenarbeit bei ähnlichen Angriffen "von sowjetisch kontrolliertem Territorium aus" ("the possibilities on similar attacks from bases in territory controlled by the Soviets") werben.

Stalin bedankte sich zwar artig für das "Geschenkte", sah sich aber "nicht in der Lage", die vorgetragene Anregung aufzugreifen. So mußte der unmittelbar bevorstehende Luftangriff auf Dresden wiederum von England aus gestartet werden. Es ist nicht bekannt, ob von diesem Überfall in Jalta bereits die Rede war. Einer internen Überlieferung zufolge soll das "Ziel Dresden" freilich erst wenige Stunden vor dem Start im Londoner Luftfahrtministerium festgelegt worden sein. Zumindest hatten die am 13. Februar 1945 zum Einsatz befohlenen Piloten noch nicht die sonst schon Tage vorher in Bereitschaft gehaltenen Lagekarten. Auch der Oberbefehlshaber des Strategischen Bomberkommandos, General Arthur Harris, soll von dieser Zielanweisung aus der Londoner Zentrale überrascht worden sein und sich nach Bekanntwerden des Ziels noch einmal eigens über seine Richtigkeit vergewissert haben. Stalin schien dagegen von Präsident Roosevelts "Jaltaer Geschenk" nicht sonderlich überrascht gewesen zu sein. Fast war er solche Aufmerksamkeiten seitens seiner westlichen Bündnispartner gewohnt.

Er hatte noch in Erinnerung, wie ihm Roosevelt und Churchill auf der Teheraner Konferenz Ende November 1943 mit dem "Schwert von Stalingrad" zu seinem spektakulären Sieg an der Wolga gratuliert haben.

Die Übergabe dieses Geschenks hatte fast Churchills 69. Geburtstag, den er am 30. November beging, etwas in den Hintergrund gedrängt; geschweige, daß von bemerkenswerten Geburtstagsgeschenken die Rede gewesen wäre. Ein überlieferter Sitzplan vom Geburtstags-Dinner am "Tuesday, November 30, 1943" in "The British Legation Tehran, Iran" verzeichnet die 34 geladenen Festgäste, die von Präsident Roosevelt und Marschall Stalin über die Außenminister Eden und Molotow bis zu Harry Hopkins und Randolph Churchill reichten.

Das "Geburtstagskind" saß zwischen dem US-Staatschef und dem Kremlherrn und war zugleich der Senior in der Runde. In ihren Trinksprüchen feierten Roosevelt und Stalin den Premierminister als "neuen Löwenherz" und "standhaftesten Hitler-Bezwinger". Diese schmeichelhaften Beinamen und historischen Bezüge ersetzten offensichtlich die üblichen "verpackten" Geschenke, kamen sie doch auch aus dem Munde der damals mächtigsten Männer der Welt. Bei keinem seiner weiteren Geburtstage feierte Churchill mehr in einem solchen Kreise.

Stalin war dagegen nach Teheran nochmals Empfänger eines amerikanischen "Präsidenten-Geschenks". Freilich unter Ausschluß der Öffentlichkeit und aus zweideutigen Motiven. Ging es doch um den Prototyp eines neu entwickelten Flugzeugs der USA, das beim Probeflug auf dem Moskauer Militärflughafen zwischenlanden mußte und während eines inszenierten Wodka-Umtrunks für die Besatzung vom sowjetischen Geheimdienst ausspioniert wurde. Der nur Trunkenheit vortäuschende US-Sicherheitsoffizier beobachtete die russischen Spionagespezialisten und machte von ihrer Ausspäh-Aktion umgehend in Washington Meldung. Um es über diesen Vertrauensbruch unter Verbündeten nicht zum Eklat kommen zu lassen, entschied sich Roosevelt für einen raffinierten Überraschungs-Coup. Er schickte Stalin ein Telegramm, in dem er "anerkennend der bisherigen Zusammenarbeit im Kampf gegen Hitler-Deutschland" gedachte und ihm "das neueste Flugzeug der US Air Forces zum Geschenk" machte.

Über eine Reaktion des Kremlchefs auf dieses "Geschenk" ist nichts bekannt geworden. Manche Geschichtsdeuter sehen sie in Stalins späterer Weigerung, den Westmächten sowjetische Feldflugplätze für ihre Bombenangriffe auf Deutschland zur Verfügung zu stellen. Die ihm eigene Empfindlichkeit spräche für diesen Schluß, auch wenn er immer andere Gründe für seine ablehnende Haltung anführte und sich angeblich nur von "sachlichen Erwägungen" bestimmen ließ.

Im August 1944 dürften es zumindest ideologische Gründe gewesen sein, die ihn die erbetene Mitbenutzung der sowjetischen Flugplätze ablehnen ließ. Da wollten nämlich die Engländer und Amerikaner den polnischen Aufständischen von Warschau durch die Luft helfen und zu diesem Zweck auch vom ungleich näheren Weißrußland aus starten dürfen. Stalin hatte jedoch kein Interesse, den Nationalpolen zu einem Erfolg zu verhelfen und versagte sich der Bitte. Da bewirkten oder erhielten also weder kleine noch große Geschenke eine Freundschaft.

 

Fototext: Schon in kurzer Zeit kommt einiges zusammen: Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU, 1963 bis 1966) konnte bereits nach drei Jahren mehr als eine Vitrine voller Staatsgeschenke vorweisen. Foto: dpa