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22.06.02 / Kunstgeschichte: Immanuel Kant in Marmor

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. Juni 2002


Kunstgeschichte: Immanuel Kant in Marmor
Über die Versuche Carl Friedrich Hagemanns, den berühmten Sohn Ostpreußens zu verewigen

Im Jahre 1800 entstand auf Initiative von Oberbaudirektor Müller die Idee für eine Kant-Büste. Er konnte einen Kreis von Königsberger Honoratioren dafür gewinnen, sich an den Direktor der Berliner Hofbildhauerwerkstatt Gottfried Schadow mit der Bitte zu wenden, eine Marmorbüste des Philosophen Immanuel Kant zu schaffen. Es war beabsichtigt, das Bildwerk am Königsberger Philosophenweg öffentlich auszustellen. Schadow nahm den Auftrag an, war jedoch zu beschäftigt, um selber nach Königsberg reisen zu können. So übertrug er die Aufgabe seinem damals 27jährigen Mitarbeiter Carl Friedrich Hagemann. Dieser trat seine Reise am 7. Januar 1801 an.

Es ist überliefert, daß Kant Porträtsansinnen stets reserviert gegenüberstand und sich seinen Porträtisten gegenüber ambivalent verhielt. Er wollte während der Modellsitzungen durch angenehme Unterhalter entschädigt werden und bat seinen alten Freund Motherby, ihm Gesellschaft zu leisten.

Zwar zeichnete er sich nicht durch Eitelkeit aus, aber wenn er abgebildet werden sollte, so wollte er auch der Welt in seiner "natürlichen Gestalt" und "auf geschmackvolle Art" dargestellt werden. Daher fiel sein Geschmacksurteil über Abbildungen seiner selbst strenger aus als über andere Kunstwerke.

In Kenntnis dieser Haltung des Philosophen zu jeglicher Abbildung seiner Person fragte Hagemann bei der ersten Sitzung den vom Alter bereits gezeichneten Kant ohne Umschweife, "ob er ihn ganz getreu nachbilden solle". Darauf soll dieser geantwortet haben: "So alt und häßlich, wie ich nun bin, dürfen Sie mich eben nicht machen!"

Hagemann war sich bewußt, welche Erwartungen sein Auftraggeber an ihn stellte. Die Büste sollte einem repräsentativen Zweck dienen; dies erforderte eine Philosophenbüste, wie sie dem klassisch gebildeten Publikum geläufig war. Hagemann brachte gute Voraussetzungen hierfür mit. Er verfügte über Erfahrung in römischer Ikonographie und hatte in der Berliner Akademie mehrfach Antiken kopiert. Sein Vorbild war der in Berlin tätige Schweizer Bildhauer Emanuel Bardou.

Hagemann schuf nach seinem ursprünglichen Modell zur Kant-Büste zwei verschiedene Versionen. Dies gibt zu der Vermutung Anlaß, daß Hagemann sich bei der für den Königsberger Philosophenweg bestimmten Büste veranlaßt sah, gewisse Abstriche von seiner Bildidee zu machen.

Im neuen Kant-Museum des Königsberger Doms befindet sich eine Gipsbüste Immanuel Kants. Die Inschrift auf der Rückseite dieses Exemplars ist kaum mehr lesbar. Wer aber bereits das alte Kant-Museum im Gebäude der ehemaligen Neuen Universität besucht hat, wird sich an eine gleichartige Büste erinnern. Nach dieser Büste im heutigen Universitätsmuseum wurde auch die Kopie im Dom angefertigt.

Auf dem Exemplar in der Universität ist die Inschrift noch deutlich lesbar: auf der Schulter "G. Schadow fec.", auf dem Fuß darunter "1724 - 1804", die Lebensdaten des auf der Vorderseite benannten Philosophen, und "Gebr. Micheli. Berlin", die Berliner Firma, die solche Abgüsse in Gips oder Elfenbeinmasse um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert hergestellt hat. Der Sockel des Originals aus grauem schlesischen Marmor trug die Inschrift: "Immanuel Kant. Sapienti amicorum pietas".

Schadow urteilte später über Hagemanns Büste: "Am besten vorgestellt ist Immanuel Kant von meinem Gehülfen Hagemann, der die Reise nach Königsberg deshalb machte, und den Kopf dieses Weltweisen also noch im Leben nachbilden konnte." Schadow selbst schuf 1807/08 für die Walhalla bei Regensburg eine Büste Kants mit gänzlich kahlem Schädel nach der Büste Hagemanns und einem Abguß der Totenmaske.

Die Büste von Hagemann wurde zunächst in der Stoa Kantiana, der Grabkapelle Kants, am Dom aufgestellt und kam 1820 ins Auditorium Maximum der Alten Universität und 1862 ins Senatszimmer der Neuen Universität. 1945 rettete sie der Chirurg Oskar Ehrhardt aus dem Schutt und bewahrte sie bis zu seinem Abtransport 1948 in seinem Zimmer im Elisabeth-Krankenhaus auf. Während das Königsberger Marmor-Original als verschollen gilt, sind noch heute das von Hagemann in Königsberg angefertigte Gipsmodell in der Friedrichswerderschen Kirche und ein Gipsabguß der Königsberger Fassung in der Porträtsammlung der Staatsbibliothek Berlin erhalten. Wo die von der Berliner Firma Gebrüder Micheli nachgebildete Büste des heutigen Universitätsmuseums in Königsberg vor dem Zweiten Weltkrieg stand, ist offensichtlich nicht bekannt. Nach Auskunft der früheren Direktorin des Kant-Museums, Frau Olga Krupina, soll die Büste aus Moskau stammen. Dorthin dürfte sie allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg verbracht worden sein.

Eine zweite Version der Kant-Büste in Marmor befindet sich seit deren Bestehen in der Hamburger Kunsthalle. Sie ist in ihrer künstlerischen Durchführung sehr viel deutlicher akzentuiert. Beide Versionen orientieren sich zwar an Bardous Typologie "Philosophenkopf in antikem Habitus", doch zeigen sie auffällige Unterschiede: dabei scheint die Königsberger Fassung geglättet zu sein. Die Hamburger Version zeigt die für Kant charakteristische schiefe Stellung des Kopfes, und auch die das Gesicht durchziehenden Alterslinien sind schärfer gezeichnet. Die Gesamtwirkung ist wahrheitsgetreuer, aber auch ungeschönt. Die Annahme liegt daher nahe, daß die "Anpassung" bei der Königsberger Marmorausführung erfolgt ist, nachdem das realistischere Modell bei den Königsberger Auftraggebern und Kant auf Kritik gestoßen ist. H.L./MRK

Immanuel Kant: Um die vorletzte Jahrhundertwende erstellte Kopie einer Büste von Carl Friedrich Hagemann im Universitätsmuseum Königsberg vor einem Schrank mit aus Moskau zurückgeholten Büchern der Wallenrodtschen Bibliothek Foto: Lange