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22.06.02 / Auf einem steinigen Weg

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. Juni 2002


Auf einem steinigen Weg
Karla Schefter aus Allenstein berichtet über ihre humanitäre und medizinische Hilfe in Afghanistan

In diesen Tagen richten sich die Augen der Welt wieder einmal auf Afghanistan. Dort ist die Große Ratsversammlung (Loja Dschirga) zusammengetreten, in der Stammesfürsten und andere einflußreiche Persönlichkeiten aus allen Teilen des Landes Hamid Karsai mit überwältigender Mehrheit zum neuen Staatspräsidenten gewählt haben. Eine weitere Ratsversammlung soll bis 2004 eine neue Verfassung verabschieden. Erste Schritte zur Normalisierung des Lebens nach der Schreckensherrschaft der Taliban sind getan. Doch noch stehen viele Probleme an, die gelöst werden müssen in dem zu den ärmsten Ländern der Welt gehörenden Land am Hindukusch. Es gibt keine Infrastruktur mehr, die Menschen sind ohne Arbeit, die Felder vermint. Jede vierte Frau ist infolge der Kriegswirren zur Witwe geworden; 16 von 100 Kindern sterben im ersten Lebensjahr. Überhaupt liegt die Lebenserwartung der Menschen bei nur 44 Jahren. Die medizinische Versorgung muß wie das Schulsystem erst einmal wieder aufgebaut werden.

Eine, die ein Lied von der schwierigen Situation in Afgha-nistan zu singen weiß, die seit vielen Jahren dort lebt und selbst die Taliban überlebt hat, ist Karla Schefter. Geboren 1942 im ostpreußischen Allenstein, wollte sie schon als Kind entweder in die Mission gehen oder einen Forscher heiraten, um mit ihm Expeditionen in ferne Länder zu unternehmen. Ferne Länder hat sie schließlich viele besucht - bisher über 80! - , in Afghanistan aber ist ihr Herz geblieben. Dort lebt und arbeitet die ehemalige Operationsschwester der Städtischen Kliniken Dortmund seit 1989. Neun Monate im Jahr ist die beherzte Frau dort; drei Monate im Winter nimmt sie sich die Zeit, um auf Vortragsreisen in Deutschland von ihrem Tun zu berichten. Nach dem schreck-lichen Geschehen vom 11. September 2001 und der Reaktion der USA und ihrer westlichen Verbündeten mußte auch Karla Schefter Afghanistan Hals über Kopf verlassen. Inzwischen aber ist sie wieder dort eingetroffen, um sich ihrer Lebensaufgabe zu widmen - den Menschen dort zu helfen. Zentrum ihres Wirkens ist ein Tal in der Provinz Wardak, Distrikt Chak, etwa 65 Kilometer südlich von Kabul gelegen und rund 2.400 Meter hoch. Dort gibt es seit 1938/42 ein von der Firma Siemens erbautes Kraftwerk, das die Kriege überdauerte und zumindest Schwachstrom liefern kann - lebenswichtig für das kleine Hospital, das Karla Schefter zusammen mit afghanischen Helfern dort aufgebaut hat. Ein Hospital, das heute vornehmlich von privater Seite gefördert wird. (Nähere Informationen beim Komitee zur Förderung medizinischer und humanitärer Hilfe Afghanistans e.V., c/o Hans-J. Lebuser, Schmittburgstraße 11, 64546 Mörfelden-Walldorf). Seit 1993/94 ist das Hospital, das bereits mehr als 100.000 Menschen versorgt hat, in Vollbetrieb. Meist sind es Frauen und Kinder, die Hilfe suchen im Hospital, vor allem während der Taliban-Herrschaft, da es Frauen verboten war, in ein "normales" Krankenhaus zu gehen. Oft nehmen die Patienten lange, beschwerliche Wege in Kauf, um nach Chak-e-Wardak zu kommen.

Über die Schwierigkeiten, ein solches Krankenhaus aufzubauen, über das Machtgerangel zu Zeiten der Mudschaheddin (Freiheitskämpfer) und der Taliban (Koranschüler), über Korruption und Parteienzwist, aber auch über die Widrigkeiten des Alltags im Krieg und die Schwierigkeiten als europäische Frau allein in einem islamischen Staat schreibt Karla Schefter sehr anschaulich in ihrem Buch Weil es um die Menschen geht - Als Krankenschwester in Afghanistan (Ullstein Verlag. 334 Seiten, zahlr. Farbfotos, 22 E). Oft mußte die Erstversorgung der Patienten bei Laternenlicht vorgenommen werden, umringt von schwerbewaffneten (wachsamen oder neugierigen?) Mudschaheddin. Immer wieder fallen Bomben. "Der ständige Konflikt zwischen Herz und Verstand ist für mich nahezu unerträglich. Habe ich gerade etwas Großes gelöst, fühle ich mich im gleichen Atemzug sehr klein. Die Möglichkeiten meiner Menschlichkeit sind äußerst gering, immer stoße ich an meine Grenzen, bin mit den Wünschen und Vorstellungen der anderen überfordert. Das Gleichmaß, den Mittelweg zu finden ist schwer. Die Menschen Afghanistans haben viele Jahre lang viel zu viel Leid erfahren und aushalten müssen. Kummer ist zur Gewohnheit geworden, artet in Resignation aus; die Folge ist oftmals ein Sich-gehen-Lassen in allen Bereichen des Lebens. Tiefste Trauer ist zu entdecken, alle düsteren Schattierungen des Bösen, aber auch die hellen Töne des Frohsinns und Lachens, womit vieles überspielt wird."

