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15.06.02 / Unangenehme Folgen muß nur der Angegriffene selbst fürchten: Die Lust am Verleumden

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 15. Juni 2002


Unangenehme Folgen muß nur der Angegriffene selbst fürchten: Die Lust am Verleumden
Unsere Rechtskultur ist in Gefahr, warnt Sylvia Green-Meschke

Ob die "gute alte Zeit" wirklich so gut war, wie gelegentlich geschwärmt wird, dürfte fraglich sein. Aber etwas sehr Nützliches gab es schon, das Duell. Wer einen anderen beleidigte oder verleumdete, mußte damit rechnen, gefordert zu werden und womöglich mit dem Leben für die Beschuldigungen zu zahlen.

Die Zeiten haben sich freilich geändert. Heute sind Beleidigungen oder Verleumdungen die beste Gewähr dafür, in den Mittelpunkt des Medieninteresses katapultiert zu werden. Unangenehme Folgen braucht nicht der Verleumder zu vergegenwärtigen, sondern der Angegriffene, besonders wenn er konservativ oder liberal ist.

Man nehme etwa den großmäuligen Waffenlobbyisten Schreiber, dessen ohne eine Spur von Beweisen vorgetragenen Beschuldigungen gegen CSU-Chef Stoiber sogar den auf Steuerzahlerkosten nach Toronto gereisten Ausschußmitgliedern von SPD und Grünen zunächst suspekt erschienen. Dann riefen sie sich jedoch ins Gedächtnis, wie gut sich auch unbewiesene Behauptungen instrumentalisieren lassen, und beschlossen wider besseres Wissen, sie für Wahlkampf zu nutzen. So muß sich Stoiber weiter gegen Schreibers Anwürfe wehren, statt daß Schreiber gezwungen ist, sie zu beweisen.

Ronald Schill sah sich nach dem Erfolg seiner Partei gezwungen, eine Haarprobe in München analysieren zu lassen, weil er sonst den Vorwurf des Kokaingebrauchs nie wieder losgeworden wäre. In seinem Falle wurde die Perfidie noch gesteigert, indem man hinter vorgehaltener Hand tuschelte, er werde schon das "richtige" Institut finden, um seine Unschuld zu "beweisen".

Derzeit wird eine ganze Partei von verschiedensten Seiten mit dem schlimmsten Verdacht belegt, der in Deutschland denkbar ist, mit dem des Antisemitismus. Der Ausgangspunkt gerät bereits in den Hintergrund, ein "persönlich gefärbter" Streit, wie es der Leitartikel einer großen deutschen Tageszeitung ausdruckte, zwischen Jürgen Möllemann und Michel Friedman, jenen beiden, die einander in egozentrischer Lust an der Öffentlichkeit in nichts nachstehen. Jetzt wird nachgehakt, die Kritik an Friedman und der israelischen Politik sei ein kaltes Machtkalkül, um mit Wählern vom rechten Rand die magischen 18 Prozent zu erreichen. Innenminister Schily hatte diesen Vorwurf, nach Juristenart vorsichtig verklausuliert, bereits bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts geäußert. Der Kanzler, heilfroh, daß seine glanzlose Koalition vorerst aus dem Schußfeld ist, setzte noch eins drauf, indem er der FDP unterstellte, sie sei nicht regierungsfähig. Wobei die Handhabung dieser Art von Propagandakeule bei der SPD im übrigen eine gewisse Tradition hat. Schon Altbundeskanzler Schmidt setzte sie im Wahlkampf 1980 ein, als er die Union bezichtigte, sie sei "nicht friedensfähig".

Es darf spekuliert werden, ob ein einziger Wähler aufgrund derartiger Totschlagargumente in seiner Wahlentscheidung zu beeinflussen, ob also wenigstens ein äußerlicher Nutzen zu verzeichnen ist. Sicher aber ist, daß die Rechtskultur im Lande dabei leidet. Und dies ist ein Schaden, dessen Ausmaß noch keineswegs abzuschätzen ist. Denn zur Ge- wöhnung an die Umkehr der Beweislast - nicht die Beschuldigung muß bewiesen werden, sondern der Angegriffene seine Unschuld nachweisen - kommt noch ein anderes. Längst haben wir uns damit abgefunden, daß bestimmte Dinge kaum mehr verfolgt werden. Angefangen bei Mutlangen-Blockaden über "Chaos-Tage" in Hannover, an Gleise gekettete Castor-Gegner, ein zwei Tage besetztes und verwüstetes Firmenbüro beim niedersächsischen Endlagerprojekt bis zu den alljährlich wiederkehrenden Mai-Krawallen in Berlin. Stets beschwichtigen und verharmlosen Polizei und Justiz. Ein Einsatz wird bereits zum Erfolg umgedeutet, wenn es ein paar Verletzte und Festnahmen weniger gibt als beim letzten Mal oder wenn nur ein, zwei Geschäfte geplündert worden sind. Eine Demonstration bezeichnet man als friedlich, wenn die Gewalttätigkeiten planvoll von einer kleinen Gruppe aus der Deckung der willfährigen Masse begangen werden.

Dafür werden falsch parkende Autofahrer unnachsichtig verfolgt, die konventionelle Landwirtschaft fast zur Umweltsün- de stilisiert und Kernenergie- erzeuger als brutal-profitsüchtige Menschheitsbedroher diffamiert, die es in Schach zu halten gilt.

Es mag dahingestellt bleiben, worauf sich die schleichende Mutation früher verbindlicher Rechtsauffassungen gründet: auf die schlichte Unfähigkeit der Politik zu klaren Vorgaben, auf Verwilderung medien- und gesellschaftspolitischer Sitten oder auf gezielte, ideologisch motivierte Versuche zur Erosion unserer Gesellschaft. Sicher aber ist, daß dieser Prozeß schon längst begonnen hat, und zu befürchten ist, daß er an Dynamik gewinnt.

Auch Duelle nach mittelalterlichem Vorbild wären natürlich keine Lösung. Zumal möglich ist, daß der Verleumder auch noch besser schießen kann.