Immer wieder kommen Zweifel: "Es gibt Momente, wo ich sie aufgeben, ihnen kündigen möchte." Aber letztendlich siegt immer wieder die Liebe zu diesen Menschen, zu diesem Land, für dessen Schönheiten die Ostpreußin allem Schrecklichen zum Trotz doch stets ein Auge hat. "Die lang gezogene Flußoase in der kargen Hügellandschaft des Chak-Distrikts begeistert mich immer wieder. Es gibt alte Apfelbäume, viele Aprikosenbäume und noch mehr Maulbeerbäume. Es werden Gurken, Tomaten und Zwiebeln für den Eigenbedarf angebaut, die Felder sind bestellt mit Reis, Kartoffeln und Gerste, aus der das Fladenbrot gemacht wird ... Die Kornfelder sind mit Mohn und Kornblumen durchzogen, dazwischen liegen saftige Grünflächen. Auf der einzigen Hauptstraße bieten Händler ihre Waren feil, Esel ziehen schwerbeladene Holzkarren ..."

Ob ihr nie in den Sinn gekommen sei, eine eigene Familie zu gründen, wird Karla Schefter immer wieder einmal gefragt. "... Ehemänner, die befehlen wollen, die sagen möchten, wo es lang gehen soll, besonders bezogen auf ihre eigenen Interessen, (sind) nichts für mich", schreibt sie, und der Leser kann durchaus nachvollziehen, daß sie ihre Familie in den Freunden, den afghanischen und deutschen, findet. Als sie eines Tages selbst sehr krank wird (Malaria), bemühen sich ihre Mitarbeiter und die Menschen im Dorf rührend um sie. Kleine Geschenke - Äpfel, Blumen und Mandeln - sollen zur Genesung beitragen. "Das ganze Dorf nimmt an meinem Leben Anteil. Dieses verbindende Gefühl, daß ich jetzt eine Schwester der afghanischen Großfamilie bin und in ihrem Schoße gepflegt wurde, läßt mich nicht mehr los."

Es war ein steiniger Weg, den Karla Schefter bis zur Aufnahme in diese Großfamilie zurücklegen mußte. Am Anfang stand eine Anzeige in einem Fachblatt, in der Menschen gesucht wurden, afghanischen Flüchtlingen zu helfen. "Ich selber bin mit meiner Mutter von Ostpreußen über Weimar nach Hamburg geflüchtet. Unterwegs mußten wir Kartoffeln vom Acker sammeln, um nicht zu verhungern. Wie oft wurde ich abgewiesen, wenn ich an einer Tür klopfte, in der Hoffnung, eine Scheibe Brot zu bekommen. Einmal schlug ein Mann mit einer Hundepeitsche auf mich ein. Menschen auf der Flucht, das konnte ich auf diese Weise lernen, sind wenig willkommen."

Bereut hat Karla Schefter ihre Entscheidung nie: "In vielen Stunden denke ich darüber nach, was es heißt, frei zu sein. Ich habe mir die Freiheit genommen, in dieses Land zu gehen. Ich akzeptiere freiwillig, was dieses Land mir gibt, was ich an Regeln und Gebräuchen zu respektieren habe... Mir wird hier das kostbarste Geschenk geboten, das ich mir vorstellen kann: Ich bekomme so viele Eindrücke und Erfahrungen geboten, kein Geld der Welt kann diese aufwiegen. Und ich fühle mich gerade bei diesen Menschen wohl, integriert in diese einmalige Gesellschaft. Mein Wohlgefühl darf aber nicht mißverstanden werden, ich meine damit kein heimeliges Dasein hinter einem warmen Ofen", so die Ostpreußin aufrichtig. "Es ist eher als Befriedigung zu sehen, Befriedigung darüber, daß meine Abenteuerlust genährt wird."

Als sie nach dem 11. September das Land am Hindukusch und ihre Schützlinge verlassen muß, weil ihre Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist, sagt sie ihren Mitarbeitern: "Ich werde aus Sicherheitsgründen gehen, aber ich komme wieder." Ihre Kleider und anderen persönlichen Dinge hat sie dagelassen, um zu zeigen, daß es ihr ernst war mit den Worten. Und Karla Schefter ist wieder zurückgegangen nach Afghanistan und zu seinen Menschen. Silke Osman